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Politik und Armut„Leute wie wir werden immer am Rand bleiben“

Über Armut spricht im Wahlkampf kaum jemand. Was denken Menschen mit wenig Geld über Politik und wen wählen sie am Sonntag? Ein Besuch bei der Tafel.

An der Ausgabestelle der Münchner Tafel: Themen wie soziale Sicherheit und Teilhabe kommen im Bundestagswahlkampf kaum vor Foto: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Berlin taz | Die Menschen, die an diesem Nachmittag Mitte Februar zur Berliner Tafel gehen, erkennt man an ihren Einkaufstrolleys. Mit ihnen steigen sie die wenigen Stufen zur Ausgabestelle in der Martin Luther Kirche in Neukölln herauf. Ahmet kommt gerade raus, einen Rucksack auf dem Rücken und zündet sich eine Zigarette an. Auf die Frage, was er am Sonntag wählt, blickt er kurz überrascht. Dann antwortet er schnell: „Die Grünen – wegen Ukraine“. Er überlegt nochmal kurz und sagt dann: „In Neukölln weiß ich es noch nicht, vielleicht auch SPD oder Linke“.

Ahmet ist als Kind aus der Türkei gekommen, seit über 40 Jahren lebt er in Deutschland. Wie alle in diesem Text nennt er nur seinen Vornamen. Zur Zeit arbeitet er in einem 2€-Job. Weil er hier zur Tafel kommen kann, spart er sich zehn Euro die Woche. Wie er auf die Politik, auf die steigenden Preise blicke? Er zuckt die Schultern.

Ist halt die Wirtschaft, meint er. Die wichtigsten Themen sind für ihn zur Zeit die Ukraine und das Klima. Wählen würde er deshalb meistens die Grünen oder SPD. Nur einmal habe er CDU gewählt, in den 90ern, aber da hatte er eine Wette verloren. Zu konservativ, zu bürgerlich, meint der Mitte-50-Jährige.

Zur Martin Luther Kirche kommen Menschen wie Ahmet, die zu wenig haben, um sich Lebensmittel nur aus dem Supermarkt zu kaufen: Bürgergeld- und Grundsicherungsempfänger:innen, BAföG-Bezieher:innen oder Leute, die Wohngeld bekommen. Auch viele Geflüchtete aus der Ukraine nutzen das Angebot.

Soziale Sicherheit und Teilhabe sind kaum Thema

Alleine 5,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger:innen gibt es in Deutschland, doch sie hört und sieht man wenig. Während im Bundestagswahlkampf vor allem über Migration und innere Sicherheit diskutiert wird, kommen Themen wie soziale Sicherheit und Teilhabe kaum vor. Und das, obwohl die Verbraucherpreise laut dem Statistischen Bundesamt seit 2020 um rund 20 Prozentpunkte gestiegen sind. Zum Vergleich: Eine erwachsene Person erhält 2024 und 2025 563 Euro an Bürgergeld im Monat.

„Leute wie wir, die werden immer komplett am Rand bleiben“, meint Zosia. Mit so wenig Geld könne man einfach nicht am Leben teilnehmen, die Angst am Ende des Monats nicht mehr genug Geld zum Essen zu haben hinge wie ein Damoklesschwert über allem. Zusammen mit Marion, die sie bei der Tafel kennengelernt hat, wartet die 45-Jährige darauf, dass ihr Buchstabe augerufen wird. Sie selbst will die Linke wählen. Doch ob die was an der Gesamtsituation ändern kann? Alle seien gegeneinander und keiner habe eine Lösung, sagt Zosia: „Zu viele Männer, die nicht miteinander kommunizieren können“.

Marion, 62, will nicht sagen, wen sie wählt. Dass irgendjemand tatsächlich Lösungen für Armutsbetroffene hat, glaubt sie aber nicht. „Sie sagen immer sie wollen die Reichensteuer erhöhen, sollen sie doch mal machen“, sagt sie angriffslustig. Sie erinnert sich noch, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte, das erste Mal zur Tafel zu kommen, wegen der Scham. Vor allem, weil sie doch immer gearbeitet hat – als Verkäuferin, dann als Tischlerin, nur den Computerkurs fand sie schwierig. Trotzdem weiß sie, dass sie Glück hat. Sie hat ein Netzwerk, eine Tochter, die mal aushelfen können. „Andere Leute haben das nicht“.

„Angst wird zur Währung“

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Eine Person läuft vorbei. Bei der Frage, wen sie wählt, bleibt sie kurz stehen: „Die Linke, macht für mich als Schwarze Person am meisten Sinn.“ Sie geht weiter. Dann kommen Michi und Miriam rein. Michi arbeitet in der Behindertenwerkstatt in der Nähe, seine Mitbewohnerin Miriam hat zuletzt im Sicherheitsservice gearbeitet. Beide wissen noch nicht, ob oder wen sie wählen, nur dass es nicht in die richtige Richtung geht. Gegen Drogen und Alkohol müsse was unternommen werden, und dass es so viele Obdachlose gibt, weil die Wohnungen so teuer sind.

Hermann will am Sonntag wählen gehen – die Linke. Wegen der sozialen Aspekte und weil sie kritisch seien gegen die Kriegstreiberei, wie er sagt. Die hohen Stimmenanteile für die AfD, glaubt er, sind nur ein Symptom einer Krankheit, die wesentlich tiefer reiche. Angst werde von den Rechten zur politischen Währung gemacht. „Wir müssen uns emotional und intellektuell von Angst emanzipieren“, glaubt Hermann. Sonst ist die Politik zwar weiterhin repräsentativ, aber eben nicht demokratisch.

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2 Kommentare

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  • Mit der Bitte um Erklärung



    Wenn es immer mehr Arme gibt, warum schrumpfen dann die "sozialen" Parteien SPD und Linke derart in den Umfragen, während die "kapitalistische" CDU und "Armenfeindliche" AfD kräftig zulegen?

    • @Hans Dampf:

      Die Linke wächst ja gerade deutlich. Und die Erfahrung der letzten Regierungskoalitionen in Berlin zeigt, dass die SPD nur so sozial ist wie ihre Opposition von links stark ist. Ansonsten wird bei erneuter GroKo, mit einer SPD nur halb so stark wie CDU, das gleiche zu erwarten sein wie zuvor: will die SPD was Soziales, haut ihr CDU/CSU auf die Finger, weil diese das Finanzministerium besetzen. Eigentlich brauchen wir gerade eine starke SPD. Strategisch SPD wählen oder mit Zweitstimme macht also diesmal Sinn gegen soziale Benachteiligung, solange die Linke in den Bundestag kommt.