Politik nebenan: Gutes tun mit dem Waschlappen

Pflege: Viele Heime finden nur noch schwer qualifiziertes Personal. Der Job ist stressig und anstrengend. Warum Denis Geiger dennoch Pfleger werden will.

Anstrengender Traumjob: Die Arbeit in einem Pflegeheim. Bild: ap

STUTTGART taz | Denis Geiger klopf um halb acht Uhr morgens an die Tür und tritt ein. Im Zimmer der alten Frau riecht es nach Schlaf. Sie richtet sich auf in ihrem Pflegebett, blinzelt den jungen Mann verlegen unter ihrem zerzausten, weiß-grauen Haar an. "Guten Morgen, Frau Müllert, gut geschlafen?", fragt Geiger freundlich.

Er geht seinem Traumjob nach. Im Oktober beginnt Geiger seine Ausbildung zum Altenpfleger im Haus Martinus der Caritas Stuttgart, jetzt macht er ein Vorpraktikum. Behutsam hilft er Anneliese Müllert* aus ihrem bestickten Nachthemd, hebt die zerbrechlich wirkende, 93-jährige Dame in ihren Rollstuhl. "Ich hab geschlafen wie der Tod", sagt sie und kichert, ehe er sie die drei Meter ins Bad fährt.

Der 20-jährige Geiger könnte auch erst mal ins Ausland gehen wie viele seiner Freunde aus seiner Heimatstadt Saarbrücken. Vielleicht Gitarrist werden, die halblangen, blonden Haare würden gut passen. Nein, er wollte Altenpfleger werden. Die Fachoberschule für Sozialwesen hat er zwar nach der elften Klasse verlassen, aber 35 Wochen Praktikum in einem Krankenhaus und ein Jahr Zivildienst in einem Jugendhaus hinter sich. Er konnte vergleichen, und die Arbeit hier, sagt er, sie sei etwas Wichtiges und Gutes mit dankbaren Menschen. Von den 18 Bewerbungen, die er abschickte, haben ihm 15 Pflegeeinrichtungen einen Ausbildungsplatz angeboten.

Die Serie "Politik nebenan" erklärt, wie Politik Menschen im Alltag betrifft - und was die Parteien wollen.

Hat er Frühschicht, muss er um 5 Uhr aufstehen. Um viertel vor 7 geht es los, bis 14 Uhr. "Du hast eine enorme Verantwortung, abends bist du völlig ausgepowert", sagt er, ehe er mit Schüssel und Waschlappen im Bad verschwindet, um Frau Müllert zu waschen. Und der Verdienst? Weiß er selbst nicht genau.

Nach drei Ausbildungsjahren verdient ein Pfleger bei der Caritas in Stuttgart 2.255,55 Euro brutto im Monat, Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist anteilig eingerechnet, Zuschüsse etwa für Wochenendarbeit nicht. Sie rechne fest mit einem Mangel an Pflegefachkräften, sagt Gaby Schröder, die Leiterin des Haus Martinus mit seinen 122 Plätzen. In diesem Jahr fanden sich für alle fünf Ausbildungsplätze gute Bewerberinnen und Bewerber, doch groß sei die Auswahl nicht mehr gewesen. Schon jetzt dauere es Wochen, bis sie neue Stellen besetzen kann, meist mit Frauen.

"Trotzdem finde ich, dass in der Pflege vieles richtig läuft", sagt Schröder. Dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen seit Januar dieses Jahres jeden Tag unangemeldet Martinus kontrollieren darf und danach eine Note von Eins bis Fünf veröffentlich - prinzipiell hält sie die Idee für richtig. Allerdings sei die Verunsicherung groß. Was, wenn ein Haus eine schlechte Note erhält und die Betten leer bleiben? Wartelisten gebe es in den Heimen schon lange keine mehr, seit der Einführung der Pflegeversicherung bleiben viele alte Menschen so lange wie möglich zu Hause - 133,22 Euro am Tag kostet ein Einzelzimmer im Haus in der dritten und damit höchsten Pflegestufe. Ebenso unangemeldet kommt die Heimaufsicht der Stadt ins Haus. Eigentlich eine unnötige Doppelprüfung, sagt Heim-Bereichsleiterin Thea Deutschle. Sie ist seit 1988 in der Pflege. Wenn sich jemand wie Denis Geiger für den Beruf entscheide, sei das gleichsam Glücksfall und Ausnahme. Die wenigen Männer, die es ihm gleichtun, wollten oft aufsteigen - wie auch Denis, der sich irgendwann fürs Management oder als Kunsttherapeut weiterbilden möchte.

Er kramt noch im Kleiderschrank nach dem hellblauen Pullover, den Frau Müllert heute gerne tragen will. Der ist in der Wäsche, stattdessen vielleicht das dunkelblaue Teil? Na gut, und als die alte Frau für das Frühstück angezogen und gekämmt in ihrem Rollstuhl sitzt, mit ihrer dicken Brille in ihr Zimmer blickt, mit dem Schaffell auf dem Sessel, dem Fernseher, ein paar gerahmten Familienfotos, bedankt sie sich gleich ein paar Mal für die nette Hilfe. "Mach ich doch gern", sagt Denis.

*Name geändert

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Pflege: Pflegende Verwandte und Freunde sollen das Anrecht erhalten, drei Monate "Pflegezeit" zu nehmen und dafür Lohnersatz zu erhalten. Wohnortnahe Pflege in Haus- und Wohngemeinschaften wollen die Grünen fördern.

Gesundheit: Die Grünen fordern die "Bürgerversicherung", in die auch Selbstständige und Beamte einzahlen. Die Beitragshöhe soll von Kapitaleinkommen, Miet- und Pachteinnahmen abhängen. Gesundheitsfonds und einheitlichen Beitragssatz wollen die Grünen abschaffen.

Finanzierung: Die Beitragsbemessungsgrenze wird angehoben. Mehr Wettbewerb zwischen Kassen, Kliniken und Ärzten soll die Kosten drücken. MLO

www.gruene.de/partei/programm.html

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Pflege: Die Pflegeversicherung soll nur für "finanzielle Grundausstattung" sorgen. Statt Sachleistungen sollen Pflegebedürftige Geld bekommen, um sich passende Pflege zu organisieren.

Gesundheit: Die FDP will weg von der solidarischen Finanzierung der Pflege und Gesundheit, hin zu einem System, in dem jeder seine individuellen Risiken selbst versichern muss. Nur die "notwendige Grundversorgung" sollen Versicherungen zu einem Standardtarif anbieten müssen.

Finanzierung: Jeder Einzelne muss seine oder ihre Krankheitsrisiken genau abschätzen und mit Versicherungen absichern. Die Kosten der Krankenversicherung für Kinder sollen aus Steuermitteln beglichen werden. MLO

deutschlandprogramm.de

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Pflege: Die Linke fordert, Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitssystem besser zu qualifizieren und tariflich zu bezahlen. Die Versorgung von Heimbewohnern soll sich "verbessern".

Gesundheit: Die Linke fordert "Abschaffung aller Zuzahlungen, einschließlich der Praxisgebühr". Die Kassen sollen Kosten für Brillen und Zahnersatz wieder erstatten. Klinik-Privatisierungen will die Partei "stoppen beziehungsweise rückgängig" machen. In unterversorgten Gebieten sollen Gemeindeschwestern und Polikliniken die Versorgung sichern.

Finanzierung: Eine "solidarische Bürgerversicherung", ähnlich jener, die SPD und Grüne fordern, soll zusätzliches Geld in Kranken- und Pflegeversicherung spülen. MLO

www.die-linke.de/wahlen/positionen/

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Pflege: Damit nahe Angehörige die Pflege organisieren können, sollen sie für bis zu 10 Tage von ihrer Arbeit freigestellt werden und in dieser Zeit Lohnersatzgeld erhalten.

Gesundheit: Den Nutzen neuer Medikamente und Behandlungen sollen unabhängige Institute prüfen. Kliniken sollen noch mehr Patienten ambulant betreuen dürfen und so den niedergelassenen Ärzten Konkurrenz machen.

Finanzierung: Die SPD will auch Selbstständige und Beamte zur Finanzierung einer "Bürgerversicherung" heranziehen. Den Sonderbeitrag zur Krankenversicherung, derzeit allein von Arbeitnehmern gezahlt, sollen wieder zur Hälfte die Arbeitgeber begleichen. Steuergelder füllen eventuelle Lücken. MLO

www.spd.de/de/politik/regierungsprogramm/index.html

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Pflege: Die Union will die "Pflege in der Familie stärken". Dazu sollen Unternehmen motiviert werden, sich an Programmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu beteiligen. Firmen sollen vermehrt mit Tagespflegeeinrichtungen kooperieren.

Gesundheit: Wie die anderen Parteien setzt die Union auf Prävention. Die privaten Krankenversicherungen sollen erhalten bleiben und deren Möglichkeiten, Zusatzversicherungen anzubieten, größer werden. Niedergelassene Ärzte und Apotheker will die Union im Wettbewerb mit Kliniken und Arznei-Versandhäusern schützen.

Finanzierung: Die Union will weitere "versicherungsfremde Leistungen" aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen und stattdessen durch Steuern bezahlen. MLO

www.regierungsprogramm.cdu.de/portal2009/27890.htm

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