: „Politik des Ertränkens“ vor Kuba
US-Navy-Stützpunkt für haitianische Flüchtlinge geschlossen/ Küstenwache nimmt nur noch Flüchtlinge in Seenot auf/ Proteste von Bürgerrechtsgruppen/ Löchriges OAS-Embargo gegen Haiti ■ Aus Washington Andrea Böhm
Seit Donnerstag posaunt es der kreolische Sender der „Voice of America“ durch den Äther — und wer auf Haiti kein Radio besitzt, hat es längst durch Mundpropaganda erfahren: Guantanamo Bay, der US-Navy- Stützpunkt auf kubanischem Territorium und laut CNN ein „Hafen der Demokratie“, ist wegen Überfüllung geschlossen. Die US-Küstenwache nimmt nur noch Bootflüchtlinge auf, die kein Wasser und keine Nahrung an Bord haben oder deren Schiffe nicht seetüchtig sind. Alle anderen werden aufgefordert, nach Haiti zurückzufahren. Vor allem von Flüchtlings- und Bürgerrechtsgruppen, aber auch schwarzen Kongreßabgeordneten wurde diese Maßnahme scharf kritisiert. „Das ist eine Politik des Ertränkens“, erklärte John Conyers, demokratischer Abgeordneter aus Michigan.
Die US-Küstenwache hat auf internationalen Gewässern allerdings nicht das Recht, Flüchtlingsboote zum Umkehren zu zwingen. Viele werden also versuchen, bis an die Küste von Florida zu gelangen. Wie am Samstag von den kubanischen Behörden gemeldet wurde, sind mindestens zwei Flüchtlinge ertrunken, als ihr Boot vor der Küste sank.
Über 12.000 „Boat People“ sind inzwischen auf Guantanamo Bay bei sengender Hitze in Zelten untergebracht. Allein 10.000 von ihnen wurden im letzten Monat von Schiffen der US-Küstenwache geborgen. Zweck der jüngsten Maßnahme ist Abschreckung, wie Sprecher der Küstenwache und des Außenministeriums ganz unumwunden zugaben. „Wir hoffen, daß nicht mehr so viele Leute in See stechen und ihr Leben riskieren“, erklärte Richard Boucher, Sprecher des „US State Department“. Wer es dennoch riskiert, muß nach dieser Logik schlimmstenfalls damit bezahlen.
Seit dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Jean Bertrand Aristide im Oktober 1991 sind insgesamt 35.000 Haitianer auf Guantanamo Bay aufgenommen worden. Der für Asyl zuständige „Immigration and Naturalisation Service“ (INS) hat in 30 Prozent der Fälle das Asylbegehren für prüfenswert befunden. Dies hat der Behörde harsche Kritik seitens des Außen- und Verteidigungsministeriums eingebracht, die damit ihre Abschreckungsstrategie konterkariert sehen.
Die effektivste Bekämpfung der Fluchtursachen ist offensichtlich: Die Rückkehr des gestürzten Aristide. Doch das von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verhängte Embargo gegen Haiti war bislang löchrig genug, um die Putschisten an der Macht zu halten. Betroffen von den Wirtschaftssanktionen sind vor allem die Armen, die mehrheitlich Aristide-Anhänger und damit am stärksten den Repressalien des haitianischen Militärs ausgeliefert sind. Letzte Woche beschloß die OAS eine Verschärfung der Sanktionen: Schiffe, die das Embargo durchbrechen, sollen in den Häfen der OAS-Staaten nicht mehr einlaufen dürfen, Putschisten sollen keine Einreisevisa mehr erhalten.
Zwar denken einzelne Mitarbeiter des Außenministeriums halblaut über eine Militärblockade nach, um das Embargo durchzusetzen. Doch für solchen Aufwand kann Aristide politisch und ökonomisch nicht genug bieten. Vor allem schwarze Kongreßabgeordnete haben der Bush- Administration wiederholt zweierlei Maß vorgeworfen. In Haiti gehe es eben nicht um Öl wie in Kuwait, sondern allenfalls um den Nachschub von Baseballbällen.
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