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Polens Linke vor ParlamentswahlWutbürger auf dem Vormarsch

Allein im Juni wurden in Polen drei neue Parteien gegründet. Vor der Parlamentswahl im Herbst formiert sich die Linke neu.

Weißer Adler auf rotem Grund im Warschauer Sejm Foto: dpa

Warschau taz | „Verräter, Heuchler, Mörder und Deppen“ – das seien, so die Stimmung auf der Straße, Polens Politiker. Die Vertreter der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) hätten das Land in ein Ruinenfeld verwandelt. Zur Präsidentenwahl im Frühjahr schürten rechte wie linke Oppositionsparteien den Frust bis hin zur enthemmten Wut. Seither ist in Polen nichts mehr wie es war. Die Wutbürger sind auf dem Vormarsch.

Wie Pilze schießen neue Parteien aus dem Boden. Im Oktober ist Parlamentswahl. Nach acht Jahren liberalkonservativer Regierung, sollte nun eigentlich die Stunde der Linken schlagen. Doch zu den etablierten Parteien im Sejm, dem Abgeordnetenhaus, gehören auch die Demokratische Linksallianz (SLD) und die linksalternative Partei Deine Bewegung (TR).

Vor vier Jahren war der Newcomer „Deine Bewegung“ mit zehn Prozent in den Sejm eingezogen. Doch Umfragen zufolge haben die beiden Oppositionsparteien abgewirtschaftet. Sie würden bei der nächsten Wahl an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern. Die SLD blamierte sich im Frühjahr mit ihrer Präsidentschaftskandidatin. Meist schwieg Magdalena Ogorek, bei der Frage nach dem SLD-Programm verwies sie auf „kompetentere Gesprächspartner“.

Janusz Palikot und seiner Partei Deine Bewegung liefen die Mitglieder davon. Statt wie versprochen konsequent Minderheitenpolitik zu betreiben, rieb sich die Partei an Scharmützeln auf. Schließlich verlor sie den Fraktionsstatus im Sejm.

Vorbilder aus Skandinavien

Aus der Konkursmasse dieser beiden linken Parteien ging eine neue sozialdemokratische Partei hervor: die „Weiß-Roten“. Es ist die dritte Neugründung einer linken Partei innerhalb kürzester Zeit. Gründer sind Grzegorz Napieralski, Ex-SLD-Parteichef, und Andrzej Rozenek, bis März TR-Parteisprecher. Vorbilder sind die sozialdemokratischen Parteien Skandinaviens.

„Polens Parteispektrum teilt sich in konservativ und fortschrittlich. Wir gehören zum fortschrittlichen Lager“, erklärt Rozenek. Schlüsselbegriffe im Programm sind „Entwicklung, Fortschritt, positiver Wandel, Ruhe“. Vielleicht starte die Partei im Oktober mit einer der anderen neuen Linksparteien, zunächst schärfe man sein Profil.

Neu ist auch die Partia Razem – Gemeinsam (PR). Zunächst war das Ziel, alle linken und alternativen Gruppierungen in Polen zu einer neuen Partei zusammenzuschließen. Im Januar hatte Marcelina Zawisza, bis vor kurzem noch bei den Grünen, in einem offenen Brief zum Zusammenschluss aufgerufen. Geführt wird die PR von einem neunköpfigen Vorstand.

Doch die Idee, ganz auf „bekannte Gesichter“ zu verzichten, wurde zumindest zu Beginn nicht konsequent umgesetzt. Anna Grodzka, einst bei der SLD, dann als erste Transsexuelle für „Deine Bewegung“ im Sejm, schließlich Präsidentschaftskandidatin der Grünen, empfahl sich Razem als Zugpferd, ebenso wie Piotr Ikonowicz von der Sozialen Bewegung Solidarität. Ikonowicz setzt sich für Arme, Obdachlose und Opfer von Behördenwillkür ein.

Vorbild Podemos

Heute sagt Zawisza: „Die Grünen werden in Polen als eine Gruppe von Ökologen wahrgenommen. Ikonowicz kümmert sich nur um die Armen. Wir wollen aber keine Partei für gesellschaftliche Nischen-Gruppen sein, sondern eine breite Wählerschaft ansprechen.“ Programmatisch stehe „Razem der linkspopulistische Partei Spaniens Podemos am nächsten.

Eine dritte linke Partei geht auf Jan Guz zurück, Chef der postkommunistischen Gewerkschaft OPZZ. Auch Guz rief linke Gruppierungen und Parteien zu einem Zusammenschluss auf. Am Tisch nahm auch die SLD Platz, in der Hoffnung so wieder in den Sejm einzuziehen. Mit Umfragewerten von zwei bis drei Prozent würde es die Partei allein nicht mehr schaffen. Doch die Vereinigte Linke muss als Parteienzusammenschluss die Acht-Prozent-Hürde überwinden. Einfach wird das nicht. Im August soll es einen ersten Parteitag geben.

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1 Kommentar

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  • Ist der Begriff "Wutbürger" hier klug gewählt ? In D wenden wir ihn eher auf die Pegida- und AfD-Fans an. Deren destruktiver Protest scheint mir kaum mit der von Ihnen beschriebenen Neuordnung linker Gruppierungen in PL vegleichbar zu sein.