Polen wollen Monroes Stimme hören: Bariton-Sexbombe
Film-Synchronisationen oder Untertitel bleiben im prüden polnischen Fernsehen Wunschdenken. Bislang werden Stimmen von Männern nachgesprochen - auch die Liebesszenen.
Immer mehr Polen wollen ein hingehauchtes "I love you" von Marylin Monroe, Sophia Loren oder Jennifer Lopez in der Originalfilmfassung hören. Sie fordern polnische Untertitel für ausländische Filme im Fernsehen. Da es im katholischen Polen aber noch immer ein Problem darstellt, sich offen für die verführerischen Stimmen ausländischer Sexbomben zu interessieren, startete die konservative Tageszeitung Dziennik eine Aktion unter dem Titel "English First". Marilyn Monroe soll den Polen demnächst English beibringen.
Tomasz Knapik spricht mit sonorer, leicht kratziger Baritonstimme. Die meisten Polen kennen ihn, wenn sie auch nicht wissen, wie er aussieht. Denn Knapik ist "lektor". Seit Jahrzehnten liest er die Dialoge in ausländischen Liebesfilmen, Western und Thrillern. Dabei übernimmt er alle Rollen, auch die der Frauen und Kinder. Wenn Sophia Loren mit italienischem Temperament auf ihren Geliebten losgeht, liest Knapik mit monotoner Stimme vom Blatt ab "Nienawidze cie. - Ich hasse dich." Auch Marilyn Monroes dahingehauchtes "I love you" kennen Polen nur in der Bariton-Variante des Lektors "Kocham cie".
Eingeführt wurde das Ein-Lektoren-System in Polen unter den Kommunisten. Zum einen erlaubte es eine plumpe, aber effektive Zensur westlicher Filme, da unter der Lektorenstimme der Originalton kaum noch zu hören war, zum anderen war das Vorlesen ganzer Filme billiger als die in Deutschland oder Österreich verbreitete Synchronisation. Nur Zeichentrickfilme wie der Kassenschlager "Shrek" werden in Polen mit den Stimmen bekannter Schauspieler synchronisiert.
Pawel Solodki, einem in Polen bekannten Filmkritiker, zufolge zensiert das polnische Staatsfernsehen bis heute ausländische Filme. Allerdings stören weniger politische Inhalte denn Vulgäres, das Fernsehen und katholische Kirche den polnischen Zuschauern und Zuschauerinnen nicht zumuten wollen. So kennen die Polen "Pulp Fiction" nur in einer Art polnischer Weichspülfassung. Es sei denn, sie haben den Film im Kino gesehen. Dort werden ausländische Filme seit je mit polnischen Untertiteln gezeigt. Eine Zensur findet dort nicht mehr statt.
Statt nun aber Kinogenuss im Originalton auch für die Fernsehzuschauer zu fordern, startete Dziennik eine Bildungskampagne. Mit "English First" versucht das Blatt die Masse der an das Lektorensystem gewöhnten Polen von ihren Sehgewohnheiten abzubringen. Wenn sie öfter englische und amerikanische Filme im Original sehen würden, versehen mit polnischen Untertiteln, wären ihre Englischkenntnisse wesentlich besser, argumentiert das Blatt.
Ab Herbst will das zweite polnische Programm mit einem speziell an junge Leute gerichteten Programm diesen Weg gehen. Andere Fernsehgewaltige der staatlichen wie privaten Sender aber lehnten die Einführung von Untertiteln ab. Dabei wären die meisten Polinnen und Polen einem Flirt mit einem amerikanischen Filmstar nicht abgeneigt - und sei es nur in der Fantasie. Nur müssten sie dann zumindest "I love you" sagen können statt nur "Kocham cie".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz