Polen in der EU: La misère polonaise
Der polnische Premier Kaczynski ist in Berlin zu Besuch. Und daheim bricht ihm das katholische Wählerfundament weg in die EU-Länder - ohne sich sündig zu fühlen.
Mit einem zweifellos provinziellen Publikum sind die Kaczynski-Zwillinge an die Macht gekommen. Menschen, die im südlichen Teil Polens leben, in Orten, die Sanok heißen oder Przemysl, Smerekowicz oder Sypów. Männer und Frauen aus den hinterletzten Käffern, deren Älteste, aber nicht sie allein, Trost gespendet bekommen durch Radio Maryja und die priesterlichen Ansprachen zum Sonntag, für ernsthafte Anleitungen für den Gang der Dinge zwischen Montag und der nächsten Messe. Die polnische Regierungspartei PiS darf tatsächlich auch bei den nächsten Wahlen - am 21. Oktober - darauf vertrauen, dass ihnen diese Kundschaft nicht abhandenkommt. Wer auf diesen Flecken Erde aufwuchs, glaubt an den Teufel, an Gott und sonstige Spökenkiekerei.
Liberale haben in diesen Provinzen nur wenig Attraktivität, sie gelten als kalt, hörig den Segnungen des Ökonomischen gegenüber - und obendrein unfromm. So erklärt sich auch, weshalb ein Premierminister wie Jaroslaw Kaczynski außenpolitisch so selbstvertraut aufzutreten pflegt: Mit seiner Basis im Rücken kann er in Brüssel auftrumpfen, was er - autokratisch durch und durch - für recht, für papsttreu und bibelfest hält.
Auf Polittournee
Entsprechend wird der Premier, den seine Gegner seiner bäuerlichen Habitualität wegen gern unterschätzen, heute bei Kanzlerin Angela Merkel zum Besuch erscheinen. Beredet werden soll vieles, hauptsächlich wohl, dass eine Europäerin wie sie nicht wünscht, dass das Polen der Kaczynskis nicht den Quasiverfassungsprozess der Europäischen Union weiter blockiert oder behindert. Jüngst hat die EU einer Entschließung des Europarats zur Ächtung der Todesstrafe nicht folgen können, weil Polen gleichzeitig jedwede Form des Schwangerschaftsabbruchs missbilligt haben wollte. Das wiederum wollten religiös neutrale Länder wie Schweden oder Dänemark nicht akzeptieren.
Dennoch: Nichts auf der Ebene der EU soll mehr schiefgehen, und die Kanzlerin soll das ihr unterstellte Geschick einmal mehr unter Beweis stellen: Der Vertragsentwurf soll nämlich unmittelbar vor der polnischen Parlamentswahl signiert werden. Premier Kaczynski kann also seinen Wahlkampf darauf abstellen, sich als Bewahrer des Polentums in Brüssel aufzuspielen. In Wahrheit aber bröckelt sein Wählerschaftsfundament stetig und schon länger - als ein Resultat der europäischen Wanderungsbewegungen.
Seit dem EU-Beitritt nämlich können polnische Frauen und Männer legal bereits in Irland, Großbritannien und Schweden Arbeit suchen - und sie tun es zu Hunderttausenden. Wer einmal an einem Sonntag auf dem Flughafen der südwestpolnischen Stadt Krakau stand und die Passagiere der Billigflieger nach Manchester, Dublin, London, Glasgow, Göteborg oder Stockholm anschaute, weiß, dass das Gros der geschätzt vier Millionen Polen, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ihr Land als WanderarbeiterInnen verlassen haben, tatsächlich ihre alte Heimat meist nur noch besuchen - und bei der Visite in ihren alten Verhältnissen Wissen über das Leben in den neuen Heimaten verbreiten. Man sieht auf diesem Flughafen Männer wie Frauen in Gruppen, Zimmermänner, Erntehelferinnen, IngenieurInnen, HilfsarbeiterInnen, Schlosser und SchweißerInnen - sie heißen Ania, Maciek, Tomek, Pawel, Krzystof, Magda oder Basia. Menschen, die noch immer gern derbe polnische Wurst essen, wie einst auf Marktplätzen bei der Kirmes lärmen und sich zugleich in den Raffinessen der Zubereitung eines Café latte auskennen. Berater der Kaczynskis berichten, dass die Frömmigkeit in den katholischen Kernen des südlichen Polen schwindet; der Kirchbesuch storniert wird zugunsten der Freiheit, einmal auszuschlafen. Dass also, auf eine Art, mit den Migranten, noch ihren alten Heimaten verbunden, so etwas wie Weltläufigkeit einkehrt, samt dem Geld, das in diese Gebiete zurückfließt. Dass diese Menschen, die möglicherweise auch aus Lust, mal die Welt kennenzulernen, das Schicksal, keine Arbeit im eigenen Weiler gefunden zu haben, genutzt haben. Und liberaler, weniger engstirnig geworden sind. Für die die Welt nicht zusammenbricht, weil einer nicht an Gott glaubt, die, zum Beispiel in Dublin, homosexuelle Nachbarn hatten und sich an sie gewöhnten, ohne sich sündig zu fühlen. Die überhaupt das Provinzielle als zu engmaschige Idee des eigenen Lebens abzustreifen begannen.
Die Linken? Stigmatisiert als korrupt. Die Liberalen? Nach Neoliberalem riechend. Kaczynskis PiS kann wieder siegen - aber es wäre ein Triumph aus Mangel an Alternativen.
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