: Pokémonströses
Um 16:30 Uhr will die ARD mit der Reportage „Schnapp sie dir alle“ das Pokémon-Rätsel lösen
von PHILIPP DUDEK
Fast alle haben diese überdimensionalen Augen, und dieses unterdimensionale Näschen – Kindchenschema für Kinderchen. Und absolut nix für Erwachsene. Somit geht das Kalkül der Hersteller auf: Sie sprechen mit den so genannten „pocket-monsters“ genau die Käuferschicht an, die sie erreichen wollen. Kinder fühlen sich in der Pokémon-Welt wohl, weil sie sich darin auskennen. Erwachsene müssen draußen bleiben.
Den ratlosen und verzweifelten Eltern versucht die ARD jetzt mit der Reportage „Schnapp sie dir alle – das Pokémon-Phänomen“ zu erklären. Und warum ihre Kinder ebenfalls zu kleinen Monstern werden, wenn es um Pokémon geht.
So erklärt der Film, dass sich aus dem Nintendo-Gameboy-Spiel, 1996 auf den Markt geworfen, schnell der der Hype um die komischen Viecher entwickelte. Mittlerweile gibt es Pokémon-Sammelkarten und -Schultaschen, eine Zeichentrickserie und einen Pokémon-Spielfim.
Beim Spiel fungieren die kindlichen Spieler als „Trainer“ und müssen die Monster in einer virtuellen Welt fangen, dressieren und gegeneinander antreten lassen.
Die Reportage von Kristian Kähler zeigt, dass das Geschäft mit dem Viecher-Kult einfach gigantisch ist: Bisher beträgt der weltweite Umsatz über zwölf Millarden Mark. Denn zwei typisch kindliche Themen, Spielen und Sammeln, werden mit den Taschenmonstern aufgegriffen.
Und die Sammelkarten transportieren das Spiel in die reale Welt: Um siewird leidenschaftlich gefeilscht, sie werden getauscht und manchmal auch geklaut.
Über 150 verschiedene Taschenmonster gibt es. Um mit ihren Klassenkameraden mithalten zu können, brauchen die Kinder immer neuen Stoff: Mehr Sammelkarten, mehr Spiele, mehr Pokémon. Aber der Autor beruhigt: Mit Beginn der Pubertät ist die Sucht normalerweise überstanden. Bis dahin steht sowohl Eltern als auch Kindern ein langer Leidensweg bevor.
Die Reportage will die Begeisterung der Kinder der ausgeklügelten Marketingstrategie des Spielmultis Nintendo gegenüberstellen. Leider gelingt das nur ansatzweise. Man kann nur ahnen, mit welchem Kalkül Nintendo den lieben Kleinen das Geld aus den Taschen ziehen will.
Eltern, die von der ARD Aufklärung über das seltsame Verhalten ihrer Zöglinge erwarten, werden enttäuscht. Eher scheinen die Macher des Films selbst etwas ratlos gegenüber dem Phänomen und der Faszination des Spiels. Man steckt halt nicht drin.
Kinder dagegen werden an der Reportage ihre helle Freude haben. Die vielen Gleichaltrigen, die zu Wort kommen, erklären ausführlich Stammbäume und besondere Eigenschaften der kleinen Monster. Der Beitrag ist voll von fachsimpelnden Kindern und verständnislosen Erwachsenen. So ist die Reportage eher ein nicht uninteressantes Abbild der momentanen Situation zwischen Kindern und ihren Eltern als ein kritischer Blick auf die Merchandising-Industrie.
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