Point'n'click: Codes entstellen
■ Witzig?! – Handbuch zur Grammatik der Kommunikationsguerilla
Auf den letzten Seiten des „Handbuchs der Kommunikationsguerilla“ findet sich eine Anzeige, die für den Reader des Autonomiekongresses wirbt. In der heißt es: „Hat die junge Krankenschwester wirklich ein Verhältnis mit Chefarzt Fleischhauer? Und ist Emil der Mörder des bezaubernden Taxifahrers Jack? Wem gehört der Hund? Und was ist mit Pedro? Spannung, Erotik, Leidenschaft. Das Private ist politisch! Lesen Sie jetzt die romantische Zusammenstellung unvergeßlicher Stunden des Autonomiekongresses!“
Ganz schön witzig. Was ist bloß auf einmal mit der deutschen Traditionslinken geschehen, daß das letzte Lebenszeichen der westdeutschen Autonomen plötzlich so oberulkig angepriesen wird? Darum geht es in dem Buch, das sich vor dieser Anzeige befindet.
Von „scharf formulierten“ politischen Manifesten, Demonstrationen und Protestveranstaltungen läßt sich der bürgerliche Staat schon lange nicht mehr irritieren. Und im scheinbar schrankenlosen Pluralismus der Gegenwart sind lautstarke Opposition und ostentatives Anderssein nur noch eine „Option“ unter vielen, um in der Gesellschaft des Spektakels auf sich aufmerksam zu machen. Siehe auch – Love Parade.
„Kommunikationsguerilla“ bedeutet darum für die Herausgeber dieses Buches, die „kulturelle Grammatik“ von fest definierten Situationen dadurch zu unterminieren, indem man genau das macht, was man machen soll – bloß noch etwas schlimmer. Daß man bei CDU-Veranstaltungen dem Redner so begeistert applaudiert, daß dieser nicht mehr zum Reden kommt. Daß man dem chinesischen Ministerpräsidenten beim Staatsbesuch zujubelt. Oder daß man die doofen Werbeplakate am Straßenrand durch kreative Eingriffe noch etwas doofer macht. Durch unauffällige Eingriffe soll das Elend des Alltags in verwirrende Situationen verwandelt werden, die ihren Subjekten den Boden unter den Füßen wegreißen.
„Ist die beste Zerstörung nicht die, die Codes entstellt, statt sie zu zerstören?“ Dieses Zitat von Roland Barthes steht fett auf den ersten Seiten dieses „Handbuchs“, das sich schon auf den ersten Blick von den üblichen Publikationen aus der Ecke ganz links außen unterscheidet. Der Umschlag ist den „Jetzt helfe ich mir selbst“-Autobastelbüchern nachempfunden. Statt aus einer langen, fußnotengespickten Abhandlung besteht das „Handbuch“ aus vielen kurzen Texten, Bildern von manipulierten Anzeigen, Beschreibungen von Interventionen und Fakes. Und in einer seltsamen „Solidargemeinschaft“ finden sich plötzlich die Dadaisten und Chumbawamba, die Spaßguerilla und Laibach, die Situationistische Internationale und die Barbie Liberation Front wieder.
„Die Autorinnen haben die Nase voll von der Ausschließlichkeit furztrockenen Flugblattschreibens und dem (letztlich auch autonomen) Dogma, daß Linke bestenfalls über politisches Kabarett lachen dürfen, ansonsten aber zeigen müssen, daß sie das Leid und die Ungerechtigkeit der Welt auf ihren schmächtigen Schultern tragen“, steht im Vorwort. Denen hängt es wohl auch langsam zum Hals raus, daß ihnen immer vorgeworfen wird, sie würden zum Lachen in den Keller gehen und in ewigen „Plena“ jede kreative Idee zerreden.
Doch durch das manische Analysieren, Kategorisieren, Einordnen, das dieses Buch durchzieht, hilft man dem eigenen Anliegen kein Stück weiter. Im Gegenteil: Wenn die Fälschungen, Störungen, Provokationen, die das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ in aller Länge und Breite schildert, erst mit Begriffen wie „Faking“, „Sniping“, „Cultural Jamming“ und „Subvertising“ eingedost und gefriergetrocknet sind, weiß man schon gar nicht mehr, was das Ganze überhaupt sollte. Durch diesen akademischen Gestus wird genau das kaputtgemacht, was die hier beschriebene Suspendierung des alltäglichen Einerleis mal interessant gemacht hat: ihre Unvorhersehbarkeit und die offenen Situationen, die sie eigentlich provozieren soll.
So ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch an deiner Uni das erste Proseminar über „Strategien und Ziele der Kommunikationsguerilla“ im Vorlesungsverzeichnis angekündigt wird. Die „Kommunikationsguerilleros“, denen wir das Handbuch verdanken, könnten die ersten sein, die sich wünschen, daß die apokryphen Dinge, die sie in ihrem Buch beschreiben, für immer apokryph geblieben wären. Tilman Baumgärtel
autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, Luther Blissett/Sonja Brünzel: „Handbuch der Kommunikationsguerilla“. Verlag Schwarze Risse/Rote Straße, 29,80 DM
Archiv der Kommunikationsguerilla im Internet: http:// www.contrast.org/KG/
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