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Pointillist der Verführung

Über Michel Devilles neuen Film „Sweetheart“  ■ Von Gerhard Midding

Michel Deville liebt Spiele, ohne dabei eigentlich eine Spielernatur zu sein. Ihn fesselt nicht das Risiko, er interessiert sich vielmehr für Strategie und Geschicklichkeit. Und da er sich am allermeisten für Spielregeln interessiert, tritt in seinen Filmen anstelle von Leidenschaft der verfeinerte Genuß. Darin steckt für ihn immer auch ein Spiel, eine Wette mit der eigenen filmischen Vorstellungskraft: Wird es mir gelingen, die Zuschauer zu verblüffen, obwohl ich meine Geschichten in altgedienten Genres erzähle?

Meist erzählt Deville von der Korrumpierbarkeit der Unschuld, ein Thema, das gleichermaßen gut in erotischen Komödien wie in Kriminalfilmen aufgehoben ist. Er ist ein Pointillist der Verführung, der es liebt, die Körper seiner Protagonisten in Großaufnahmen zu fetischisieren und damit gleichsam Indizien auszulegen, die die Schaulust der Zuschauer ködern sollen. So folgt seine Karriere einer verläßlichen, aber nicht starren Abwechslungstaktik. Auf das Zweipersonenstück „Eine Sommernacht in der Stadt“, einer harmlosen Koketterie mit der Einheit von Raum, Zeit und Handlung, kontert er nun mit der Adaption des Romans „Sweetheart“ des Amerikaners Andrew Coburn, einer ambitionierten, überaus komplizierten Kriminalintrige.

Vier Hauptfiguren versuchen, ihre gegenseitigen Täuschungsmanöver zu durchschauen und die Pläne ihrer Kontrahenten zu durchkreuzen. Gardella (Jacques Dutronc, noch immer so erschreckend hager wie in „Van Gogh“) ist ein zwielichtiger Geschäftsmann. Der ehrgeizige Interpol-Agent Turston (Vernon Dobtcheff) versucht schon seit langem, ihm das Handwerk zu legen. Der unerfahrene, aber abenteuerluste Provinzpolizist Vade (Patrick Bruel) wird von Turston auf Gardella angesetzt. Schließlich Jeanne (Mathilda May), Gardellas zweite Frau, die sich nicht damit abfinden kann, im Machtkampf der Männer die Rolle des Köders oder der Trophäe zu spielen. Ein ganzes Ensemble von Komplizen, Alter egos, Stichwortgebern und Rivalen hat Coburn in seinem Roman um dieses Quartett geschart, allesamt mit versponnener Liebe, skizzierte Charaktere voller Eigensinn und doch heillos in ein Netz aus Manipulation und Abhängigkeit verstrickt.

„Sweetheart“ ist kühles, raffiniertes Figurenschach. Die Dialogführung (Rosalinde, die Ehefrau Devilles, zeichnet für das Drehbuch verantwortlich) ist elegant und musikalisch. Die Devilles würden einen charakternahen Dialogsatz jederzeit einer espritvollen Replik opfern; es trifft sich gut, daß sich dies auch mit den Bedürfnissen der Figuren deckt, die es nicht riskieren können, eine Verletzbarkeit zu zeigen. Man bewegt sich in wohltemperierten, erlesen ausgestatteten Interieurs und weiß sich dementsprechend zu benehmen. Auch die federleichte Handlungsführung und Inszenierung suggerieren zunächst, alles würde glatt verlaufen. (Es fragt sich nur: nach wessen Plan?) Der Spitzeldienst hält für den jungen Vade (den Turston zärtlich-ironisch „joli coeur“ getauft hat) reichlich erotische Versprechen bereit. Die Diskretion, mit der er diesen begegnet, wiegt ihn in der Sicherheit, er könne auch die drohenden Gefahren meistern. Daß sich, wie der Originaltitel „Toutes Peines Confondues“ schon annonciert, letztlich alle Arten von Mühsal, Schmerz und Strafe miteinander vermischen werden, läßt Deville auf subtile Weise vorausahnen. Die Schauplätze (Lyon, Savoyen und Zürich) bieten eine eher melancholische als malerische Kulisse für die Intrigen, und die Musik — Deville hat sie aus den Streichquartetten Schostakowitschs ausgewählt — mischt sich zusehends ins Geschehen ein: Sie setzt dort, wo man eine heitere Untermalung erwartet hätte, ahnungsvoll düstere Akzente. Deville weiß, daß er am Ende Sieger und Opfer gegeneinander aufrechnen muß. Und er weiß auch, daß dies keine tröstliche Bilanz sein wird.

„Sweetheart“ (Toutes Peines Confondues), Frankreich 1992. Regie: Michel Deville; mit Jacques Dutronc, Patrick Bruel, Mathilda May u.a., 107 Min.

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