Podcast über Klasse: Hyper, hyper
Mit einem Podcast will das linke Magazin „Jacobin“ den Fokus auf den Klassenkampf lenken. Funktioniert das?
Löhne, Tarife, Renten – was die Leute „früher“ beschäftigt und manchmal sogar auf die Straße gebracht hat, mobilisiert heute nur noch selten. Geht es dagegen um Identitäten und Lebensentwürfe, um richtige oder falsche Worte, Kleidung, Ernährung, dann ist das Empörungspotenzial enorm.
So ließe sich die These des Historikers Anton Jäger zusammenfassen, der Anfang des Jahres für das linke Magazin Jacobin in einem Essay beschrieb, wie in der heutigen Zeit „der Kampf der Klassen“ durch „die Gegenüberstellung von Identitäten“ ersetzt werde. „Hyperpolitik“ nannte Jäger das. Entpolitisiert, so schreibt er, sei die Welt nicht – aber anstatt dass es (wieder) ums Wesentliche geht, streitet man sich um Oberflächlichkeiten. Und nichts verändert sich.
Brandneu ist diese These nicht, dennoch ist Jägers unaufgeregte ideengeschichtliche Einordnung treffend – und inspirierte wohl auch deswegen die Macher*innen des deutschen Ablegers von Jacobin dazu, einen Podcast mit dem Namen „Hyperpolitik“ zu starten. „Während jeder noch so belanglose Bereich des Alltags mit politisch aufgeladenen Kulturkämpfen überzogen wird, steckt die Politik selbst im Modus der Alternativlosigkeit fest“, heißt es im Ankündigungstext.
Seit November soll es nun alle zwei Wochen in einer einstündigen Sendung endlich wieder ums Ganze gehen: Klassenlagen, Verteilungsfragen, die ganze Palette seit Marx. Drei Episoden wurden bislang veröffentlicht, in denen Ines Schwerdtner, Chefredakteurin von Jacobin, und Nils Schniederjann, zuständig für Audio und Video beim Magazin, über aktuelle Themen sprechen. In der ersten Ausgabe ging es unter anderem ums Bürgergeld, in der jüngsten Episode etwa um Korruptionsskandale in der EU, die Reichsbürger-Bewegung und die Bestrebungen des Finanzministers, eine Aktienrente einzuführen.
Keine linke Lehrstunde
Insbesondere Letzteres ist ein komplexes Thema, bei dem Chefredakteurin Schwerdtner in einer knappen Viertelstunde durch die Geschichte von Bismarck bis Riester-Rente reiten muss, um zu erklären. Dann ordnet Schniederjann nüchtern, aber klassenpolitisch ein: „Plötzlich kämpft man gemeinsam mit den Unternehmerinnen und Unternehmern dafür, dass die Aktien steigen. Das ist total perfide, weil am Ende profitieren von den steigenden Aktien im viel höheren Maße diejenigen, die sowieso schon viel haben.“
Zur linken Lehrstunde verkommt das Format aber nicht: Schwerdtner und Schniederjann tragen sympathisch-locker vor und lassen immer rechtzeitig Raum für den ein oder anderen Gag neben all den ernsten Themen. Hauptsache nicht von oben herab – das scheint der Anspruch zu sein, hinter dem hin und wieder ein wenig Komplexität verschwinden darf. Keine falsche Idee für einen Podcast, der sich zumindest der Theorie nach nicht nur an Student*innen, sondern an die gesamte beherrschte Klasse richten möchte.
Wie nun aber wegkommen vom „Modus der Alternativlosigkeit“? Zwar spielen Gewerkschaften und Demonstrationen in den ersten drei Folgen „Hyperpolitik“ durchaus eine Rolle, mobilisiert werden die Hörer*innen aber nicht so richtig. Womöglich sollen sie das auch nicht. Dann stellt sich allerdings die Frage, inwiefern der Podcast dem hyperpolitischen Modus linker Debatten wirklich etwas entgegenzusetzen weiß.
Nichtsdestotrotz: Die ersten drei Folgen „Hyperpolitik“ lassen hoffen, dass hier ein angenehm unaufgeregtes Format wächst, das seine Hörer*innen vor allem etwas erklären möchte, ohne Handlungsempfehlungen und Sprachleitfaden mitzuliefern. Wird das dem eigenen Anspruch gerecht? Vielleicht noch nicht ganz. Aber man muss ja nicht aus allem gleich ein Politikum machen.
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