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■ Christopher-Street-Day-Demonstrationen: Aus einer radikalen Minderheit ist eine Massenbewegung gewordenPluralität ist Trumpf

Alle Jahre wieder zum Christopher Street Day (CSD) wird im schwulen Feuilleton die Sinnfrage gestellt: Brauchen wir eigentlich noch eine Schwulenbewegung? Ist nicht alles nur Party und Kommerz? In gleicher Regelmäßigkeit demonstrieren Zehntausende auf den CSD-Paraden, wie absurd diese Fragen sind. Schwule und Lesben gestalten „ihren Tag“ als politisches Bürgerfest in lange verschütteter radikaldemokratischer Tradition. Sie schaffen eine Synthese aus Fun und Forderungen. Und zu fordern gibt es noch genug: von der Anerkennung der Lebensgemeinschaften bis zum Antidiskriminierungsgesetz.

Neu waren die Parolen für den CSD 1997 freilich nicht. Aber das sollte nicht den DemonstrantInnen peinlich sein, sondern der politischen Klasse. Bei der Homo-Politik gehört die Bundesrepublik wahrlich nicht zu den Vorreitern in Europa. Richtige Forderungen werden nicht dadurch falsch, daß man sie zwanzig Jahre lang wiederholen muß. Sie werden nur um so drängender.

Beim CSD in London überbrachte der neue Labour-Kulturminister ganz selbstverständlich „Grüße von Tony“. Auch in Paris reihten sich Minister der Linksregierung erstmals in die CSD-Parade ein. Justizministerin Guigou versprach eine rasche rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare. In Deutschland wagten sich von den Altparteien nur einige Landespolitiker unter das schwul- lesbische Volk. Die Bonner Prominenz blieb fern.

Trotz aller gesellschaftlicher Erfolge ist der politische Durchbruch noch nicht gelungen. Homosexuelle Lebensweisen sind rechtlich weiterhin nur geduldet. Duldung ohne Rechtssicherheit steht unter ständigem Rückrufvorbehalt. Am offensichtlichsten manifestiert sich die Diskriminierung in der Rechtlosigkeit homosexueller Paare. Zu Recht bildet die sogenannte „Homo-Ehe“ daher einen Schwerpunkt schwul-lesbischer Bürgerrechtspolitik.

Ein Blick nach Skandinavien zeigt: Wie nicht anders zu erwarten, zieht es nur eine Minderheit der Homosexuellen tatsächlich in den Ehestand. Dennoch ist das Standesamt für Schwule und Lesben politisch der entscheidende Ort. Hier liegt die Grenzlinie zwischen Duldung und Akzeptanz. Hier geht es um eine prinzipielle Frage von Bürgerrechten und Wahlfreiheit. Ein solch verbrieftes Recht auf Homosexualität dient allen, ob sie sich nun ewiglich binden oder lieber 1.000 Hochzeitsnächte in der schwulen Sauna feiern wollen. Das ist der „Basis“ längst klar. Überall auf den Paraden bekamen die Ehe-Transparente und Hochzeitskutschen besonders kräftigen Szenenapplaus.

Ein Jawort des Bundestages für die Homo-Ehe hieße übersetzt, Staat und Gesellschaft sagen feierlich: Jawohl, schwule und lesbische Lebensweisen sind bei uns erwünscht. Darin liegt auch der eigentliche Grund, warum manche Veteranen der Schwulenbewegung die Homo-Ehe ähnlich scharf verdammen wie im anderen Lager Familienministerin Nolte oder Erzbischof Dyba. Sie halten sich als Homosexuelle für den fleischgewordenen Systemwiderspruch und ziehen aus dem Außenseiterstatus ihre Identität. Ihnen schaudert davor, daß die Gesellschaft sie dereinst für erwünscht erklären könnte. Gleichberechtigung ist bisweilen nicht nur für Rechtskonservative schwer zu ertragen.

Auf der recht erfolglosen Jagd nach Utopien jenseits von Gleichberechtigung hegte die Schwulenbewegung alten Typs stets sehr rigorose Vorstellungen darüber, wie ein richtiges schwules Leben auszusehen habe. Wer nicht ins Raster paßte, wurde in vielen Gruppen schnell ausgegrenzt. Die CSD-Kultur der letzten Jahre hat solche Verengungen überwunden. Am schwulen Kampftag trifft sich alles: Punker und Banker, Einfamilienhausbesitzer ebenso wie Wohngemeinschaftsliebhaber. Seit der Bürgerrechtsansatz sich in der Bewegung durchsetzte, ist Pluralität Trumpf. Eine Bürgerrechtsbewegung sitzt nicht zu Gericht über individuelle Lebensentwürfe. Sie will die Rahmenbedingungen dafür schaffen, daß Schwule ihr Leben selbstbestimmt entwickeln können – frei von Anfeindungen und rechtlichen Nachteilen, frei von Anpassungsdruck an alte Normen.

Freilich darf man sich nicht auf den Clinch mit Paragraphen beschränken. Bürgerrechtspolitik hat mehr zu bieten. Schwule sollten sich einmischen in die Diskussion um eine Neubegründung des Sozialen. Sie können einiges an Erfahrung einbringen. Die Aids- Krise hat gezeigt, zu welchen Solidaritätsleistungen die angeblich so hedonistischen Schwulen fähig sind. Füreinander einstehen, Verantwortung übernehmen in der schwulen „Familie“, das sind Werte, die gerade gegenüber den Drohungen einer neoliberalen Wolfsgesellschaft Attraktivität entfalten.

Die Schwulenbewegung darf sich nicht auf ihren Erfolgen ausruhen. Die mancherorts erkämpfte bescheidene öffentliche Förderung schwuler und lesbischer Projekte muß schon wieder verteidigt werden gegen christdemokratische Demagogie und neoliberale Denunziation. Daß von Schwulen und Lesben nicht nur Steuern eingetrieben werden, sondern neuerdings ein kleiner Bruchteil davon auch für die Belange der homosexuellen BürgerInnen Verwendung findet, empört das konservative Deutschland regelmäßig. Der „Bund der Steuerzahler“ zetert zum Beispiel über Finanzausgaben „auf Kosten der Allgemeinheit“ – als gehörten Schwule und Lesben wie selbstverständlich da nicht dazu.

Solange Eltern noch in Heulen und Zähneklappern ausbrechen, wenn sie entdecken, daß ihr Sprößling den Männern zugeneigt ist, besteht weiter Bedarf an Information und Aufklärung. Auch an bewegungsinternem Diskussionsstoff herrscht kein Mangel: Das Generationsthema gehört auf den Tisch. Wir müssen uns unserer Alten und unseres eigenen Alters annehmen. Die Schwulenbewegung muß zudem lernen, Immigranten zu integrieren und sich mit deren Herkunftskultur auseinanderzusetzen.

Alles erreicht? Keine Themen mehr? Bewegung am Ende? Unsinn. Während manche Autoren angesichts der Integrationserfolge ein Verschwinden der Kategorie Homosexualität bejammern, zeigen sich die angeblich Schwindsüchtigen in immer größerer Zahl auf der Straße. Auch 1997 hat die CSD-Beteiligung wieder alle Rekorde des Vorjahres gebrochen. Aus der kleinen radikalen Minderheit ist eine Massenbewegung geworden. Was hier schwindet, ist nicht die Homosexualität, sondern sind Angst, Verkorkstheiten und Selbsthaß. Günter Dworek

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