Platzstürme in der Fußball-Bundesliga: Platz da!
Die Entrüstung über Platzstürme in der Bundesliga ist allerorten recht groß. Warum Fußballfans auf den Rasen gehören.
A chtung, Achtung, hier spricht die Polizei. „Dieser Platzsturm hätte auch in einer Katastrophe enden können“, sagte der Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz bei der Polizei Gelsenkirchen, Peter Both. Er meint die Schalker Fans, die auf dem Rasen den Aufstieg feierten. Da darf die Bild nicht fehlen, die eine „Warnung vor gefährlichem Platzsturm-Trend!“ ausspricht.
„Entscheidend is auffem Platz“, wusste Ady Preissler, und diese wirklich kluge Erkenntnis hat eine Bedeutung, die sich weder Polizei noch Bild erschließt. Damit Kritik an dem, was auf dem Platz passiert, Wirkung zeigt, sollte sie nämlich eher nicht via Kommentaren in Fanforen geäußert werden, auch nicht zeitnah auf Twitter, sondern da, wo das Entscheidende passiert. Um sich solcher angewandter Kritik zu entziehen, haben die Verantwortlichen ja schließlich scheinobjektivierende Instrumente wie den VAR eingeführt. Das Entscheidende des Fußballs soll digital sein, nicht mehr auffem Platz.
Auch die Nähe zu den Spielern ist ja immer weniger körperlich. Man kann ihnen auf Social Media folgen, aber persönlich erlebt ein Fan sie nicht: Fußballprofis gehen nicht mehr ins Vereinsheim. Den Fußball und seinen Ort in einem kulturellen Sinne zu besitzen, ist der berechtigte Anspruch der Fans, das ist es, was ihren Sport so populär macht: Wir sind der Fußball, wir haben hier unseren Platz.
In Frankfurt oder Köln war, wie Polizeileute so etwas umschreiben, „alles glimpflich abgelaufen“, auf Schalke haben sich leider tatsächlich 18 Fans verletzt. Ob aber die Einschätzung des Polizeidirektors Both richtig ist, dass „durch das unmittelbare und schnelle Eingreifen zahlreicher Polizeibeamter“ Schlimmeres verhindert worden wäre? Dafür spricht eher nichts. Etliche Verletzte in der Schalker Arena waren schon auf den Tribünen gestürzt. Es hatte, wie Philipp Selldorf in der Süddeutschen schreibt, „nichts mit Gewalt, sondern mit den baulichen Gegebenheiten zu tun“.
Bedürfnis nach Nähe
Es ließe sich eine Geschichte des Fußballs schreiben, die nur auf das Recht von Fans schaut, den Platz zu betreten. Am Anfang war die Wiese, auf der gekickt wurde, und die Leute standen drum herum. Bald kam berittene Polizei und sorgte, in dem sie mit dem Pferd immer größer werdende Kreise drehte, dafür, dass der zu bespielende Platz frei wurde. Zum Problem wurden und werden Fans in dem Moment, in dem sie die Regeln durchbrechen und den Rasen betreten: Manchmal sind es Flitzer, manchmal empörte Anhänger, manchmal jubelnde Fans, die ihren Stars nahe sein wollen.
Stadien so zu bauen, dass die Innenräume geschützt sind und Platzstürme verhindert werden, war schon einmal architektonischer Trend. Es waren in den 1980er Jahren die Zäune, gegen die in Stadien wie Heyssel und Hillsborough Menschen gedrückt wurden, oft von der Polizei, und dort zu Tode kamen. Menschen in Zäune zu sperren, war, was die Fans immer gesagt hatten: eine tödliche Gefahr, entstanden aus ordnungspolizeilichen Wahnvorstellungen.
Die Zäune verschwanden, aber von der Analyse, dass es die gegen die Käfigwände gedrückten Fans seien, von denen die Gefahr ausging, wollte das Fußballestablishment nicht lassen. Sie störte diese Form der proletarischen Öffentlichkeit schon lange. Nun sollten die Besucher ausgetauscht werden: aus den klassischen Stehplatzfans mit Bratwurst und Plastikbecherbier sollten ernährungsbewusste und gut situierte Schalensitzehocker werden.
Das hat zum Teil geklappt, aber besonders hartnäckige Fans sind immer noch da, und das sind naheliegenderweise die, denen Fußball und ihr Verein ganz besonders viel bedeuten. Wenn aber die nicht mehr so agieren dürfen, wie es zu ihrem Verhältnis und Verständnis von Fußball passt, dann ist die Veranstaltung da unten auf dem Rasen auch kein Fußball mehr, nicht mehr das soziale Faszinosum, das in den vergangenen 150 Jahren so einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert erhielt. Das wäre eine Katastrophe, vor der einen auch die Polizeidirektion Gefahrenabwehr/Einsatz nicht schützen könnte.
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