Planungsstopp für Radinfrastruktur: Angriff auf die Verkehrswende
Die Verkehrssenatorin will alle Projekte auf Eis legen, bei denen der Autoverkehr eingeschränkt wird. Die Bezirke und die Bewegung sind schockiert.
„Alle […] genannten Projekte und noch nicht begonnenen Maßnahmen ruhen bis zur Billigung der weiterentwickelten Jahresplanung“, so Schreiner. Insbesondere wolle die Senatsverwaltung Alternativen prüfen, die „weniger Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr“ mit sich brächten. Ausgenommen seien lediglich Projekte an Unfallschwerpunkten und in Schulnähe.
Der Mitteilung ging eine Mail Schreiners an die Lichtenberger Verkehrsstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) vom Mittwochabend voraus, die Keküllüoğlu in der Bezirksverordnetenversammlung am Donnerstag verlas. Darin forderte Schreiner zusätzlich den Stopp aller Projekte, die die Einführung von Tempo 30 über lange Strecken beinhalten. In der Mail kündigte die Verkehrssenatorin an, ihre Senatsverwaltung würde „künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen“.
Bei den Bezirken, die in den meisten Fällen für die Planung von Radwegen verantwortlich sind, rief Schreiners Ankündigung überwiegend Entsetzen hervor. Gerade für Projekte, die sehr weit fortgeschritten seien, sei der Planungsstopp eine „Vollkatastrophe“, sagte der Neuköllner Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) am Sonntag der taz. So müsse der Bau eines geschützten Radweges auf der Hermannstraße noch in diesem Jahr beginnen, da er zu großen Teilen aus Bundesmitteln finanziert würde. Verzögere sich der Bau, gingen die Fördergelder verloren. „Mit dem Stopp schießt die Senatsverwaltung Millionen an Fördermitteln in den Wind“, fürchtet Biedermann.
Verkehrswendebewegung unter Schock
Die Notwendigkeit für die Überprüfung kann der Stadtrat nicht nachvollziehen. Jedes Projekt sei oft über Jahre intensiv von Fachleuten geprüft und in etlichen Schleifen mit allen Akteur:innen abgesprochen worden. „Es ist nicht so, als würden da ein paar Fahrradideologen einfach Linien auf Pläne zeichnen.“
Verwunderlich sei auch, berichtet Biedermann, dass er und viele Kolleg:innen aus anderen Bezirken gar keine Mail von der Senatsverwaltung bekommen und erst durch Medienberichte von Schreiners Plänen erfahren hätten.
Für die Verkehrswendebewegung ist der Planungsstopp ein Schock. „Sichere Radwege, Tempo 30 und die Reduktion von Parkplätzen sind die wesentlichen Bestandteile der Verkehrswende“, sagt Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen der taz. „Ich fürchte einen Rollback unserer bisherigen Errungenschaften.“ Am Freitagnachmittag versammelten sich bereits mehrere hundert Aktivist:innen zu einer Spontandemonstration vor dem Sitz der Verkehrssenatsverwaltung in Mitte. Für die nächsten Wochen überlege Changing Cities, auch bundesweit zu mobilisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs