Planningtorock und Swamp Dogg: Beulah tanzt für ihr Leben gern

Dancefloor wird bei der Elektronik-Künstler*in Planningtorock zur befreiten Gender-Zone. US-Soulie Swamp Dogg lebt länger dank Autotune.

Das Gesicht einer Frau von ihren langen Haaren umrandet

Sozialisiert mit queerem Pop: Planningtorock Foto: Goodyn Green

Seit 2014 wird viel über Gender geredet. Zu viel, finden viele. Die Vokabel „Genderwahn“ hat Karriere gemacht als Kampfbegriff der Neuen Rechten. Auch unter Linken wächst das Unbehagen, vor allem bei solchen, die identitätspolitische Nabelschau für den Aufstieg von Rechtsnationalen verantwortlich machen, und damit machen sie es sich selbst zu einfach. „Let’s talk about Gender, Baby“ war der Hit auf dem 2014er-Album der britischen Künstlerin Planningtorock. Um den Zauber des Songs zu verstehen, muss das popistisch leichte Baby unbedingt mitgehört werden, damit es nicht vom schweren Gender erdrückt wird.

Keine Kunst verhandelt so exzessiv Identitätspolitisches wie die Popmusik und eignet sich in den Psycho-Modi Adaption, Identifikation und Projektion so gut für identitätspolitischen Konsum. Wenn der Konsum einhergeht mit Ekstase und Rausch, lassen sich Identitäten switchen oder – mit David Bowie – ch-ch-changen. Pop verhandelt Coming of Age, Coming-out und Verwandlungen, Lou Reeds populärster Song „Walk on the Wild Side“ erzählt von einer Bein-Rasur, nach der Er eine Sie ist, hey Babe, take a … „Transformer“ heißt das Album.

Von Transformationen physischer, psychischer und sexueller Art handeln viele Songs auf „Powerhouse“, dem neuen Planningtorock-Album. Das konvertiert autobiografisch grundierte Identitätspolitik in glitzy-charming-sexy Electro-Pop mit hymnischen Refrains und räumt den naheliegenden Einwand aus, dass es sich hier um vertonte Flyer handle. Nein, Planningtorock ist nicht das Feine Sahne Fischfilet des Genderwahns. Plan­ningtorock kommt 1971 als Janine Rostron im nord­englischen Bolton zur Welt.

Pubertät mit Wham!

Die Pubertät erreicht sie, als der britische Pop seine queere Blüte erlebt. Culture Club, Wham!, Frankie Goes To Hollywood, Bronski Beat, Dead Or Alive, Marylin, Soft Cell, Erasure. Und Freddy Mercury. In der TV-Sendung „Top of the Pops“ sieht Janine effeminierte Männer, SM-Männer, Club-Tropicana-Männer, Falsett-Männer, Boys, die aus ihrer Smalltown flüchten. Männer, die Männer zum Orgasmus bringen. Relax! Während die pubertierende Janine den hedonistisch-transgressiven Sound inhaliert und versucht, den Gender Trouble zu enträtseln, verkündet Prince die Nachricht von der „big disease with a little name“. Derselbe Prince gibt sich später in einem Anfall von Genderwahn avant la lettre den unaussprechlichen Namen „Tafkap“ („The artist formerly known as Prince“).

20 Jahre nach dem Aids-Schock, der dem queeren Pop-Zauber ein Ende macht, verlässt Janine Rostron die Smalltown und geht nach Berlin. „Hier passieren Dinge, die anderswo nicht möglich sind“, sagt Planningtorock dem Internetradio ByteFM. Möglich: ein relativ freies, gefahrloses Leben in Soziotopen abseits der Hetero-Norm. Janine Rostron ändert ihren Vornamen und nennt sich geschlechtsneutral: Jam. Transformiert wird auch die Stimme. Die ist zunächst als weiblich identifiziert, das ändert sich 2014 auf dem Album mit dem sprechenden Titel „All Love’s Legal“. Planningtorock pitcht die Stimme runter, mal klingt sie nach Jimmy Somerville oder Sylvester, mal nach Antony/Anohni oder dem metallischen Gurgeln der autogetuneten Cher.

„Ich fühlte mich als non-binäre, gender-queere Person, aber ich hatte nicht die Terminologie, um meine Identität zu benennen“, sagt Planningtorock. „Als ich dann meine runtergepitchte Stimme hörte, war das so, als ob ich zum ersten Mal mich selbst höre.“ So erklärt Planningtorock en passant den Siegeszug von Autotune. Durch den Autotune-Effekt oder simples Pitchen wird die Stimme so weit verfremdet, überschminkt, dass wir nicht wissen, welches Geschlecht sie hat. Aus dem Werkzeug zur Reparatur stimmlicher Schwächen wird ein Stilmittel. Die geschminkte Stimme korrespondiert mit fluiden, changierenden Netzidentitäten, die wir uns zu- und wieder ablegen können. Und mit der endlosen Modifikationsarbeit am eigenen Körper, die Lust bringen kann, aber auch Qualen.

Qua Technologie zur Stimme

Planningtorock findet qua Technologie zur eigenen Stimme: „Als ob ich zum ersten Mal mich selbst höre“ – der Satz ist ja auch deshalb so schön, weil er den reaktionären Mythos der Authentizität unterläuft, den rockistischen Glauben an die echten Gefühle, die sich einstellen, wenn Tom Waits genug Bourbon trinkt. Auf „Powerhouse“, dem neuen Planningtorock-Album, entsteht ein irritierender Kontrast zwischen der manipulierten Stimme und den biografischen Songs. „Ein Powerhouse ist eine Person, die sich gegen alle Widrigkeiten des Lebens durchsetzt“, sagt Planningtorock und jubiliert im gleichnamigen Song: „Oh Mother, you’re a powerhouse!“ Zu den Widrigkeiten des Rostron’schen Familienlebens gehören ein abwesender Vater, ein empathieloser Bruder und eine todkranke Mutter.

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Und Beulah. „Meine Schwester brachte mich zur House Music, sie ist autistisch und hat obsessiv diesen Sound gehört, er hat ihr dabei geholfen, in einer feindseligen Gesellschaft klarzukommen.“ In „Beulah loves dancing“ erzählt eine nicht verfremdet anmutende Sprechstimme die Story der Schwester, bevor die gepitchte Planningtorock-Singstimme im Refrain den euphorisierenden House-Groove aufnimmt – unwiderstehlich.

Scham kommt nicht auf ob der intimen Familien-Details. Planningtorock hört sich selbst, wir hören eine bearbeitete Stimme. Sonst wäre das schwer zu ertragen. So aber ist Planningtorock mit „Powerhouse“ ein Popalbum der klassischen Art gelungen: catchy Melodien, großmäulige Slogans, fluoreszierende Synthesizer, der Dancefloor als temporär befreite Zone, geheimnisvoller Glamour.

Terror der Intimität

Hart am Terror der Intimität segelt auch Swamp Dogg auf seinem neuen Album „Love, Loss, and Auto-Tune“. Der 76-jährige Afroamerikaner ist ein Protagonist jener Musik, die von ihren weißen Fans gern als unmittelbarer, unverfälschter Ausfluss der schwarzen Seele unter Ausschaltung von Hirn und Technik (miss)verstanden wird: Soul! Statt den neumodischen Technokram altersgemäß zu verabscheuen, stürzt sich Swamp Dogg auf Autotune.

Ein Mann in einem gelben Ganzkörperanzug sitzt auf einem Bett und guckt auf einen Teppich sich

Schicker Teppich: Swamp Dogg Foto: David McMurry

In steinerweichenden Elektroballaden betrauert er seine Frau und Exmanagerin Yvonne Williams, die 2003 starb. Aber „Love, Loss, and Auto-Tune“ ist auch ein Album über schwindende Männlichkeit. Was bedeutet es, wenn die gebrechliche Stimme des einst so virilen Sängers verfremdet wird? Versteckt er sich? Schämt er sich? Aus dem Nebenzimmer croont eine Männerstimme herüber, leicht zitternd: „Answer me, oh, my love“, gestern warst du noch mein, doch unsere Liebe geht dahin. Wehmut steigt auf, angenehm warm. Aber dann, aus der oberen Etage: übersteuerte Streicher, Fanfarenattacken. Hört der Nachbar wieder Schönberg? Der Crooner leiert. Hat jemand den Plattenspieler von 33 auf 45 gestellt? Nix da, Croonerschwermut und Störgeräusch kommen aus demselben Raum.

„Answer Me, My Love“ ist ein Standard des American Songbook, unsterblich gemacht von Nat King Cole. Auch Swamp Dogg legt die Trauer über die Vergänglichkeit in seinen Vortrag – und schickt die Aufnahme an seine weißen Koproduzenten, Ryan Olson von der Elektropop-Band Polica und Bon Iver, Posterboy des introvertiert-sensiblen Vollbartpop. Die bearbeiten den Vokalpart mit digitalem Staub und pitchen die Stimme nach 53 Sekunden ins Groteske.

Planningtorock: „Powerhouse“ (DFA/PIAS/Rough Trade)

Swamp Dogg: „Love, Loss and Autotune“ (Joyful Noise/Cargo)

Der V-Effekt sagt: Nein, länger als 53 Sekunden kannst du „Answer Me, My Love“ heute nicht mehr schönsingen, wie Cole vor 64 Jahren, ohne die Todsünde des alternden Sängers zu begehen: Nostalgie nach einer Idylle, die so nie existiert hat. Selten war die Rede von der Dekonstruktion so angebracht wie bei „Love, Loss, and Auto-Tune“. Selten war Musik gleichzeitig derart deprimierend wie euphorisierend. So kommt es, dass zwei der tollsten Alben des Jahres mit digitalen Pop-Technologien das ernste Spiel mit Identitäten treiben, mit den Versprechen der Metamorphosen. Und das von zwei Figuren, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

In diesem Text kommen keine auf Planningtorock bezogenen Pronomen vor. Planningtorock schlug geschlechtsneutrale Begriffe vor: „Dier“, wie in: „dier gender-queere Künstler*in“, „sier“, wie in: „Sier hat ein neues Album.“ „Siehr/e/n“, wie in: „Sier pitcht sihre Stimme.“ Das ist kompliziert und sorgt für Heiterkeit unter Gendermüden. Ich habe auf die neuen Wörter verzichtet, sie würden in einer Plattenkritik zu viel Aufmerksamkeit fordern. Aber: Sprache spiegelt und stiftet neue Realitäten, alte Begriffe verschwinden, mit ihnen alte Realitäten. Oder was würde die AfD-Chefin sagen, spräche man(n) sie als „Fräulein Weidel“ an, nur weil sie nicht mit einem Mann verheiratet ist wie AKK?

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