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Plakataktion gegen SozialabbauBahn übt vorauseilenden Gehorsam

Kritik unerwünscht: Der Bahnkonzern will keine Plakate der Wohnungslosenhilfe gegen die derzeitige Sozialpolitik aufhängen - um die Regierung nicht zu verärgern.

"Menschen in Armut und Wohnungsnot haben ein Recht auf Wohnen, Arbeit, Gesundheit": Wohnungslosen-Vertreterin Werena Rosenke vor einem der Plakate. Bild: dpa

BERLIN taz | Eine ältere Frau steht ratlos vor der Augenarztpraxis, das Portemonnaie leer, im Gesicht eine mühsam zusammengeschusterte Brille. Gesundheit, ein Luxusgut? Mit solchen und ähnlichen Plakatmotiven macht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe seit kurzem gegen die Kürzungspolitik der Regierung mobil, die ihrer Auffassung nach vor allem die Schwächsten zu treffen droht. "Der Sozialstaat gehört allen" steht in großen Buchstaben auf den Plakaten.

Diese Botschaft ist der Deutschen Bahn offenbar zu heikel. Sie verweigerte dem Verband umgehend ihre Werbeflächen an den Bahnhöfen. Die Begründung: Die Kampagne kritisiere die Bundesregierung und damit den Eigentümer des Konzerns. So deutliche Worte an deutschen Bahnhöfen halte man daher "zumindest auch für grenzlastig": "Da momentan auf politischer Ebene nicht nur Sonnenschein herrscht, könnte eine solche Kleinigkeit durchaus zu Ärger führen", heißt es im Ablehnungsschreiben der Bahnverantwortlichen.

Der Geschäftsführer der Wohnungslosenhilfe, Thomas Specht, ist empört. Er hatte einen Werbevermarkter damit beauftragt, Großflächen für 1.000 Plakate zu buchen. Nirgends außer bei der Bahn haben die Werbeflächenbesitzer die Kampagne für anstößig gehalten: "Da wird aus vorauseilendem Gehorsam in die Meinungsfreiheit eingegriffen", protestiert Specht. Mit der gleichen Begründung könne man auch Zeitungen am Bahnhofskiosk konfiszieren.

Die Wohnungslosenhilfe macht nicht zum ersten Mal solche Erfahrungen mit der Bahn. Vor acht Jahren hatte der Verband eine Kampagne gegen die Ausweisung von Obdachlosen aus den Bahnhöfen gestartet - also direkt gegen die Politik des Konzerns. Motto: "Die Entdeckung Bahnhof - Wer nicht konsumiert, muss raus?!" Die Bahn verstand wenig Spaß und wollte die Motive nicht nur von den eigenen, sondern auch von Plakatflächen in Bahnhofsnähe verbannt sehen. Der Streit ging schließlich vor die Gerichte: Das Landgericht Kassel gab der Wohnungslosenhilfe zunächst Recht. Eine spätere Instanz entschied allerdings zugunsten der Deutschen Bahn.

Verglichen mit der damaligen Kampagne klingt die jetzige regelrecht harmlos: "Menschen in Armut und Wohnungsnot haben ein Recht auf Wohnen, Arbeit, Gesundheit" steht auf den Plakaten. Von Kritik an der Bahn ist nirgends die Rede. Umstürzlerische Agitation gegen die Regierungspolitik stellt man sich ebenfalls anders vor. Die Bahn jedoch beharrt auf ihrer Position: Um Interessenkonflikte zu vermeiden, stünden die Flächen grundsätzlich nicht für Kampagnen mit politischen und religiösen Inhalten zur Verfügung, sagt Bahnsprecher Michael Greschniok der taz.

Absurd findet Wohnungslosen-Vertreter Thomas Specht dieses Argument. Nicht nur weil auf denselben Flächen andere soziale Organisationen durchaus mit vergleichbaren Botschaften werben dürften. Sondern weil die Arbeit der Wohnungslosenhilfe und damit auch die Kampagne von der Bundesregierung selbst mit finanziert wird: Die Bahn verhindert eine regierungskritische Kampagne, für die die Regierung selbst bezahlt hat.

Rund 250.000 Euro, etwa 60 Prozent ihrer Mittel, erhält die Wohnungslosenhilfe aus einem Topf des Arbeitsministeriums für "besondere gesellschaftliche Gruppen". Öffentlichkeitsarbeit für die Belange Wohnungsloser gehört ausdrücklich mit zum Förderzweck. "Das Ministerium für Arbeit und Soziales wusste längst, dass es diese Kampagne gibt", sagt Specht. "Aber von denen hat sich noch keiner bei uns gemeldet."

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16 Kommentare

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  • V
    VonFernSeher

    Tja, auch die taz ist manchmal ein Scheinheiligenschrein.

     

    Die Bahn hat eine Tochter, die vermietet Werbeflächen. Und wenn die keinen Vertrag abschließen will, muss sie nicht. Fertig.

     

    Wenn ein Bäcker keine Bild in seinem Laden will, ist das sein gutes Recht. Aber wenn die Bahn keine Plakate an ihren Wänden will, ist das demokratiezersetzend.

     

    Ihr langweilt.

  • Q
    Querulant

    Und weiter gehts in Richtung staatskonformer Bürger der nach einer allgemeinen Norm gestrickt ist und alles frisst was man ihm vorwirft...

  • T
    thomas

    "Da momentan auf politischer Ebene nicht nur Sonnenschein herrscht, könnte eine solche Kleinigkeit durchaus zu Ärger führen", heißt es im Ablehnungsschreiben der Bahnverantwortlichen.

     

    ROFL ja.....,ich bin noch am sinnieren.Und am lachen.

    Was soll uns das sagen(-:?

    So recht möchte ich eigentlich nichts dazu sage. Auch über die Bahn;

    könnte missverstanden werden -vor öffentlichen Äußerungen muss man ja inzwischen ständig darüber

    nachdenken, bevor etwas gesagt wird .Missverstehen und so.....

  • AT
    Annette Thomas

    Ok, morgen kauf ich mir ein Auto. Es wäre das erste, das ich in meinem Leben besitze.

     

    Was muss man tun, damit Grube abwählbar wird?

  • U
    Urgestein

    Notwendige Sofortmassnahmen für die Bundesrepublik Deutschland aus Sicht der Deutschen Bahn AG:

     

    1. Die Bundesregierung hat immer Recht

     

    2. Kritik an ihr ist nicht erlaubt und fällt nicht mehr unter das reformierte Recht auf Meinungsfreiheit (der Einzelne ist frei im Gebrauch eigener Worte bei der Wiedergabe der Meinung der Regierung, respektive der Meinung des Vorstandes der Deutschen Bahn AG)

     

    3. Demonstrationen gegen von ihr finanzierte Vorhaben sind nicht erlaubt gemäss dem reformierten Recht auf Demonstrationsfreiheit (Demonstrationen dürfen nur noch im Sinne der Äußerungen gemäss des reformierten Rechts auf Meinungsfreiheit stattfinden)

     

    4. Die Aushorchung und Überwachung der Bürger nach Vorbild der Aushorchung und Überwachung der Mitarbeiter der Deutsche Bahn AG durch ihren Vorstand ist zwingend geboten

     

    5. Der Vorstand der Deutsche Bahn AG bewirbt sich hiermit als Rechtsvertreter der Deutsche Bahn AG um die Nachfolge der zentralen Institutionen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschland der letzten 75 Jahre, "Gestapo", "Stasi" und "Verfassungsschutz".

  • K
    Kreuzberg-Jakob

    Die Bahn will die Regierung nicht verärgern?

    Mit Plakaten, die in Bahnhöfen rumhängen?

    ROTFL

     

    Wie sollte die Regierung das denn merken?

  • M
    Mitfahrer

    Wer jetzt noch Bahn fährt macht alles nur noch schlimmer!

     

    http://www.mitfahrzentrale.de/

  • W
    Wolf

    "Um Interessenkonflikte zu vermeiden, stünden die Flächen grundsätzlich nicht für Kampagnen mit politischen und religiösen Inhalten zur Verfügung"

     

    Der Bahnsprecher schwindelt. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an die Regierungskampagne mit zwei kopflosen Trägerinnen von Einkaufstüten.

    Da wurde wohl für mehr Konsum geworben. Nur wer konsumiert oder dafür wirbt, darf kleben...

  • B
    Bahnhofskenner

    Durch solche Plakate könnte mancher Bahnhof schöner werden.

  • FE
    Franz Ebert

    Man kann der Wohnungslosenhilfe nur raten, gegen die diskriminierence Werbepraxis der Bahn umgehend Klage einzulegen.

     

    Rechtsgrundlagen der Klage finden sich etwa Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit), an welche die Bahn durch die Drittwirkung der Grundrechte (und umso mehr als Unternehmen mit Staatsbeteiligung) gebunden ist.

     

    Anders als in dem im Beitrag genannten Klage, die von der Wohnungslosenhilfe in einem anderen Rechtsstreit eingelegten Verfahren angestrengt und in letzter Instanz abschlägig beschieden wurde, hätte die Klage in diesem Rechtsstreit klare Erfolgsaussichten. Hier kann die Bahn nämlich keine Eigeninteressen geltend machen. Zudem ist das vorgebrachte Argument, dass die Kampagne die Bundesregierung verärgern könnte schlicht abwegig. Die Bahn gehört nämlich nicht der Bundesregierung sondern dem Staat und der Staat ist dem Schutz der Meinungsfreiheit sowie dem Demokratieprinzip verpflichtet, wozu auch das Zulassen von kritischen Debatten gehört. Es gibt daher kein sinnvolles Argument mit dem die Bahn ihre diskriminierende Politik bzw. ihren Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen könnte. Die Weigerung der Bahn die ihre Werbeflächen für die Kampagne der Wohnungslosenhilfe zur Verfügung zu stellen ist daher rechtswidrig.

  • H
    Hubion

    Die Bahn gehört uns Bürgern und nicht sonst jemanden.

  • KR
    keine religiösen inhalte?

    dann müssen die ganzen gott- und jesus-plakate wohl irgendwas anderes sein.

  • D
    Daniel

    "Die Kampagne kritisiere die Bundesregierung und damit den Eigentümer des Konzerns."

     

    Die Merkel-Bahn? :)

    Wusste gar nicht, dass unsere Bundesregierung einen eigenen Konzern besitzt.

     

    Werden demnächst politisch unliebsamen Mitbürgern auch die Tickets verweigert?

    'Tut mir Leid, ihre politische Einstellung stimmt nicht mit unseren Beförderungsbedingungen überein.'

  • B
    Bernd

    Zum Glück kann man in Deutschland entscheiden was man für Werbung aufhängt und welche nicht!

  • V
    Verwundert

    Zum Demokratieverständnis der Bahn: "Die Begründung: Die Kampagne kritisiere die Bundesregierung und damit den Eigentümer des Konzerns."

    Der Eigentümer der Bahn ist also die Bundesregierung? Das war mir neu! Meines Wissens war dies bis vor kurzem noch der Bund und somit die Gemeinschaft aller Bürger.

    Nachdem dem Bürger zunächst das Recht auf Demonstration seitens der Bahn genommen wurde, soll er nun auch enteignet werden.

    Den Argumentationen der Bahn zu Folge müsste das "Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland" bald deutlich überarbeitet werden.

  • T
    Terje

    Aber dafür gibt es in Bahnhofskiosken rechts-lastige Presse-Erzeugnisse zu kaufen!!! DARAN stößt sich keiner bei der Deutschen Bahn AG.

    Terje