Pläne für Humboldt-Forum in Berlin: Die Welt der Anderen
Ein Weltstadt-Berlin-Museum ist das falsche museale und politische Signal. Besser wäre ein Konzept, welches das kulturelle Welterbe ausstellt und diskutiert.
Mit dem bevorstehenden Richtfest des Humboldt-Forums kommt endlich Bewegung in die müde und festgefahrene Debatte über diese neue Kulturstätte von internationaler Bedeutung. Vorweg: Ich vertrete die Auffassung, dass wir hier von einer musealen Einrichtung sprechen müssen und nicht von einem Kulturhaus im Stil eines Gemischtwarenladens.
Die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst bilden den Kern des Humboldt-Forums, und, obwohl das bisher nur sehr leise zu hören war, die Sammlung des Museums Europäischer Kulturen gehört ganz ohne Zweifel auch dazu. Nur so wird der Zusammenhang deutlich, dass der größte Teil der ethnologischen Objekte aus ehemaligen europäischen Kolonialgebieten stammt und die Forschungen und Ausgrabungen von Europa ausgingen.
Warum muss man von Sammlungen sprechen? Weil sie und nur sie der Ausgangspunkt für konzeptionelle Überlegungen sein können, die das zukünftige Format des Humboldt-Forums bestimmen werden. Das Entscheidende ist dabei jedoch, dass diese Sammlungen unter einer Leitidee zum Sprechen gebracht werden müssen. Daran mangelt es bisher (fast) vollständig.
Die Maximen Humboldts
Am 12. Juni 2015 ist Richtfest auf der sogenannten Schlossbaustelle. Bis 2019 soll im 590 Millionen Euro teuren Humboldt-Forum/Berliner Schloss ein internationales Kulturzentrum entstehen. Ausgestellt werden dort einmal die großen Außereuropäischen Sammlungen der Berliner Staatlichen Museen und Exponate der Humboldt-Universität.
Berlins Regierender Bürgermeister Müller hat kürzlich vorgeschlagen, statt der Flächen für die ZLB dort eine Schau unter dem Titel "Welt.Stadt.Berlin" unterzubringen, die Berlin "im Spiegelbild der deutschen und europäischen Zeitgeschichte" zeigt. Das Konzept stieß auf Kritik, von Heimatmuseum ist die Rede.
2002 hatte der Bundestag die Rekonstruktion des Berliner Schlosses beschlossen. Als Architekt wurde nach einem Wettbewerb 2007 der Italiener Franco Stella ausgewählt.
2013 war Grundsteinlegung für das "Humboldt-Forum". (rola)
Für meine Begriffe sollten dabei vier wesentliche Gedanken im Vordergrund stehen: 1.) eine radikale Neugierde auf die Welt der Anderen, 2.) eine wissenschaftliche Erforschung der Gefahren, denen gewachsene Kulturen in anderen Teilen der Welt ausgesetzt sind, 3.) eine konsequente öffentliche Kommunikation über die Folgen dieser Gefährdung für die Welt und 4.) eine permanente Debatte über die Integration gefährdeter Kulturen in die zukünftigen Stadtgesellschaften. Alle vier Gedanken sind Maximen Alexander von Humboldts.
Das Humboldt-Forum verstehe ich als eine Art globales Kulturschutzzentrum. Es vermittelt mit allen Möglichkeiten moderner Ausstellungstechnik dem Besucher, welche Folgen die Bedrohung von materiellen und immateriellen Kulturen für die gesamte Welt hat. Die abstrakte Formel vom „Dialog der Kulturen“ muss also auf ein Ziel ausgerichtet werden. Und dieses Ziel ist für mich mit der politischen Intention verknüpft, den Besuchern des Humboldt-Forums in immer wieder wechselnden Präsentationen zu demonstrieren, dass der Schutz von Kulturgütern zu den höchsten Werten der menschlichen Gemeinschaft gehört.
Um zu verstehen, warum sie schützenswert sind, müssen wir sie dem Besucher nahebringen und ihm zeigen, welche Folgen deren Verdrängung oder Zerstörung haben.
Wer ständige Präsentationen und Wechselausstellung unter dieser Leitidee konzipiert, ist gezwungen, seine Sammlungen systematisch nach Objekten zu durchforsten, die ein entsprechendes Narrativ haben. Jede Kuratorin und jeder Kurator bewertet Ausstellungsstücke nach ihrem Potenzial, Zusammenhänge über die Möglichkeiten und Grenzen der Bewahrung von Kulturen darzustellen. Dazu gehört natürlich auch der offene Umgang mit den Rückgabeforderungen von indigenen Kulturen und Völkern sowie kolonialisierten Regionen.
Nein, in dieses Konzept passt keine Ausstellung, in der Berlin sich selbst feiert! Das ist nicht kompatibel mit dem Selbstverständnis einer Weltstadt. Viel überzeugender wäre ein Gestus, der jedes Jahr eine andere Stadt der Welt einlädt, sich im Humboldt-Forum zu präsentieren.
geboren 1955, ist promovierter Volkskundler und Politikwissenschaftler. Er leitet das Museum Neukölln und war von 2005 bis 2010 Präsident von Icom (Europe), dem europäischen Regionalverband des Internationalen Museumsrates.
Daraus würde automatisch ein Dialog mit den Sammlungen der ehemaligen Museen in Dahlem entstehen. Dadurch trifft Geschichte auf Gegenwart und umgekehrt.
Jeder kann sich leicht ausmalen, wie faszinierend eine Präsentation der Städte Hongkong, Neu-Delhi, São Paulo oder Helsinki in Berlin wäre. Dabei darf es natürlich nicht um eine Selbstbeweihräucherung gehen, sondern die Städte würden aufgefordert werden, sich zu bewerben und Lösungen zu präsentieren, wie sie mit ihrem historischen Erbe verfahren und wie sie in der Gegenwart mit den aktuellen Problemen der Stadtpolitik umgehen: Umweltschutz, Konzepte zur behutsamen Stadterneuerung, Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum, Umgang mit Flüchtlingen und Zugewanderten, Stadtraumbewirtschaftung, Grünflächennutzung und Energiefragen et cetera.
Denn der Umgang mit diesen Fragen wird die Entwicklungschancen der internationalen Stadtkulturen bestimmen und sollte deshalb ein essenzieller Bestandteil des Forums werden.
Und wer bezahlt das? Die drei oben genannten Museumssammlungen sollten in eine selbstständige „Stiftung Humboldt-Forum“ überführt werden, damit eine handlungsfähige und neue Institution entstehen kann, die selbstverständlich weiterhin eng mit den Staatlichen Museen zu Berlin kooperiert.
Das Programm „Zu Gast in Berlin“ wird ein integraler Bestandteil des Forums. Seine Kosten tragen das Land Berlin und die ausgewählten Städte jeweils anteilig. Eine solche Investition ist eine Investition in die Zukunft Europas im Herzen Berlins. Sie schärft das Bewusstsein für den Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit und eröffnet Debatten über die Frage, wie wir zukünftig in einer gemeinsamen Welt leben wollen.
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