Ich kann die Empörung über die Zerstörung der Ausstellung, "ausgerechnet
dieser" Ausstellung, durchaus nachvollziehen, aber die Argumentation,
warum das der endgültige Beweis für die Überflüssigkeit des Punk sein
soll, ist dadurch nicht gegeben.
Entweder die Punks sind so dämlich, dass sie eh nicht wissen was sie
tun, dann kann man ihnen ausser ihrer Dummheit keinen Vorwurf machen.
Oder sie sind zwar dämlich und zerstörungswütig, aber sobald sie
realisieren, dass es sich ausgerechnet um eine Ausstellung über ein
gesellschaftlich so heikles Thema handelt, hätten sie "sich mal
zusammenreissen" und sich wie ein "anständiger Bürger" benehmen sollen.
Ich will ganz und gar nicht ausschließen, dass es in weiten Teilen der
Linken allgemein, dem Punk eingeschloßen, antisemtische Tendenzen gibt.
Aber das in der Linken allgemein verbreitete Dogma "Man darf alles, aber
auch alles, aufs schärfste kritisieren, verbal mit Scheisse bewerfen,
ausser allem, was *offen antisemitisch* ist" kann man schlecht auf eine
Subkultur anwenden, die sich sowieso gegen Dogmen, insbesondere der
Linken, wendet. Die Punks sind und waren immer linke Nestbeschmutzer,
weil sie weitgehend kompromisslos alles scheisse finden, das macht sie
zwar nicht integer, aber man kann sagen, sie sind konsequent. Da es kein
Gesetz gibt, was Punk ist und was nicht (auch wenn viele Punks ihr
eigenes aufstellen und andere Punks des "Pseudotums" beschuldigen),
gelten Aussagen über Punks natürlich nicht für die ganze Subkultur oder
alle Punker. Es ist nur eine Tendenz, die ich selbst festgestellt habe.
Andere Grupen innerhalb der Linken sind offen und mit Gehalt, also
durchaus selbsreflektierend, rassistisch - die Antideutschen gegen
Deutschland, die Antiimps gegen Israel und Amerika und wohl noch andere
mehr. Denen könnte man in der Tat einen Vorwurf daraus drehen, wenn
einige von Ihnen so etwas gemacht hätten, was die Punks am Mittwoch im
HU-Foyer gemacht haben. Den Punks nicht. Nur dass sie eben dumm sind.
Aber dazu stehen sie ja auch.
Ausserdem ist es absurd, Subkulturen, insbesondere solchen, denen man
selbst nicht angehört, Werteverfall vorzuwerfen. Diese im Kern
erzkonservative Logik, dass "die reine Lehre" oder der "Spirit" von
'68/'77/'81 oder wann auch immer, entweder bewahrt werden müsse, oder,
falls das nicht möglich ist, die Subkultur als Ganzes die eigene
Auflösung beschließen müsse, um ihren Idealen treu zu bleiben, ist
sowieso grober Unfug.
Hiphop fand ich Anfang der 90er Jahre im zarten Knabenalter sehr
faszinierend, mit ihren bunten Klamotten, den riesigen
Basketballschuhen, der Tendenz 'c' durch 'k' zu ersetzen und der ganzen
Upbeat-Attitüde, Old Skool eben. Dann kam Gangsta Rap und ich verlor das
Interesse, weil der Mainstream den Hiphop so dermaßen gefressen hatte,
dass Feindbilder wie Zuhälter oder die hyperhierarchischen Strukturen
des Mob plötzlich voll gesellschaftsfähig waren. Jetzt könnte ich
schreien: "Ach ihr dummen Hiphopp-Kinder, wisst ja gar nicht wo ihr
herkommt! Wart doch mal so angenehm multikulturell! Hattet die Gewalt
durch Musik und Tanz ersetzt! Und jetzt habt ihr eure eigenen
Überzeugungen verraten, weshalb ich euch nur mit erhobenen Zeigefinger
ermahnen kann, endlich die Hosen richtig hochzuziehen und euch eine neue Ausdruckssform zu suchen. Hört doch mal
'Wir sind Helden' oder 'Tocotronic'! Das sind auch Musikgruppen mit
Bodenhaftung, die sind auch richtig 'real' oder wie ihr das immer nennt!
Da muss man doch nicht immer über 'Pimps' und 'Hoes' quasseln, man kann
doch ein guter Mensch sein und gleichzeitig einer tollen Subkultur
angehören!" Natürlich schreibe ich das nicht, weil es immens ignorant
wäre. Ich weiss nicht genug über Hiphop, ich bin nicht so sehr dran
interessiert, ich find ein paar Sachen davon gut, viele Sachen nicht.
Die Subkultur als solche kenne ich nicht gut genug, um sie zu
kritisieren. Deswegen kann ich ja trotzdem scheisse finden, dass es eine
solche Fülle von misogynen, homophoben und rassistischen Rappern gibt.
Aber ich würde dem Hip-Hop genauso wenig gerecht werden, wenn ich aus
ein kruden Vereinfachung der Geschichte des Hiphop und einem skandalösen
Vorfall ("Sido beleidigt Schwule!") den Schluss ziehen würde, dass die
Hiphopper alle nicht begreifen, was sie da eigentlich leben, wie es der
Autor den Punks in seinem Kommentar geworden ist.
Das ganze lässt sich natürlich auf andere Subkulturen analog anwenden:
Skinheads, Seitenscheitel-Umhängetaschen-Subkultur (wie heissen die
eigentlich? Hamburger Schüler?), Autonome, Techno, Gothics, Metaler,
Christen, taz-Leser, Sozialdemokraten, Fahrradfahrer...
Auch das geschichtliche Argument ist nicht wirklich stichhaltig. Es
stimmt schon, Punk war zunächst mal wohl eine Jugendbewegung im England
der späten 1970er Jahre (auch wenn man darüber trefflich streiten kann).
Es stimmt schon, Punk hat sich in der ersten Generation auf der offen
politischen Ebene gegen die staatssozialistischen Konzepte der
Sozialdemokraten, das sozialpädagogische politische Konzept der Hippies
und die totalitären Tendenzen in den NATO-Staaten gewendet. Ausserdem
kam dann der ganze Modekram mit dazu, DIY, MacLaren und seine Sex
Pistols, Westwood und ihre Klamotten. Und für Otto Normalbürger
natürlich am deutlichsten: Der Alkoholkonsum, das Schnorren, das
Asoziale, Ungepflegte, Aggressive. So etwas nutzt sich ab, die Bürger
sind mit der Zeit nicht mehr so leicht zu schocken, '81 gabs beim C&A
schon fertig vernietete Lederjacken, die Punks sind von "regulären"
Pennern nicht mehr zu unterscheiden.
Schande Schande! Jetzt müssen wohl alle Punks es Rocko Schamoni
gleichtun und eine Club aufmachen, sich gleichzeitig vom Punk
distanzieren und ihn als wichtig für die eigene Entwicklung
einschätzen (und mit der Nostalgie anderer Ex-Dorf-Punks gutes Geld
verdienen) und ansonsten allen abraten vom Punk, weil der Zug ja längst
abgefahren ist, die Subkultur zahnlos geworden ist, sowieso alles nur
noch Kommerz ist, die keine Konzept für gar nichts haben, ohne Ende
unzuverlässig sind und früher überhaupt früher alles besser war.
Dem ist entgegenzuhalten, dass Punk nicht nur, oder vielleicht sogar
eher generell anti-, politisch ist. Punk bedeutet auch: Mädchen müssen
nicht mädchenhaft sein, sie dürfen (und sollen, hehe) saufen und pöbeln
und stinken wie die Jungs. Punk ist wahrscheinlich die einzige
Subkultur, die dieses Slackertum auch bei Mädchen akzeptiert, die
ebenfalls nach Lust und Laune siffen dürfen, sonst kenne ich wirklich
keine Subkultur, die nicht ein gewisses Maß von Aufhübschung der Mädchen
für die Jungs vorsieht, wenn nicht in der Theorie, dannn real. Ausserdem
stören Punks und das finde ich fast am Wichtigsten. Sie nerven mit ihrer
lauten Musik, ihren Hunden, dem Dreck, den sie hinterlassen, dem Saufen
und dessen Folgen.
Punk ist auch so eine Art performatives Theater: Die Punks verkleiden
sich als Ausgestoßene, gerieren sich als Prototypen des Rebellischen,
die fleichgewordene Rotzigkeit der Pubertät und spielen ihre Rolle wie
andere Leute auch, nur eben öffentlich und dreist. Sie haben sich die
Werte Primitivität, Rausch und Provokation gegeben und leben sie so weit
es geht aus. Der Zuschauer ist gezwungen, sich mit dem "Stück"
auseinanderzusetzen, weil das Theater meist unüberseh- und -hörbar ist.
Gelegentlich wird die "fourth wall" durchbrochen und der Zuschauer wird
involviert, aber auch wenn das nicht geschieht, kann er dieser Kehrseite
der Gesellschaft, die Menschen, die sich, freiwillig wie die Punks oder
unfreiwillig, wie die meisten Obdachlosen, aus der zivilisierten
Gesellschaft ausgeklinkt haben und jetzt ihr Leben im Dreck und von den
Resten im Geldbeutel oder Mülleimer der Bürger bestreiten, nicht so
einfach ausblenden wie bei den meist demütigen, stillen, unauffälligen
und gebrochenen abgehängten Subproletariern, an denen man tagtäglich mit
Leichtigkeit vorbeigeht.
Es ist so verstörend für den Zuschauer, weil die Schauspieler sich ihres
Daseins nicht schämen, dieses Leben bewusst gewähl haben und das auch
selbstbewusst bis zur Gockelhaftigkeit den Zuschauern unter die Nase
reiben; dass sie sie verachten, gleichzeitig aber Geld von ihnen wollen,
um es - auch dazu stehen sie dreist - zu versaufen.
Der Stolz auf das eigene gesellschaftliche Versagen, die beleidigende
Polemik gegen traditionelle Werte wie Religion, Fleiß oder Hygiene
provozieren und zwingen den Zuschauer sich auch damit
auseinanderzusetzen und manchmal auch, sich der hässlichen Seiten seiner
selbt, die man sonst gar nicht sieht oder sehen will, zu stellen. Wenn
auch die bürgerlich-faschistische Attitüde der Anfangszeit des Punks
("Beim Hitler hätt man euch vergast") heute weitgehend ausgestorben ist,
so heisst das nicht, dass man mit ein wenig Provokation nicht immer noch
bei unerhört vielen Leuten das Schlimmste herauskitzeln kann, z.B. die
Prophezeiung eines sicheren Ewigkeitsaufenthalts in der Hölle, die
Hoffnung auf entschlossenere selbstjustizübende Mitbürger oder die
Fortführung des weiteren Lebens in einer (wieder-)einzuführenden
Institution für Asoziale (gewisssermaßen eine "Aktion Arbeitsscheu
Bund"). Punk provoziert und eine Gesellschaft die nich permanent
provoziert wird und lernt damit umzugehen, wird auf Kurz oder Lang eine
totalitäre werden.
Zurück zum Artikel: Das Einzige Argument, dass ich ansatzweise teile,
ist, dass Punks auf solchen Demos eigentlich nichts zu suchen haben.
Ausser Ärger, Action und der Möglichkeit zu provozieren. Das zumindest
haben sie ja erreicht. Aber dass es in der Tat beknackt ist, wenn Punks
ernsthaft für mehr Bildung demonstrieren, will ich gar nicht bestreiten.
Das liegt allerdings auf der selben Beknacktheitsstufe, wie wenn
Hausbesetzer, die sich Freiräume vom Staat schaffen wollen, ausgerechnet
an dessen "Verantwortung" für die Weiterführung von Hausprojekten und
bei Streitigkeiten mit Hauseigentümern appellieren oder wenn
Antideutsche auf Anti-Moscheebau-Demos mitlaufen, weils ja ein
legititmer Grund ist mit den Faschos zusammenzuarbeiten.
Heute, im bürgerlichen, neo-liberalen, neo-Deutschland,
post-Wende-Deutschland, post-Kohl-Deutschland, da macht es einfach
keinen Sinn mehr, so vollkommen dagegen zu sein. Das zieht nicht mehr.
Wenn man heute was erreichen will, dann führt kein Weg an Parteien oder
NGOs vorbei. Punks aller Länder: Trettet attac bei! Oder Greenpeace!
Abonniert die taz. Wählt grün. Wascht euch. Sucht euch eine Arbeit.
Schluss mit "Dorf-Punk", her mit "Digitale Boheme"! Schluss mit
"Deutschland Verrecke!" und "Macht kaputt, was euch kaputt macht", her
mit "Aber hier leben: Nein danke!" und "Denkmal". Weniger ...but alive,
weniger Bier, weniger Gepöbel, Geschnorre und Gestinke, mehr Kettcar,
mehr Starbucks-Kaffee, mehr Projekte, elektronische Kleingeräte und
metrosexuellen Glamour!
Als selbstreflektierender taz-Leser, grün angehauchter
Links-Irgendwas-ist mit akademischem Hintergrund und skeptischer
Pragmatiker würde ich dem Autor sagen: Ich kann deine Argumente
verstehen, aber sie sind nicht ganz stichhaltig und deine Folgerung ist
nicht kohärent.
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