Pizza für die ganze Welt: Der Weg des Hefeteigs
Im Berliner Norden steht Europas größte Tiefkühlpizza-Fabrik. Wenige kennen ihren Namen - dabei liegen die Billigpizzen von Freiberger im Eisfach jedes Supermarkts und werden millionenfach nach China geliefert. Ein Fließband-Besuch in Reinickendorf.
In Fünferreihen rattern die Pizzen übers Fließband. Plopp! Ein Klacks Tomatensoße landet auf dem ausgestanzten Boden. Weiter. Schneiden, stopfen, schütteln, streuen. Champignons, Schinken, Käse fallen in Sekundenschnelle nacheinander auf den Hefeteig. Für Italien-Romantik ist hier kein Platz. Bis zu einer Million Pizzen verlassen täglich die Fabrikhallen von Freiberger. Ziel: die ganze Welt, von China bis zu den USA. Jeder Stillstand bedeutet Zeitverlust bedeutet weniger Umsatz, jeder Schritt ist programmiert, jeder Salamiwurf Teil des Systems.
Nur der Geruch erinnert daran, was in den unscheinbar wirkenden Fabrikhallen in Reinickendorf hergestellt wird. Der schwere Duft von Hefe dringt bis hinter die Hygieneschranke und durch die Glasscheiben der Besucherbrücke. In einer Ecke der Halle führt eine schmale Eisenleiter in ein Zwischengeschoss. Mit jedem Schritt nach oben riecht es intensiver. Hier fängt die Pizza an: Teigmassen schieben sich auf einem Förderband nach vorn. Ein Zögern, ein Ziehen, mit einem Platsch landet ein Batzen aus Mehl, Hefe, Salz und Wasser auf dem nächsten, darunterliegenden Band. Die Reise beginnt.
Die Freiberger Lebensmittel GmbH ist Europas größter Hersteller von Tiefkühlpizzen. Seine Produkte finden sich im Prinzip in jedem Supermarkt. Trotzdem kennt kaum einer die Fastfood-Spezialisten. Denn auf den Packungen steht "ja!", "Gut & Günstig" oder "Mama Mancini" - nie "Freiberger". Das seit 1976 in Berlin ansässige Unternehmen backt Pizzen für die Eigenmarken von Discountern und Einzelhandelskonzernen. 1.400 verschiedene "Linien", also unterschiedliche Produkte, verlassen das Werk. Es gibt allein 60 verschiedene Salami-Rezepte. Unabhängig von Ernährungsmoden und Lebensmittelskandalen wächst Freiberger seit Jahren. In Deutschland liegt der Marktanteil nach Angaben des Unternehmens bei 18,8 Prozent, hinter Oetker und Wagner ist die Firma damit Branchendritter.
"Pizza ist eines der ältesten Lebensmittel der Welt", sagt Firmenchef Helmut Morent. "Es ist ein Produkt, das man in jedem Kulturkreis findet." Morent erzählt die Geschichte von Fladenbroten, die im Altertum mit Kräutern gewürzt den Göttern zur Gabe gemacht wurden. Er hat sie wohl schon öfter zum Besten gegeben, man hört ihm trotzdem gern zu. Morent ist ein freundlicher Firmenchef, offen, nicht vom Misstrauen anderer Unternehmen der Branche geprägt. Bei ihm in der Fabrikhalle durfte schon ein Fernsehteam drehen, das nur dummerweise seine Kamera zu dicht an die Kühlstation hielt: Das Objektiv war hin.
Wer reinwill, muss sich an strenge Hygienevorschriften halten: Kittel und weiße Schuhe überziehen, Schmuck abkleben oder ablegen. Haare kommen unter die Haube. Hände werden am Desinfektionsbecken gewaschen, beim Queren der Sicherheitsschleuse müssen sie in Öffnungen in der Wand gehalten werden, wo nochmals Desinfektionsflüssigkeit heruntertropft. Nichts wird dem Zufall überlassen: Die Konkurrenz in der Branche ist groß. Mängel kann sich der Konzern nicht leisten, weder bei der Hygiene noch bei der Qualität.
Verkoster am Stehtisch
An einem Stehtisch im Verwaltungsraum treffen sich zweimal am Tag Verkoster und bewerten die Pizzen. Schmecken die Böden? Liegen die richtigen Zutaten drauf? Sind die Kartons korrekt bedruckt? "Es reicht, wenn man in ein Stück reinbeißt, man muss nicht jedes Mal eine ganze Platte essen", sagt Produktionsleiter Hans-Jürgen Höppner.
Bis in die Pappschachtel hat der heruntergeplumpste Teigbatzen noch einige hundert Meter vor sich. Er durchläuft mehrere Walzen und wird von einem blauen Besen glattgebürstet, bis er die gewünschte Dünne hat. Dann darf er sich ausruhen. "Der Teig muss sich beruhigen, sonst würde er sich beim Ausstechen zusammenziehen", erklärt Höppner. Die Reste, die beim Ausstanzen der runden Böden anfallen, wandern zurück in die Knetmaschine: Sie werden wiederverwendet. Wie beim Plätzchenbacken.
Die Tomatensoße wird in 1-Tonnen-schweren Plastikbehältern angeliefert. Nachdem Spritztuben die Böden mit einem Klacks der dickflüssigen Masse versehen haben, wird der Teig vorgebacken. 400 bis 500 Grad auf dem "Steinofenband", 90 Sekunden. Rot und rund kriechen die Böden auf der anderen Seite aus der Hitze. Sie duften tatsächlich nach Pizza. "Sie könnten jetzt reinbeißen", sagt Höppner. "Das schmeckt." Er zieht einen Boden vom Band, der an einer Seite umgeknickt ist. Ausschuss.
Der Rest wandert weiter. Über verschiedene Ebenen und Streumaschinen purzeln die Zutaten auf die Böden. Die "Linie" in dieser Schicht erhält Oliven, Champignons und Schinken. Letzterer läuft durch eine Art Pressröhre und wird auf die Pizza geschnippelt. Nach handverlesenen Stücken einstmals glücklicher Schweine sieht das nicht aus. Echt sei es aber, versichert Morent: Immer wieder muss er sich gegen Vorwürfe wehren, Analogkäse oder Schinkenimitat auf die Billigprodukte zu legen. "In keiner Pizza, die wir hier produzieren, sind solche Zutaten - das würden Verbraucher gar nicht akzeptieren." Morent erklärt, den meisten Käse von einer Molkerei aus der Nähe von Leipzig zu erhalten, die Wurst von einem Großlieferanten aus Berlin. Mittelständische Fleischer könnten die Menge nicht liefern, die Freiberger brauche, so der Firmenchef. "Wir würden gern mit Lieferanten aus der Region zusammenarbeiten, hatten hier auch Betriebschefs aus Berlin am Tisch sitzen und uns Angebote eingeholt, aber das scheiterte schon an den Mengen."
Was beim Bewerfen danebenfällt, wird auf einem darunterliegenden Band gesammelt und wandert zurück in den Behälter. Zwischendurch stehen vier Mitarbeiter am Band und kontrollieren die Fünferreihen. Von oben betrachtet wirken sie etwas verloren zwischen den meterhohen Maschinen.
Schule als Partner
Am Zerpenschleuser Ring arbeiten 600 Beschäftigte im Zwei- und Dreischichtbetrieb. Ein Großteil macht freilich Verwaltungsarbeit: Freiberger hat seinen Hauptsitz in Berlin und steuert von hier aus fünf Produktions- und neun Vertriebsstandorte in Europa, Asien und den USA. Die meisten Mitarbeiter wohnen in der Umgebung. Morent sieht es gern, wenn auch die Auszubildenden aus dem Bezirk kommen. Weil es gar nicht mehr so leicht ist, ausreichend qualifizierten Nachwuchs zu finden, engagiert sich der Konzern im nahe gelegenen Märkischen Viertel. Freiberger hat eine Partnerschaft mit der Greenwich-Oberschule geschlossen. "Die Jugendlichen können wir in der Regel nahtlos in ein Ausbildungsverhältnis übernehmen."
Die Firma lädt Schüler in die Fabrik ein und arbeitet mit den Lehrern zusammen. Sie unterstützt die Schule auch in ihrem Bestreben, sich mit der Hanna-Höch-Grundschule zur Gemeinschaftsschule zusammenzuschließen. Morent beklagt, dass das Projekt an der Reinickendorfer CDU zu scheitern drohe, die aus rein ideologischen Gründen dagegen sei. Er will den Wahlkampf in den nächsten Wochen nutzen, um darauf öffentlich hinzuweisen. Gemeinsam mit Kindern hat das Unternehmen auch eine "Kinder-Pizza" entwickelt, die seit Kurzem verkauft wird. Pro Stück gehen 50 Cent davon an die "Stiftung Unesco - Bildung für Kinder in Not".
Die Fünferreihen auf dem Fließband haben den weitesten Weg inzwischen hinter sich. Bevor sie tiefgefroren werden, kühlen sie noch einmal ab. Danach schließt eine Maschine einen Plastikschlauch um die runden Platten, die Folie wird geschrumpft, die Pizzen wandern in die Kartons. Verschlossen, fertig. Kaum 90 Minuten sind vergangen, seit der Teig zu wandern begonnen hat.
Aldi verkauft die Pizzen im Dreierpack - einzeln würden sie gerade einmal 83 Cent kosten. Wie lässt sich da profitorientiert wirtschaften? "Der Gewinn bewegt sich im Cent-Bereich", bekennt Morent, "die Masse machts." Die Freiberger GmbH kommt auf einen Umsatz von 480 Millionen Euro im Jahr. Gewinnzahlen veröffentlicht die 100-prozentige Tochter des Südzucker-Konzerns nicht.
Die China-Pizza: ein Flop
Neben den Kernmärkten in Europa - Deutschland und Frankreich - treibt das Unternehmen die Expansion in den USA und in China voran. Vor sieben Jahren hat Morent mit Studierenden in Schanghai Rezepturen für eine chinesische Pizza entwickelt. "Das war ein totaler Flop", so seine nüchterne Erkenntnis. "Die Chinesen wollten europäische Pizza, mit Schinken und Salami." Über Konzerne wie Metro und Carrefour beliefert Freiberger seither den chinesischen Markt mit Standardpizzen. Per Container geht die Tiefkühlware nach Hamburg, von dort auf dem Seeweg nach China. Nach 64 Tagen liegt sie im Supermarkt. Zurzeit liefert Freiberger zwei Millionen Stück pro Jahr nach China - überschaubar, doch jährlich um 20 Prozent wachsend.
In den USA werden die Waren über einen Standort vertrieben; dort will das Unternehmen künftig vor allem mit einer neuen "schlanken Pizza" punkten: Bei der Grünen Woche hat Freiberger sie testen lassen. Ein dünner Boden wird mit einer Soße aus Magermilchjoghurt bestrichen, mit Shrimps und dünn mit Parmesan belegt. Die Kalorienmenge wird so auf etwa 300 pro Stück gedrückt- ein Viertel so viel wie manch anderer Teigberg. Pizza als Diätprodukt, das wäre eine echte Innovation. Für Helmut Morent ist es eine Bestätigung seiner Unternehmenslogik: "Wir haben den Teig, und wir haben immer etwas darauf, das mit dem Zeitgeist variiert."
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