Pirat zur Funkzellen-Affäre: "Das Problem wird bagatellisiert"
Abgeordnete wissen nicht, wie gefährlich Datensammeln ist, sagt Pirat Christopher Lauer. Dabei müssten sie nur auf die Vorschläge seiner Partei hören.
taz: Herr Lauer, allein der Staatsschutz hat 4,2 Millionen Handyverbindungsdaten gesammelt. Wie lautet Ihr Fazit nach einer Woche parlamentarischer Diskussion?
Christopher Lauer: Mein Eindruck ist: Man hört uns einfach nicht richtig zu. Die Piratenfraktion hat relativ leicht umsetzbare Vorschläge gemacht, wie man das Problem lösen kann. Die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage wird ja auch von Datenschützern massiv kritisiert.
Wie lauten die Vorschläge?
Lauer ist seit 2009 Mitglied der Piratenpartei. 2011 wurde er ins Abgeordnetenhaus gewählt, er ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Lauer wurde 1984 im Hunsrück geboren. Seit 2005 lebt er in Berlin.
Justizsenator Heilmann könnte mittels einer Direktive an den Generalstaatsanwalt so auf die Ermittlungsbehörden einwirken, dass die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage nicht mehr im Verbindung mit Autobrandstiftungen angewendet wird. Das Zweite wäre, die Betroffenen dieser Maßnahme zu benachrichtigten, so wie es die Strafprozessordnung vorschreibt. Wir haben vorgeschlagen, dass die Polizei den Betroffenen eine SMS schickt. Das wäre auch kein weiterer Eingriff in die Grundrechte, da die Telefonnummern der Betroffenen von der Polizei ohnehin abgespeichert worden sind. Nichts von alledem ist geschehen.
Wie erklären Sie sich diese Ignoranz?
Das Problem wird bagatellisiert, dazu kommt eine gewisse Verantwortungsdiffusion. Die Polizei sagt: Wir haben das doch bei der Staatsanwaltschaft beantragt. Die Staatsanwaltschaft sagt: Der Ermittlungsrichter hat es abgesegnet. Innensenator Henkel sagt: Ist doch alles durch die STPO geregelt.
Was halten Sie solchen Argumenten entgegen?
Wir sagen: Das ist einfach nicht verhältnismäßig. In dem Moment, wo ich diese nichtindividualisierten Funkzellenabfragen mache, sammele ich Daten von naturgemäß unschuldigen Menschen. Das hatten wir zuletzt bei der Rasterfahndung. Hier ist es genauso. Man legt ein Raster - also diese Funkzellen -, und dann guckt man, wer war wie oft in diesen Funkzellen. Und dann hat man da eine Metrik. Das Absurde ist: In den vier Jahren, in denen der Staatsschutz die 4,2 Millionen Verbindungsdaten gesammelt hat, gab es keinen einzigen Ermittlungserfolg. Aber SPD und CDU halten weiter daran fest. Das ist grotesk.
Hat die Bevölkerung eigentlich kapiert, um was es geht?
Ich bin gerade in der U-Bahn darauf angesprochen worden. Stichwort: Überwachungsstaat. Das Problembewusstsein ist schon da. Aber vielleicht braucht es noch einen größeren Skandal. Anscheinend muss die Hütte erst richtig brennen, bevor die politisch Verantwortlichen was tun.
1,7 Millionen Datensätze wurden bisher nicht gelöscht. Die amtierende Polizeipräsidentin konnte Ihnen im Innenausschuss keine Auskunft über den Löschvorgang geben. Was wäre der worst case?
Ein denkbarer Daten-GAU wäre, dass die Polizei die Daten auf ihren Desktop-PCs - irgendwelchen Windows-Rechnern - gespeichert hat. Diese Rechner sind nicht besonders gesichert. Vorstellbar wäre, dass die Dateien, wenn man sie nicht mehr braucht, einfach in den Papierkorb geschoben werden. Das wiederum würde bedeuten, dass sie auf der Festplatte relativ einfach wiederherstellbar wären. Wenn diese Computer der Polizei nicht mehr gebraucht werden und auf dem Sperrmüll landen, könnten die Festplatten ganz einfach ausgelesen werden.
Wie reagieren die Abgeordneten der großen Koalition auf solche Bedenken?
SPD und CDU werfen uns durch die Bank Arroganz vor. Uns könne man gar nicht zuhören, heißt es. Auch bei der Diskussion um den Staatstrojaner, den Henkel einsetzen möchte, war das am Donnerstag so. Das Problem ist, diese Abgeordneten haben gar keine Ahnung vom Missbrauchspotenzial einmal gesammelter Daten.
Haben Sie sich den Politikbetrieb so vorgestellt?
Ich habe es befürchtet. Mit guten Argumenten gewinnt man als Opposition in diesem Haus leider tatsächlich keinen Blumentopf. Das geht wirklich nur über Öffentlichkeit. Wir müssen schauen, dass die Berlinerinnen und Berliner sich weiterhin dafür interessieren, was mit ihren Daten passiert.
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