Pipeline-Lecks und Gaspreisbremse: Blubbern auf allen Kanälen
Die Löcher im Bauch unseres Autors sind besser als Lecks in Gasleitungen. Die Lage muss ernst sein, wenn Lindner Geld für Menschen rausrückt.
I ch bekenne: In dieser Woche bin ich mehrmals zwischen Kreuzberg und Wedding hin und her gependelt, um mir in einem wildfremden Bezirk medizinische Hilfe angedeihen zu lassen und dann einfach wieder heimzufahren. Nach den Maßstäben von Friedrich Merz bin ich also ein Sozialtourist.
Mein schlechtes Gewissen wird noch schlimmer, weil ich meine in einem naiv gastfreundlichen Sozialsystem frech erschlichene Beute dreisterweise auch noch eingesteckt und nach Hause mitgenommen habe. Da liegt er nun, der Gallenstein, in einem Gläschen, und sorgt für neuen Glanz in Kreuzberg, das doch immer so viel dreckiger war als Sylt und Brilon. Der erst aus mir und dann aus dem Krankenhaus entfernte Stein ist heller als üblich, wurde mir gesagt, geradezu fröhlich zitronengelb leuchtend, was laut Krankenschwestern auf ein sonniges Gemüt hindeutet.
Schätze, das werde ich auch noch brauchen. Denn wenn Merz das wüsste, dass ich mich nach meiner kostenlosen Grundversorgung am westlichen Gesundbrunnen gleich wieder fröhlich in mein finsteres Wohngebiet zurückgewagt habe, ohne vorher eine schriftliche Erlaubnis meiner großzügigen Schutzherren einzuholen! Und wenn der saure Sauerländer auch noch erfährt, dass Kreuzberg gar kein kaputtes Katastrophengebiet mehr ist, wie in den 80ern, was dann?
Dann wird er womöglich richtig böse. Ja, was mache ich nur, wenn Retro-Merz bald Kanzler wird. Nach den Umfragen in dieser Woche (vor Habeck auf Platz eins) und den Ermüdungserscheinungen der Ampel scheint das gar nicht mehr unmöglich. Wird mir der Stein dann zur Strafe wieder eingepflanzt? Oder ist unsere Angst vor Merz genauso oldschool wie sein Weltbild und seine Warnungen vor den ukrainischen Touristen, die ihr Land sicher nur zum Spaß verlassen, um sich hier Sozialhilfe abzuholen?
In Italien ist die halbe Pizza braun
Ich jedenfalls soll noch zu Hause bleiben und Ruhe bewahren. Also tue ich mein Bestes und beruhige mich: Immerhin ist der viel befischte „rechte Rand“, von dem stets die Rede ist, jetzt wohl schwer enttäuscht, weil Merz sich schon nach zwei Stunden windelweich entschuldigt hat. Außerdem ist dieser „Rand“ bei uns noch nicht so groß wie in Schweden mit seinen köttbullarfarbigen Demokraten oder in Italien, wo seit Sonntag schon die halbe Pizza braun ist.
Zum Glück soll ich solche fetten Sachen gerade eh nicht essen. So gerate ich auch nicht in Versuchung, einen der albern-trotzigen „Ich gehe weiter zum Italiener“-Posts zu posten, woran mich die vier Pflaster auf den vier Löchern in meinem Bauch bitte weiter streng erinnern mögen.
Immer noch besser als vier Lecks in Gaspipelines, die zu Blubbern in der Ostsee und auf allen TV-Kanälen führen, zu Klimabelastungen in jeder Hinsicht und einer hübschen „Spekulationsblase“ auf dem taz-Titel. Waren es die Russen oder doch die Amis? Welche Gasleitung ist überhaupt noch sicher? Meine medizinische Immobilmachung hat dazu geführt, dass ich in dieser Woche nicht alle neuen Schreckensmeldungen minütlich live verfolgen konnte. So verpasste ich auch Putins jüngste Atomkriegsdrohung und die Debatte über die Medienkritik von Welzer/Precht. Ein klarer Vorteil einer Vollnarkose.
Wieder richtig aufgewacht bin ich erst, als Olaf Scholz von einem „Doppelwumms“ sprach. 200 Milliarden Euro als „Abwehrschirm“ gegen die Energiekosten. Zweimal so viel wie für die Aufrüstung. Es muss echt ernst sein, wenn Lindner Geld für Menschen rausrückt.
Oder ist das am Ende gar nicht Lindner, sondern Günter Wallraff, der sich verkleidet und leicht verjüngt ins Kabinett eingeschlichen hat, während der störrische Finanzminister irgendwo weggesperrt wurde? Zuzutrauen wäre es Wallraff, der die Welt schon immer sozialer machen wollte, mutig und erfolgreich. Ich fühle mich mit ihm seit einem Schülerjob als Spüler in der Krankenhausküche eng verbunden, als jemand auf dem Dienstplan neben meinen Nachnamen „Ganz unten“ geschrieben hat. Eine schöne Erinnerung, die mir jetzt sogar das Essen in der Klinik versüßt hat.
In diesem Sinne alles Gute zum 80., lieber Namensvetter!
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