„Pictoplasma“ in Berlin: Kleine Monster im weißen Rauschen

Unter dem Motto „White Noise – Character Emphasis“ findet dieser Tage die neunte Pictoplasma statt. Es geht um die grafischen Geschöpfe, die uns umzingeln.

Olimpia Zagnoli: „The Wonderful World of OZ“. Bild: Pictoplasma Festival

BERLIN taz | Es ist nicht viel dran an ihm. Er ist glatt, weiß, hat nur zwei Knopfaugen und ein Paar lange Ohren, die ihn als Hasen identifizieren. Reduzierter geht es nicht. Der Petit Lapin, erschaffen vom Künstler Mr Clement, hat so viel Ausdruck wie ein Strichmännchen, aber wundersamerweise scheint genau darin das Geheimnis seines Erfolgs zu liegen.

In seiner Abstraktion ist der Petit Lapin das perfekte Beispiel für das, was das sogenannte Charakterdesign ausmacht. Wenn Mr Clement, von dem nicht viel mehr bekannt ist, als dass er aus Hongkong stammt und garantiert nicht Clement heißt, die schmucklose Hasenfigur zum Mond fliegen, in seltsamen Gruppenkonstellationen auftreten oder um die Welt reisen lässt – zum Beispiel jetzt nach Berlin zum alljährlichen Characterdesign-Festival Pictoplasma –, verwandelt sie sich in eine Projektionsfläche für Assoziationen und Identitätsspielereien einer Post-Facebook-Generation.

Character sind ein globales Phänomen. Die kleinen grafischen Geschöpfe bevölkern Computerbildschirme und Werbekampagnen, animieren auf Produktverpackungen zum Kauf, tummeln sich auf Häuserwänden wie in Animationsfilmen, Comics, auf Laufstegen und im Spielzeugregal. Da ist zum Beispiel die mundlose Katze Hello Kitty oder die griesgrämige Emily the Strange, es gibt haarige Zottelmonster oder Smileys. Viele sind niedlich, manche abstoßend, andere beides zugleich.

Rund um die Jahrtausendwende war es, als der Animationsdesigner Peter Thaler und der Kulturwissenschaftler Lars Dennicke auf die neue Art von Formsprache aufmerksam wurden. Zeitgleich mit der Etablierung des kommerziellen Internets gewann die reduzierte Figürlichkeit im Kindchenschema an Bedeutung. Die Character krochen durch die damals noch langsamen Datenleitungen und versprachen freundlich grinsend eine neue Art von globaler Kommunikation basierend auf einfachen, aber einprägsamen Bildern.

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„Fotos oder arabeske Illustrationen zu nutzen war technisch nicht möglich, deswegen kamen fast iconhafte, typografische Figuren zum Einsatz. Sie waren extrem reduziert, aber dadurch von einer grafischen Schärfe, die überaus interessant war“, erklärt Thaler. Gemeinsam mit Dennicke fing er an zu recherchieren, sie stellten erst ein Character-Archiv zusammen, gründeten dann das Festival, das mittlerweile nicht nur in Berlin, sondern auch in New York stattfindet.

Emotionale Macht visueller Eindrücke

Thaler und Dennicke geben Publikationen zum Thema heraus und stellen weltweit Veranstaltungen auf die Beine, stets mit dem Ziel, den Charactern und ihren Zeichnern eine Bühne zu geben, Bildsprachen sichtbar zu machen und das Characterdesign als Kunstform abseits von kommerzieller Nutzung zu etablieren. „Die Qualität dieser Bilder ist, dass sie fast erschreckend zugänglich sind“, sagt Thaler.

Überprüfen lässt sich das ab heute wieder bei der neunten Pictoplasma, die rund um das Kino Babylon stattfindet. Während sich die Konferenz, bei der Zeichner, Designer und Illustratoren von ihrer Arbeit berichten – darunter Stars der Szene wie Geneviève Gauckler – an ein Fachpublikum richtet, bieten Ausstellungen in diversen Galerien, Filmscreenings und Clubnächte auch Neulingen Einblicke in die Welt der Character.

Bei diesen hat sich, seit Thaler und Dennicke Pictoplasma gründeten, freilich einiges getan, nicht nur weil die Geschwindigkeit des digitalen Datenstroms gestiegen ist. Das vage Versprechen, die ikonografische Zeichen könnten sich zu einer Art von grafischen Esperanto entwickeln, hat sich indes nicht eingelöst. Im Fokus der Pictoplasma steht nun vielmehr die ästhetische Qualität der Figuren und die Frage, wie diese es schaffen, sich aus dem „white Noise“ – wie auch das Thema der diesjährigen Pictoplasma lautet – dem weißen Rauschen der digitalen Bilderflut abzuheben, und gleichzeitig doch ein Teil dessen sind.

Denn egal, wie süß und unschuldig sie dreinblicken – die Character stehen für die emotionale Macht visueller Eindrücke, für unsere Hassliebe zu der Welt der Bilder, die uns umzingelt.

Bis 14. April, im Babylon Berlin und an weiteren gut 20 Ausstellungsorten berlin.pictoplasma.com

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