Physiker über die Endlagersuche: „Wir erleben eine riesige Hängepartie“
Bei der Suche nach einem Atommüllendlager ist das Nationale Begleitgremium inzwischen anerkannt, sagt Armin Grunwald. Trotzdem sei noch Luft nach oben.
taz: Herr Grunwald, das Nationale Begleitgremium (NBG) hat gerade seine 100. Sitzung absolviert. Wie läuft die Endlagersuche aus Ihrer Sicht?
, 65, ist Physiker, Philosoph und Leiter des Karlsruher Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Seit der Einrichtung des Nationalen Begleitgremiums 2016 ist er Mitglied, seit 2020 dessen Co-Vorsitzender.
Armin Grunwald: Das Verfahren selbst und die einzelnen Verfahrensschritte sind weitgehend gut gelaufen. Das einzige Problem: Die Suche dauert erheblich länger als wir alle dachten.
taz: Wie konnte sich das NBG bislang in das Verfahren einbringen?
Grunwald: Anfangs gab es Schwierigkeiten, wir mussten unsere Position und unseren Platz in dem Verfahren erst mal finden. Es kam auch immer mal wieder zu unangenehmen Situationen. Etwa, wenn wir wichtige Dinge erst aus der Zeitung erfahren haben, obwohl wir eigentlich vorab hätten informiert werden müssen.
taz: Jetzt läuft es besser?
Grunwald: Ja, inzwischen hat sich viel getan. Wir sind anerkannt, wir sind ins Feld der Akteure aufgenommen worden.
Das 2016 eingerichtete Nationale Begleitgremium (NBG) ist ein unabhängiges Gremium, das die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll begleiten soll. Es besteht aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Bundestag und Bundesrat berufen – und aus Bürgervertreter:innen, die in einem Beteiligungsverfahren nominiert und vom Bundesumweltminister ernannt werden.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wiederum sucht seit sieben Jahren nach einem Endlager für Atommüll. Das muss mindestens 300 Meter unter der Erde liegen und eine großflächige, 100 Meter dicke Gesteinsschicht bieten. Die BGE hat schon etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands für ungeeignet erklärt. Am Montag stellt sie ihr neuestes Zwischenergebnis vor. Ende 2027 sollen einige konkrete Kandidaten festgelegt und dann weiter verglichen werden. Reimar Paul, taz
taz: Das heißt konkret?
Grunwald: Wir haben und nutzen etwa die Möglichkeit, bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) und beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) Akteneinsicht zu nehmen. Das hat Routine bekommen, da können wir auf diesem Wege in deren Werkstätten hineinschauen. Und uns auch – in begrenztem Maße natürlich – der Öffentlichkeit gegenüber verbürgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
taz: Das NBG bekommt also auch Interna mit?
Grunwald: Ja. Wir werden mittlerweile auch über Vorgänge informiert, bevor sie an die Öffentlichkeit kommen. Zum Beispiel hat das Bundesumweltministerium uns vor einigen Wochen Einsicht in seine Überlegungen gewährt, in welche Richtung das Standortauswahlgesetz gegebenenfalls angepasst werden sollte, um eine Optimierung des Verfahrens zu erreichen. Das ist alles noch nicht spruchreif, aber wir haben jetzt schon die Möglichkeit, darüber intern zu diskutieren. Das ist eine gute Sache.
taz: Wird das NBG auch von der Politik als vollwertiger Akteur anerkannt?
Grunwald: Wir haben unser Mandat vom Bundestag und Bundesrat bekommen, sind also gesetzlich mandatiert durch die zentralen Körperschaften der deutschen Demokratie. Allerdings schaffen es diese derzeit nicht, uns geregelt zu besetzen. Wir erleben da eine riesige Hängepartie. Die jetzige Besatzung – bis auf die Bürgervertreter, da gibt es ein eigenes Verfahren – macht das seit zweieinhalb Jahren kommissarisch auf Bitten des Umweltministeriums. Zweieinhalb Jahre ohne Wiederbesetzung – das schwächt das Gremium, das schwächt seine Legitimation, das vermittelt den Eindruck, die Politik steht nicht wirklich hinter uns oder ist nicht wirklich an uns interessiert. Also, das ist kein guter Zustand. Wir fahren seit zweieinhalb Jahren nur mit verminderter Kraft, zumal drei Mitglieder seitdem nicht mehr dabei sind.
taz: Womit beschäftigt sich das NBG aktuell?
Grunwald: Das große Thema heißt Beschleunigung oder Optimierung des Suchverfahrens. Es ist nicht gut, wenn es jetzt wirklich bis in die 2050er oder 60er Jahre oder noch länger dauert, bis ein Standort gefunden ist. Das Ziel ist eigentlich, das noch in den 2040er Jahren zu schaffen, schon das dauert noch lang genug. Da wird jetzt an allen möglichen Stellen untersucht, ob und wie man das Verfahren beschleunigen kann. Etwa durch neue geophysikalische Erkundungsverfahren, bei denen man vielleicht weniger bohren muss. Aber auch dadurch, dass verschiedene Schritte parallel laufen könnten. Da sind wir eng dran. Unsere Botschaft ist da: Beschleunigung ja, aber nicht auf Kosten von Sicherheit, nicht auf Kosten von Sorgfalt, und nicht auf Kosten von Bürgerbeteiligung und Transparenz.
taz: Die Endlagersuche ist ein komplexes Verfahren, das viel und unterschiedlichen Sachverstand erfordert. Wie kann das NBG da mithalten?
Grunwald: Wir haben eine kompetente Geschäftsstelle mit Geologen, mit Juristen, mit Experten für Öffentlichkeitsarbeit, das ist schon mal ein großes Pfund. Und wir haben die Mittel, um auch Sachverständige zu beauftragen, etwa für die Akteneinsicht bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung, da braucht es Geologen, die richtig Ahnung haben, die sich auskennen in der Erde. Wir können auch Gutachten vergeben für Detailfragen, etwa für juristische Dinge. Aktuell haben wir ein Gutachten beauftragt, in dem es um die Überprüfung der Methoden der BGE geht, um von den 54 Prozent der deutschen Fläche, die immer noch formal im Rennen sind, auf deutlich weniger zu kommen. Das Gutachten machen wir am 4. November bekannt, also einen Tag, nach dem die BGE einen neuen Zwischenstand vorstellt.
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