Phänomen Piraten: Unchristliche Seefahrt

Weltweit nimmt die Freibeuterei wieder Fahrt auf. Die Piraten kommen mit Panzerfäusten oder im Schlauchboot, überfallen private wie kommerzielle Seefahrer - und stehen in einer langen Tradition.

Meldungen über Piraten nehmen zu. Das hat Hollywood längst erkannt; "Fluch der Karibik" mit Johnny Depp. Bild: dpa

Ned Plimpton: Stevielein, was geht hier vor? Sind das Entführer?

Steve Zissou: Nun, hier draußen nennen wir sie "Piraten", Ned.

("Der Tiefseetaucher")

Niels Stolberg ist sauer. Derzeit verhandelt der Chef der Bremer Beluga-Reederei mit Piraten, die vor der somalischen Küste eines seiner Schiffe gekapert haben, die "BBC Trinidad". Die Täter seien "entschlossen und aggressiv", sie hätten konkrete Forderung genannt: "Wenn wir jetzt nicht handeln, eskaliert das. Die Aggressivität, der Organisationsgrad und die Bewaffnung der Piraten haben sich so entwickelt, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen." Er erwarte von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in den kommenden zwei Wochen "grünes Licht" für Schutz durch die Marine. Was geht hier vor?

Fest steht, dass die noch immer seltsam unzeitgemäß klingenden Meldungen über "Piraten" im Westen und Osten des Indischen Ozeans im selben Maße zunehmen, wie der weltweite Güterverkehr zur See ausgreift. Piraten sind die Parasiten wirtschaftlicher Prosperität.

Fuß fassen können sie entweder in Küstennähe von "failed states" wie Somalia - oder in den Weiten solcher internationalen Gewässer, in denen anstelle staatlichen Autorität nurmehr das Recht des Besserbewaffneten und damit Stärkeren waltet.

Dabei ist das Problem alles andere als neu. Schon im 5. Jahrhundert vor Christus schlossen sich griechische Stadtstaaten in erster Linie deshalb zum Delisch-Attischen Seebund zusammen, um der Piratenplage in der Ägäis beizukommen. Sogar Rom musste sein späteres "mare nostrum", das Mittelmeer, zunächst durch Pompeius von Piraten säubern lassen, um Handelsrouten und vor allem die Getreidelieferungen aus Ägypten zu sichern, was den Aufstieg zum Imperium erst ermöglichte - wobei die Siedlungen der Seeräuber dem Erdboden gleichgemacht und die Einwohner an Orte umgesiedelt wurden, an denen sie ihren Lebensunterhalt auf friedlichere Weise verdienen konnten.

Von keinem anderen Problem spricht 2.000 Jahre später ein kanadischer Marineoffizier, wenn er der Newsweek über die Lage vor dem gesetzlosen Somalia berichtet: "Es wäre einfach, zu sagen: Wir wissen, wo sie sind - warum gehen wir sie nicht holen? Aber dafür brauchst du eine gesetzliche Grundlage, Feuerkraft und die Bereitschaft, Kollateralschäden hinzunehmen."

Schon immer freilich war die Grenze zwischen staatlicher und seeräuberischer Gewalt fließend - wobei das, was man später "staatliche Gewalt" zu nennen beliebte, zuvor oft erst mit freibeuterischen Mitteln etabliert worden ist. Ob beispielsweise in der frühen Kolonialzeit ertragreiche Gebiete wie die Gewürzinseln im indonesischen Archipel von den Portugiesen "entdeckt" oder doch eher von den Niederländern räuberisch einverleibt wurden, liegt im Auge des Betrachters - das Gebiet, heute ein heikles Nadelöhr der globalisierten Zirkulation von Waren und Rohstoffen, ist auch derzeit noch ein Brennpunkt der Seeräuberei.

Auch stellten, vor allem in der Spätzeit der Kolonialisierung, interessierte Regierungen Kaperbriefe aus, die es privaten "Unternehmern" erlaubte, Schiffe einer anderen Nation auszurauben - als eine Art Seekrieg mit anderen Mitteln, wie ihn etwa Deutschland noch im Ersten Weltkrieg oder, klassisch, England gegen die spanische Silberflotte in der Karibik praktizierte - woher das Klischee des Piraten mit Augenklappe, Holzbein und Papagei auf der Schulter rührt. Als diese Freibeuter mit staatlichem Auftrag lästig wurden, ernannte man sie, wie Francis Drake, zu Admiralen - oder erklärte sie für "nicht der Christenheit zugehörig", also zu Freiwild; ein Echo darauf ist die Story vom "Fliegenden Holländer". Aber erst der technologische Fortschritt der Dampfschifffahrt und der politische Schritt zur imperialen Kriegsflotte machten der Piraterie im 19. Jahrhundert weitgehend ein Ende. Wo Großmächte wie die USA oder die UdSSR nach Hegemonie über die Weltmeere strebten, war ohnehin kein Platz mehr für einen Störtebeker.

Jetzt haben die Piraten nachgerüstet, und das Gefälle zwischen Arm und Reich ist auch nicht eben geringer geworden: In der Nacht zum Montag haben nun bewaffnete Räuber eine Luxusjacht mit deutschen Touristen überfallen und 138.000 Euro erbeutet. Der Segler ankerte vor Porto-Vecchio, Korsika. Und die modernen Korsaren kamen mit dem Schlauchboot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.