Pflegeverbandschef zu Reformen: "Die Kosten werden steigen"
Die schwarz-gelbe Koalition verhandelt über die Pflegereform. Der Verbandschef privater Anbieter sozialer Dienste warnt vor Einsparungen durch die Hintertür.
taz: Herr Mauel, am Wochenende wollen die Spitzen der schwarz-gelben Koalition erneut um einen Kompromiss für die Reform der Pflegeversicherung ringen. Sie vertreten die Interessen von bundesweit mehr als jeder vierten ambulanten und stationären Pflegeeinrichtung sowie deren Patienten. Erwarten Sie den großen Wurf?
Herbert Mauel: Wir erwarten, dass nicht nur über das leidige Thema der Finanzierung gesprochen wird, sondern endlich konkrete Verbesserungen für die Pflegebedürftigen beschlossen werden.
Aber die Finanzierung ist doch der größte Streitpunkt?
, 51, ist Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, des größten Interessenverbands privater Anbieter von Pflegediensten in Deutschland.
Die Pflegereform: Am Sonntag berät der Koalitionsausschuss über die lang erwartete Reform der Pflegeversicherung. Vor dem Spitzentreffen der Koalition drängen Gesundheitspolitiker aus CDU und CSU auf eine Entscheidung. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) gab sich optimistisch, dass es zu einer Einigung kommen werde. Doch wie der Kompromiss konkret aussehen soll, blieb offen. Wahrscheinlich ist, dass die Versicherten wohl bald mehr für die Pflege im Alter ausgeben müssen.
Ich hielte es für klug, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass die Kosten steigen werden. Alles andere ist unehrlich. Wenn ich mehr Pflegebedürftige versorgen will, kostet das mehr Geld. Wenn ich mehr tun will für Demenzkranke, kostet das mehr Geld. Das ist eine ganz banale Rechnung. Und es werden immer die Versicherten zur Kasse gebeten werden, egal in welcher Form. Wichtig ist, dass die Pflegeversicherung erreicht, dass diejenigen, die ohne Pflegebedürftigkeit keine Sozialhilfe beantragen müssen, dies auch im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht müssen. Sonst verliert das System die Akzeptanz.
Eine Reform, die erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zur Folge hat, gilt innerhalb der Koalition weder als vermittel- noch als durchsetzbar.
Deswegen sorge ich mich sehr, dass es Abstriche an den Rahmenbedingungen geben wird, dass diese Reform am Ende also zu Lasten der Pflegebedürftigen geht. Derzeit wird das Geld der Pflegeversicherung nach 20 körperbezogenen Verrichtungen verteilt. Im stationären Bereich bemisst sich daran auch der Personalschlüssel. Das hat mit dem tatsächlichen Aufwand in der Pflege natürlich nichts zu tun. Deswegen brauchen wir ein neues Begutachtungssystem.
Ein solches Tool liegt ja bereits vor. Vermuten Sie, dass dieser neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, der ja insbesondere bessere Leistungen für Demenzkranke vorsieht, nicht umgesetzt wird?
Nein, das wird sich der Minister nicht leisten wollen. Nur: Es wird immer so getan, als sei mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auch automatisch der Personalmangel behoben. Das treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn. Der neue Begriff allein schafft keine einzige Pflegefachkraft mehr. Wir brauchen aber im stationären Bereich 175.000 Pflegekräfte mehr bis 2020 und im ambulanten Sektor 55.000.
Demenzkranken ist nicht damit geholfen, dass ihr Aufwand besser beschrieben wird. Sondern damit, dass ihnen tatsächlich mehr Betreuungs- und Pflegezeit zur Verfügung steht. Und da habe ich Zweifel, ob nicht einfach bereits bestehende Leistungen für Demenzkranke künftig verrechnet werden sollen, dass es de facto also kein Mehr an Leistungen für sie gibt.
Welche Leistungen gibt es denn bisher schon für Demente?
Es gibt schon im stationären Bereich die sogenannten Demenzbetreuer, das ist eine volle Stelle pro 25 Betreute. Und im ambulanten Bereich gibt es Zuschüsse zur Betreuung, das sind zwischen 100 und 200 Euro im Monat für jeden Dementen. Das sind Leistungsverbesserungen, die nicht ausreichen, die aber zumindest während der letzten Pflegereform beschlossen wurden und sich bewährt haben. Und die - im Gegensatz zu allen anderen Leistungen aus der Pflegeversicherung, die ja eine Teilleistungsversicherung ist - Vollkaskoleistungen sind, also weder von den pflegebedürftigen Menschen noch von den Sozialhilfeträgern bezahlt werden müssen.
Es steht zu befürchten, dass diese aus meiner Sicht unverzichtbaren Leistungen mit der Begründung, es gäbe den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, wieder abgeschafft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist