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Pflegezeit ein FlopEin Gesetz für 200 Einzelfälle

Das Bundesfamilienministerium stellt fest, dass die Pflegezeit kein Erfolg ist. Nur in 200 Fällen wollten Menschen so die Pflege von Angehörigen und den Beruf in Einklang bringen.

Nur sehr wenige nehmen das Angebot der Pflegezeit an Bild: dpa

BERLIN dpa | Die Anfang 2012 eingeführte Pflegezeit für Familien wird bislang kaum genutzt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber hätten das Gesetz in den ersten zwölf Monaten in nicht mehr als 200 Einzelfällen in Anspruch genommen, berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf eine Statistik des Bundesfamilienministeriums. Ministerin Kristina Schröder (CDU) wollte mit dem Gesetz ursprünglich Menschen die Chance geben, ihren Beruf und die Pflege eines Angehörigen besser miteinander zu vereinbaren.

Vorgesehen ist, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit für maximal zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduzieren können, um nahe Angehörige zu pflegen. Um in dieser Zeit finanziell abgesichert zu sein, zahlt der Arbeitgeber ein höheres Gehalt, zum Beispiel 75 Prozent der bisherigen Bezüge. Nach Ende der Pflegezeit müssen die Arbeitnehmer dann so lange zu einem geringeren Gehalt arbeiten, bis der Vorschuss ausgeglichen ist. Auf diese Form der Auszeit besteht aber kein Rechtsanspruch.

Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums sagte, das Beispiel der Altersteilzeit, die sehr ähnlich organisiert gewesen sei und nach zehn Jahren 100 000 Teilnehmer hatte, zeige, dass solche großen gesellschaftlichen Vorhaben eine Anlaufzeit brauchen.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte die Regelung. Die Zahlen belegten, dass das Gesetz nicht notwendig sei, sagte ein Sprecher. Arbeitgeber und Arbeitnehmer könnten je nach Einzelfall und Betrieb selbst etwas für Pflegezeiten vereinbaren. Die stellvertretende DGB-Chefin Ingrid Sehrbrock monierte den fehlenden Rechtsanspruch. Dadurch fehle dem Gesetz die „soziale Prägekraft“ und der „soziale Mindeststandard“.

In Deutschland werden dem Bericht zufolge mehr als 1,6 Millionen Menschen von Angehörigen und ambulanten Diensten zu Hause gepflegt.

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1 Kommentar

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  • M
    Masouki

    Da es keinen Rechtsanspruch gibt, wäre an dieser Stelle interessant, wieviele Menschen die Pflegezeit in Anspruch nehmen wollten dies aber nicht konnten.

     

    M.E. ist das Gesetz auch ein wenig an der Realität vorbei konzipiert:

    1. Was mache ich nach Ablauf der 2 Jahre?

    2. Ein Großteil der pflegenden Angehörigen ist bereits selbst im Rentenalter.

    3. Wer kümmerst sich während der verkürzten Arbeitszeit? Demenzkranke bspw. brauchen sehr oft eine 24h-Betreuung. Zwar gibt es in grösseren Städten Betreungsmöglichkeiten, in ländlichen Regionen dürfte es da ganz anders aussehen...

     

    Kurz gesagt, es wird sehr schnell deutlich, dass mit diesem Gesetz zwar versucht wird, die für die Pflegekassen deutlich teurere Heimunterbringung zu minimieren, aber nicht darüber nachgedacht wurde, welche Unterstützung pflegende Angehörige wirklich brauchen!

     

    Kleines Bsp: Zwar habe ich Anspruch auf Kurzzeitpflege in einem Heim, um selbst einmal Urlaub machen zu können. Dies gilt aber nur, wenn das Heim eine Extraabteilung hat und nicht einfach leere Zimmer zwischendrin zur Kurzzeitpflege nutzt. Ausserdem muss ich einen Eigenanteil selbst bezahlen, der je nach Einrichtung locker 20,- €/Tag beträgt. Den Hin- und Rücktransport im Krankenwagen (anders geht's nicht) muss ich auch selbst bezahlen.

    Fazit: Mal Urlaub machen wäre schön, finanziell aber nicht zu stemmen!!!