piwik no script img

Pflegenotstand„Ich allein schaffe das nicht mehr“

Es wird schwieriger für Pflegebedürftige, einen Heimplatz zu ergattern. Krankenhäuser und Angehörige stellt das vor Probleme. So wie Marianne Salger.

Einen Anspruch auf (gute) Pflege gibt es nicht Foto: Bernd Thissen/dpa

berlin taz | Irgendwann ging es einfach nicht mehr, Ludger Salger, 76, zu Hause zu versorgen. Als er seine Frau nicht mehr erkannte. Als er auf der Toilette vergaß, was er dort eigentlich wollte. Als er in die Kaffeetasse biss statt in den Kuchen. Als er zunehmend aggressiv wurde. „Ich hätte es zu Hause nicht mehr geschafft“, sagt Marianne Salger, 60. Als ihr Mann in ein Krankenhaus kam, suchte sie für die Zeit danach einen Heimplatz für ihn. Nur: Es gab keinen.

Salger blieb vier Monate in der Klinik, obwohl er gar keinen Krankenhausaufenthalt mehr brauchte. Seine Frau telefonierte mehr als ein Dutzend Heime ab und bat um Aufnahme. „Ich konnte ihn doch nicht mehr zurücknehmen“, sagt Salger. „Man konnte ihn nicht mehr fünf Minuten allein lassen, ich wäre mit ihm zu Hause gefangen gewesen.“ Ihre Teilzeitstelle in einem Personalbüro aufzugeben wegen der Pflege, „das ist ein Horrorgedanke für mich“, sagt Salger, die mit ihrem Mann, einem ehemaligen Beamten, seit 30 Jahren zusammen gewesen war. Kinder haben sie keine. Das Ehepaar heißt eigentlich anders, aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes will Marianne Salger nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen.

Die Salgers stehen für ein Problem, das immer drängender wird: Was tun mit hochgradig Pflegebedürftigen, wenn die Angehörigen mit der Versorgung überfordert sind, sich aber auch kein Heimplatz oder Pflegedienst auftun lässt? Einen Rechtsanspruch auf einen Pflege­platz gibt es nicht.

Im Sondierungspapier zu den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD steht zum Thema Pflege lediglich der eine vage Satz, man wolle „eine große Pflegereform auf den Weg bringen“. Von bedarfsgerechter Versorgung ist nicht die Rede. Der Pflegeversicherung droht auch in diesem Jahr wieder ein Defizit, das auch die neue Regierung beschäftigen wird.

Das Problem der fehlenden Plätze merken die Krankenhäuser, wenn sie für gebrechliche Hochaltrige einen Pflegeplatz suchen, weil Angehörige sie nicht zu Hause versorgen können. „Es wird immer schwieriger, im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt einen Pflegeplatz zu finden“, sagt Antje Liesener, Referentin bei der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG).

Liesener ist zuständig für die Sozialdienste in Krankenhäusern, die sich um die weitere Versorgung der Pa­ti­en­t:in­nen kümmern. Heime und auch die ambulanten Pflegedienste können sich inzwischen aber ihre Be­woh­ne­r:in­nen und Kli­en­t:in­nen aussuchen.

Aggressive, schwergewichtige oder ärmere Pflegebedürftige haben schlechte Karten

„Schwierig wird es, wenn mehrere Bedarfslagen der Pflegebedürftigen zusammenkommen“, sagt Liesener. Wer zum Beispiel wie Ludger Salger eine Demenzerkrankung hat mit aggressiven Ausbrüchen, mit dem Drang, wegzulaufen, der hat schlechte Karten. „Da sagte eine Einrichtung, einen solchen Fall können wir nicht betreuen“, erzählt Marianne Salger. Auch wer sehr schwergewichtig ist, wird von den ambulanten Diensten oder Heimen nicht so gerne genommen, weil man dann immer zwei Arbeitskräfte braucht für die Pflege. Ärmere Kli­en­t:in­nen sind ebenfalls weniger beliebt. Pflegeheime, die sich vom Sozialamt das Geld für den Eigenanteil einer Patientin holen müssen, haben viel Bürokratie zu bewältigen und warten zum Teil drei bis neun Monate auf ihr Geld, erzählt Liesener.

Die DVSG hat kürzlich eine Umfrage veröffentlicht über Versorgungslücken, die die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Sozialdienste beobachten. Ganz oben auf der Liste standen fehlende Plätze für die stationäre Dauerpflege und die Kurzzeit- und Verhinderungspflege, getoppt nur noch durch die Versorgungslücken in der psychotherapeutischen Versorgung.

Die Lösung für die Angehörigen und Sozialdienste besteht dann oftmals darin, „den Radius der Suche nach einem Pflegeplatz immer weiter auszuweiten“, erzählt Liesener. Doch findet sich dann ein abgelegenes Heim irgendwo in einer anderen Region, können die Angehörigen nicht mehr so oft zu Besuch kommen.

Salger hat nach Monaten dann doch einen Pflegeplatz gefunden, in einer geschlossenen Einrichtung, 30 Autominuten von Düsseldorf entfernt. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrt zweieinhalb Stunden. Mit dem Heim ist sie zufrieden, aber die Sorge um ihren Mann bleibt. Er attackierte das Pflegepersonal und musste jetzt mit Medikamenten ruhiggestellt werden, deren Verabreichung Marianne Salger zustimmte.

„Jede Entscheidung ist von schlechtem Gewissen begleitet“, sagt sie. „Mein Herz sagt: ich hole ihn wieder nach Hause. Doch der Verstand weiß: Ich allein schaffe das nicht mehr.“ Über diese inneren Konflikte pflegender Angehöriger werde „so gut wie nie gesprochen“, bedauert die Düsseldorferin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Was mir in diesem Artikel fehlt, ist die Tatsache, dass Pflegeheime für Investoren und Konzerne ein Milliardengeschäft sind. Das Geld um Pflegeheime gut auszustatten scheint also vorhanden zu sein,.nur wird es nicht zweckgebunden eingesetzt.



    Statt die Beitragssätze weiter anzuheben und Geld von A nach B zu verschieben, sollte da angesetzt werden wo das Geld zur Bereicherung einzelner verschwindet. Aus meiner Sicht gilt das auch für viele andere Bereiche.



    Und letztlich muss man sagen, wie schon seit langem politisch und gesellschaftlich mit vunerablen Gruppen umgegangen wird ist einfach nur erschreckend.

  • Eine traurige Geschichte und mittlerweile kenne ich fast niemanden in meinem Bekanntenkreis, der nicht eine ähnliche Geschichte über zu pflegende ältere und dsmenzerkrankte Angehörige zu erzählen weiß.



    Unser Gesundheits- und Versorgungssystem fährt sehenden Auges gegen die Wand. Und ich werde nachdenklich und frage mich, unter welchen Umständen ich wohl meine Rest-Lebenszeit verbringen werde.



    Wer keine nennenswerten Vermögenswerte ansparen konnte, eine chronische Erkrankung hat und kein stabiles, tragfähiges soziales Netzwerk, der hat im Alter wahrlich schlechte Karten.

  • Vielleicht wäre für Steuerhinterzieher die Zwangseinweisung im Alter in ein staatliches Pfegeheim wirkungsvoller als eine Gefängnisstrafe...!

  • bin 76, noch pflegestufe 1. habe keine angehörigen, die mich pflegen könnten. bei den im o.a. artikel erwähnten zuständen habe auch ich schlechte karten, obwohl ich weder aggressiv noch schwergewichtig bin, eher im gegenteil.



    frau fühlt sich wg. alt+krank weitestgehend mißachtet + nicht respektiert. eine gesellschaft, die so mit ihren alten + kranken umgeht, ist asozial. es war vorauszusehen, daß die menschen bei uns älter werden, der pflegebedarf steigt + der bedarf an heimplätzen.



    die sog. heldInnen werden immer noch unterbezahlt (damit meine ich jetzt auch die altenpflegerInnen.



    die pflegekasse=komisches system. der medizinische dienst der krankenkassen oder so: seit jeher übel.



    ich kenne 1ärztin, die da arbeitet+internas berichtet. fazit: grusel, das grauen.



    alten-krankenpflegerInnen:



    in meinem bekanntenkreis haben mehr ahnung als ärzte. deren ratschläge befolge ich gerne, da ich von nebenwirkungen/medikamente krank+kränker werde.



    wer solche netze nicht hat, ist aufgeschmissen.



    trotz meiner netze: ich auch, sollte ich heimplatz brauchen. letzer ausweg:



    von köhlbrandbrücke springen. nur komme ich da nicht mehr rauf.



    was fürn pech aber auch.

  • Bitte am Thema dranbleiben.



    Die Pflegeversicherung bzw die durch diese entstandene teure Arbeitszeitverschwendung welche gut ausgebildete Pflegekräfte erleiden, die alles haarklein dokumentieren müssen sind unerträglich für die dort LEBENDEN MENSCHEN und die dort arbeitenden.



    Es gibt viele die die Schn... voll haben und sich gern zusammenschliessen würden, um bessere, menschlichere und bezahlbarere Möglichkeiten der Pflege zu entwickeln. Sie brauchen die Unterstützung gegen das Weglabern der Mißstände durch die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung.