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Pflege"Es liegt nicht nur am Geld"

Die Zustände in der deutschen Altenpflege sind teilweise katastrophal - auch in teuren Heimen. Nötig sind mehr Kontrollen und eine bessere Ausbildung des Personals, sagt Professorin Doris Schiemann.

Viele Pfleger sind Hilfskräfte, kritisiert Schiemann. Bild: dpa

taz: Frau Schiemann, schon lange weiß man, dass viele alte Menschen in den Heimen verdursten oder sich wund liegen. Warum regt sich die Öffentlichkeit jetzt erst auf?

FH Osnabrück

DORIS SCHIEMANN ist seit 1993 Professorin für Pflegewissenschaften an der Fachhochschule Osnabrück. Sie war ursprünglich ausgebildete Kinderkrankenschwester und arbeitete in den 70er-Jahren in der Intensivpflege. Von 1981 bis 1993 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Osnabrück. Seit 1992 leitet sie das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP).

Doris Schiemann: Ich bin auch erstaunt, dass die Medien erst jetzt so stark reagieren. Den Pflegenotstand gibt es seit zehn Jahren.

Die Bundesregierung will jetzt unangekündigte Stichproben in den Altenheimen vorschreiben und die Prüfergebnisse des medizinischen Dienstes der Krankenkassen veröffentlichen. Ist das genug?

Nein. Die externe Qualitätssicherung reicht nicht aus. Es müssen auch betriebsintern regelmäßig Qualitätsmessungen durchgeführt werden.

Und wie?

Es gibt geeignete Methoden. Wichtig ist, dass die Heimbewohner aktiv beteiligt werden. Sie können zum Beispiel sehr gut Auskunft darüber geben, ob bei ihnen regelmäßige Hautkontrollen durchgeführt werden oder ob sie über Druckgeschwüre informiert wurden. Die Ergebnisse bei besonderen Pflegerisiken - wie Stürze und Druckgeschwüre - sollten einmal jährlich veröffentlicht werden, damit sich Pflegebedürftige und Angehörige ein Bild machen können, welches Heim geeignet ist.

Bleiben wir bei dem Beispiel der Druckgeschwüre: Wie können sie bei Bettlägrigen verhindert werden?

Es gibt anerkannte, von Wissenschaftlern und Praktikern erarbeitete Standards, die auf dem neuesten Stand sind. Damit lassen sich spürbare Verbesserungen für Heimbewohner erreichen.

Das heißt konkret?

Um Druckgeschwüre zu verhindern ist es zum Beispiel sinnvoll, Patienten Mikrobewegungen zu zeigen, die sie auch im Bett oder im Rollstuhl ausführen können.

Gibt es genug Heime, sodass die Angehörigen eine wirkliche Auswahl haben?

Inzwischen hat sich das Angebot von der Anzahl her verbessert. Wenn Sie die ganzen Hochglanzbroschüren sehen, die von Heimen verteilt werden, können Sie daraus schließen, dass einige Betten leer stehen.

Seit Jahren sind die Beiträge für die Pflegeversicherung nicht angehoben worden. Fehlt schlicht das Geld, um die Alten optimal zu versorgen?

Am Geld allein kann es nicht liegen. Auch in teuren Heimen kommt schlechte Pflege vor. Umgekehrt gibt es Einrichtungen, die hervorragend sind. Hilfreich wäre es, wenn eine "Positivliste" dieser Heime zur Verfügung stünde. Das würde den Betroffenen sehr helfen. Zudem wäre es ein Anreiz für weniger gute Einrichtungen, sich zu verbessern.

Wenn es nicht allein am Geld liegt - wie kommt es dann zum Pflegenotstand?

Ein wichtiger Punkt ist die Personalausstattung. Der Anteil an Hilfskräften ist sehr hoch: Sie machen etwa 50 Prozent der Belegschaft aus. Verdeckt sind es manchmal auch mehr.

Gut qualifiziertes Personal würde die Pflege doch noch teurer machen.

Das ist gar nicht gesagt. Es könnte sogar sein, dass es Kosten spart - weil die Zufriedenheit des Personals deutlich steigen würde. Ausfallzeiten und Fluktuation würden sinken. Wenn darüber hinaus hoch qualifizierte Heim- und Pflegemanager beschäftigt würden, könnten die vorhandenen Ressourcen effizienter eingesetzt werden.

Um einen häufig dokumentierten Missstand herauszugreifen: Für die Heime ist es doch billiger, wenn Ernährungssonden gelegt werden, damit es beim Essen schneller geht.

Nicht unbedingt. Es macht das Pflegepersonal nicht glücklich, wie Umfragen belegen, wenn sie aus Zeitmangel Sonden legen. Bei den meisten Pflegekräften hat bei der Berufswahl Idealismus eine große Rolle gespielt. Und der Frust ist sehr hoch, wenn der eigene Anspruch - dazu gehört auch die Fachlichkeit - immer unterschritten werden muss. Genau diese Situationen führen zu hoher Fluktuation und zur Abwanderung in andere Berufe.

Was wird in der Debatte um den Pflegenotstand noch übersehen?

Die Diskussion konzentriert sich aktuell nur auf die Situation in den Heimen. Doch es herrscht teilweise auch ein Pflegenotstand in den Krankenhäusern. Insbesondere wenn es um alte und demenziell erkrankte Patienten geht. Letztes Jahr hat das "Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" anhand internationaler Daten eine Studie vorgelegt, die den Zusammenhang zwischen der Anzahl von Pflegekräften und der Häufigkeit von Todesfällen in Krankenhäusern belegt. Und das sogenannte "Pflegethermometer" ergab für Deutschland, dass zum Beispiel mehr als ein Drittel aller Krankenhauspatienten bei den Mahlzeiten nicht im eigenen Esstempo unterstützt wird.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN

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