Pflanzenschutzmittel: Brüssel darf Gift nicht erzwingen
EU-Gerichtshof gibt skandinavischen Ländern Recht: Sie dürfen ein hochgiftiges Herbizid verbieten, das die Kommission zuvor zugelassen hatte.
STOCKHOLM taz Die EU-Kommission darf Schweden nicht zwingen, ein dort seit Jahrzehnten verbotenes giftiges Herbizid wieder zuzulassen, bloß weil es auf der Positivliste der in der EU erlaubten Unkrautbekämpfungsmittel steht. Das entschied der Europäische Gerichtshof am Mittwoch. Mehr noch: Die Richter rügten die Kommission dafür, dass sie ein Pflanzenschutzmittel zugelassen hatte, von dem "nicht über jeden vernünftigen Zweifel hinaus feststeht", dass es für die Gesundheit von Tieren oder Menschen ungefährlich sei.
Bei dem Herbizid handelt es sich um Paraquat, ein von der Weltgesundheitsorganisation als "hoch-toxisch" klassifiziertes Pflanzenschutzmittel, das bereits seit den sechziger Jahren wegen seiner gesundheitsschädlichen Wirkung auf Menschen und Umwelt kritisiert wird. Paraquat ist in den skandinavischen Ländern seit den 1980-er Jahren vollständig verboten, in Österreich seit 1993. In der Dritten Welt wird es jedoch noch beim Anbau von Bananen, Kakao, Kaffee und Baumwolle angewandt, aber auch in Deutschland und Südeuropa kommt es beispielsweise im Weinbau zum Einsatz. In Deutschland gibt es lediglich Anwendungsbeschränkungen, die vor allem eine Anreicherung des Gifts im Boden und eine Verseuchung des Grundwassers verhindern sollen.
Akute Vergiftungen durch Paraquat können beim Menschen schwere Nieren- oder Sehschäden verursachen. Wird das Mittel direkt eingeatmet, kann es die Lungen zerstören und zum Erstickungstod führen. Zudem besteht der Verdacht auf Langzeitschäden wie Krebs und Parkinson. Das internationale Pestizid-Netzwerk zählt Paraquat zum "dreckigen Dutzend" der schlimmsten Umweltgifte.
Trotzdem hatte der EU-Lebensmittel- und Tiergesundheits-Ausschuss das Herbizid 2004 in die Positiv-Liste aufgenommen, die Kommission wollte Schweden verpflichten, es wieder zuzulassen. Die Bundesregierung unterstützte diese Linie.
Der Gerichtshof in Luxemburg stellt nun fest, dass die Kommission gegen das "Vorsichtigkeitsprinzip" verstoßen habe. Sie habe nicht die erforderliche Risikoabwägung vorgenommen, obwohl kritische Studien und Hinweise auf schwere Gesundheitsschädigungen hierzu "Veranlassung hätten geben müssen". Konkret habe Brüssel grünes Licht für 14 Anwendungsbereiche gegeben, aber tatsächlich nur zwei davon untersucht. Und nicht einmal bei diesen beiden war laut EU-Gerichtshof ein vertretbares Risiko zu verneinen gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag