Pferdesport in Corona-Krise: Dostojewski siegt nicht
Galopprennbahnen wollen in der Coronakrise ohne Preisverleihungen weitermachen. Auf positive Tests sind sie jedoch nicht vorbereitet.
Der russische Schriftsteller Dostojewski steckte fast ein Jahrzehnt lang tief in Schulden. In deutschen Casinos trieb er sich und seine Frau mit seiner Spielsucht im 19. Jahrhundert in den Ruin.
Doch am Montagnachmittag wiederum hätte so mancher Zocker mit „Dostojewski“ reich werden können. Denn der dreijährige Hengst mit dem Namen des Schriftstellers war gemeldet für das erste der insgesamt acht geplanten Coronageisterrennen auf der Galopprennbahn in Dortmund.
Und die Galopper-Zeitschrift Sport Welt prognostizierte für „Dostojewskis“ Sieg in ihrer Donnerstagsausgabe die mit Abstand höchste Eventualquote. Mit 10 Euro Einsatz hätte man 100 Euro zurückbekommen. Verlockend.
Nur: Am Samstagvormittag musste der Dortmunder Rennbahnpräsident Andreas Tiedtke den Renntag abblasen. Die Begründung: Die aktualisierte Fassung der Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen lasse sportliche Veranstaltungen und damit die Durchführung des Rennens nicht zu.
„Während nun Zoobesuche für zahlende Zuschauer und Museen geöffnet werden“, polterte Tiedtke anschließend in einer Pressemitteilung, „bleibt es für unsere Zucht, die Berufstätigen und den Rennvereinen bei den massiven Einschränkungen unserer Grundrechte.“
Mit Tierzuchtgesetz für die Leistungsprüfung
Doch warum hätte ausgerechnet der Galopprennsport die erste größere Sportart in Deutschland sein sollen, die während der Coronapandemie wieder loslegen darf? Michael Vesper, der Präsident des Dachverbands Deutscher Galopp, hatte seit Mitte April stets mit dem Tierzuchtgesetz argumentiert. Laut diesem sind Pferderennen sogenannte Leistungsprüfungen, mit denen die Rennleistung der Pferde für die Vollblutzucht ermittelt werden sollen. Da der Staat die Verantwortung dafür an seinen Verband delegiert hat, müssten die Rennen durchgeführt werden, trug Vesper vor.
Diese Argumentation genügte den Behörden in NRW aber nicht. Denn: Gleichzeitig seien Pferderennen ja auch eine sportliche Veranstaltung und mit einer Wettkampfsituation verbunden.
Ein anderes Argument hatte Verbandspräsident Michael Vesper, zugleich ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und NRW-Staatsminister a. D. (Grüne), vor einer Woche vorgelegt: ein Konzept, mit dem Pferderennen ohne Zuschauer durchgeführt werden könnten. „Beim Galopprennen gibt es keine Blutgrätsche und keine Berührungen“, gab er sich hoffnungsfroh. „Wir können die behördlichen Vorgaben zu 100 Prozent einhalten!“
Das Konzept sieht unter anderem vor: Jockeys mit Mundschutz, strenge Zugangsbeschränkungen, keine Siegerehrungen und geschlossene Duschen. Und natürlich: Überall soll 1,5 Meter Abstand gehalten werden – auch beim Aufsteigen und Absatteln der Jockeys.
Springreiten erlaubt, Galopprennen verboten
Was das Konzept nicht vorsieht: einen positiven Test auf das Coronavirus. Vor Betreten des Rennbahngeländes soll schlicht durch Temperaturmessungen oder eine kurze Befragung sichergestellt werden, dass keine sichtbare Corona-Infektion vorliegt.
Trotzdem hatte die Region Hannover als zuständige Kommunalbehörde das Konzept für das am 7. Mai geplante Rennen in der niedersächsischen Hauptstadt abgesegnet. Die niedersächsische Landesregierung hat es jetzt allerdings abgesagt.
Seltsam nur: An diesem Wochenende fand im niedersächsischen Luhmühlen mit Genehmigung des gleichen niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums bereits ein offizielles Profi-Springreitturnier statt. Nicht nur Galopper-Präsident Vesper dürfte sich fragen: Warum die und wir nicht?
Am 10. Mai wiederum soll im brandenburgischen Hoppegarten ein Rennen über die Bühne gehen – mit Einverständnis des dort ansässigen Gesundheitsamtes. Das Land Brandenburg gesteht den Kommunen in seiner Eindämmungsverordnung zudem das Recht zu, im Einzelfall Ausnahmegenehmigungen für Sportveranstaltungen zu erteilen.
Onlinewetten gehen immer noch
Wenn Bund und Länder nicht vorab einen gemeinsamen Beschluss für den Sport fassen, könnte ein skurriles Szenario entstehen: In Hoppegarten darf am 10. Mai galoppiert werden, zwei Tage zuvor beim geplanten Rennen in Köln jedoch nicht.
Sollten Galopprennen tatsächlich noch vor der Fußballbundesliga wieder stattfinden, dürfte zumindest ein Kalkül der Branche mit ihren rund 3.000 Vollzeitbeschäftigten aufgehen: Mit Onlinewetten auf Pferderennen lässt sich in sportarmen Lockdown-Zeiten mehr Geld verdienen – auch wenn davon nur ein geringer Teil an engagierte Rennbahnbetreiber wie Andreas Tiedtke in Dortmund geht.
Ein positives Signal gab es am Wochenende doch noch: Mit einer Soli-Wetten-Aktion einiger betuchter Galopprennsport-Freunde kommen bis Saisonende mehr als eine Million Euro zusammen. Ein Teil davon geht an die Rennbahnbetreiber. Der Ruin von Dostojewski steht ihnen also noch nicht bevor.
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