Pfefferspray und Pepperballs: Chili statt ausgestreckter Hand
Erst seit der Jahrtausendwende als polizeiliches Zwangsmittel im Einsatz, spritzt die Polizei immer häufiger mit reizenden Substanzen. Das kann ins Auge gehen.
BERLIN taz | Seit den Polizeiübergriffen im Rahmen der Proteste um "Stuttgart 21" ist Bewegung in die Debatte um polizeiliche Zwangsmittel gekommen. Pfefferspray, gern als "mildestes Zwangsmittel" – im Vergleich zu Schlagstöcken und Wasserwerfern – bezeichnet, enthält entweder den Wirkstoff Oleoresin capsicum, natürlich gewonnen aus Paprika, Chili oder Cayenne-Pfeffer, oder synthetisches Oleoresin capsicum. Der zweite verwendete Wirkstoff ist Pelargonsäure-vanillylamid (PAVA).
Gesunde Menschen können eine normale Dosis ohne Folgeschäden überstehen, wenn schnell eine Behandlung erfolgt, problematisch wird es bei Allergikern, Kontaktlinsenträgern und Drogenkonsumenten.
Bagatell-Zwangsmittel Pfefferspray? Beim 1.Mai in Berlin sagte ein Sanitäter der taz: "Bei jeder dieser Augenverletzungen durch Pfefferspray handelt es sich um eine akute Verletzung der Hornhaut, die bleibende Schäden hinterlassen kann", und ärgerte sich "Hier geht die Polizei ganz schön lässig mit dem Gewaltmonopol um."
Die Gewerkschaft der Polizei sagt, Pfefferspray werde eingesetzt, "wenn es die Situation erfordert". Geregelt ist der Einsatz von Pfefferspray in Landesgesetzen, sowie in der "Technischen Richtlinie Reizstoff-Sprühgeräte mit Oleoresin Capsicum oder Perlagonsäure-vanilllylamid". In dieser Richtlinie (PDF) geht es um Umweltfragen und um technische Normen, zum Beispiel die vier zugelassenen Geräte, mit denen die reizenden Stoffe versprüht werden – eine gesundheitliche Risikobewertung der Stoffe gibt es bis heute nicht.
Keine "Technische Richtlinie" für Pepperballs
Noch gravierender: Pepperballs, erstmals in Deutschland aufgefallen im Rahmen der Blockaden gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden. Ihr Einsatz ist durch das sächsische Polizeigesetz gedeckt: "Das Staatsministerium des Innern kann weitere Hilfsmittel der körperlichen Gewalt zulassen" heisst es in Paragraf 31. Und Pfeffer per Gewehr wurde bereits eingesetzt: bei der Blockaden-Räumung an der Dresdner Bergstraße hört man die Pepperball-Gewehre knattern.
Auch das LKA Sachsen bestätigt den Einsatz. Die Frage, auf Basis welcher technischer Richtlinie die Pepperballs am 19.2. in Dresden eingesetzt wurden, konnte die Sprecherin nicht beantworten, hierfür sei das LKA nicht zuständig. Man testet das neue Gerät jedoch: aus nächster Nähe, bei Schüssen auf nackte Haut gebe es leichte Hämatome und Abschürfungen, würde ein Auge getroffen, sähe das "natürlich anders aus", jedoch: Es werde im Einsatz nicht aufs Gesicht gezielt. Die Sprecherin versicherte zudem, dass die Beamten den Einsatz des Pepperball-Gewehrs "ständig üben". Und Pepperballs würden eh nur eingesetzt, wenn "der polizeiliche Zweck nicht anders erreichbar ist", sprich, wenn die Situation gewalttätig und außer Kontrolle ist. An der Bergstraße sieht das eigentlich nicht so aus.
"Keine Autos, keine Nazis". Da sei einfach nur eine Sitzblockade gewesen. "Gut, sie haben sich eingehakt", sagt ein Fotograf, der an der Bergstraße fünf Meter von einem Polizisten mit Pepperball-Gewehr wegstand. Nach dem Einsatz von Tränengas habe es "Geschrei" gegeben. Er berichtet, nach dem Abschuss des Pepperball-Gewehrs sei ihm ein "Brechreiz" gekommen. Das Gewehr sei beim Abschuss nicht auf ihn gerichtet gewesen, der Winkel war etwa 90 Grad, als es abgefeuert wurde, dennoch "legte sich was unangenehmes auf die Bronchien".
Private Sicherheitsdienste erhalten keine Genehmigung
Die Bundesregierung antwortet auf eine Kleine Anfrage (PDF) von Linken-Abgeordneten zu den Vorkommnissen in Dresden, tragbare Geräte zur Ausbringung von Pfefferstaub und Pfefferspray unterlägen der Anti-Folter-Verordnung. Für die Bundespolizei plane man keine Pepperball-Gewehre anzuschaffen.
Private Sicherheitsdienste erhielten zudem keine Genehmigung für den Einsatz von Pepperball-Gewehren – im Bereich Pfefferspray hingegen gibt es einen florierenden Handel für den privaten Gebrauch und für private Sicherheitskräfte. Pepperballs werden also als noch gefährlicher eingestuft.
Gutachten mit vielen Informationen zu Pfefferspray
Björn Schering, Mitarbeiter der Linken-Bundestagsabgeordneten Karin Binder, hat ein Gutachten (PDF) zu Pfefferspray erstellt. Menschen, die mit Pfefferspray in Berührung gekommen sind, sollen "fast ausnahmslos" einen Arzt aufsuchen. In jedem Falle seien Erste-Hilfe-Maßnahmen notwendig. Besonders gefährdet seien Menschen mit Kontaktlinsen und Astmathiker, sowie unter Drogeneinfluss stehende Personen. Wechselwirkungen mit Drogen und Medikamenten hätten, so das Gutachten, im Jahr 2009 zu drei Todesfällen nach Pfeffersprayeinsatz geführt. 2010 sei einer gestorben, der unter Kokaineinfluss Pfefferspray abbekommen hat. Auch in den USA gebe es immer wieder Todesfälle.
Bei richtiger Behandlung könnten – bei gesunden, nüchternen Menschen – Langzeitschäden ausgeschlossen werden, sofern es nicht zu einer Überdosierung gekommen sei. Überdosierungen könnten jedoch chronische Magenschleimhautentzündung, zu Nieren- und Leberschädigungen verursachen.
Einsatz von Pfefferspray verbieten
Wegen solcher Folgen will die Linke im Bundestag den Einsatz von Pfefferspray verbieten (PDF). Pfefferspray ist relativ neu: Erst seit 1999 wird sein Einsatz durch die Polizei diskutiert. Und in den letzten Jahren gebe es "eine Dynamik hin zum Pfefferspray", hat Linken-Pfefferspray-Experte Schering beobachtet. "Statt Deeskalation, was ja mühsam und aufwändig ist, wird Pfefferspray gespritzt – wie Insektenspray".
Auch eine Petition gegen Pfefferspray soll es demächst geben, diese soll demnächst im Petitionssystem des Deutschen Bundestages klickbar sein. Der Petitionstext verlangt, dass die Bundespolizei in Zukunft auf Pfefferspray "außer in Notwehrsituationen" verzichten soll. Die von Schering beobachtete Aufrüstung der Polizei betrifft nicht nur Demonstranten. Genausoviele Umstände macht der Polizei die wöchentliche Sicherung von Fußballspielen – und auch hier kommt es natürlich zum Einsatz von Pfefferspray. Prominentestes Opfer: Der Präsident des KFC Uerdingen, Agissilaos "Lakis" Kourkoudialos. Im Interview mit dem Magazin 11 Freunde berichtet auch er, danach erst einmal "eine halbe Stunde nach Luft" gerungen zu haben und beklagt, das Einschreiten gegen die KFC-Fans hätte "in keinem Verhältnis zu den Ereignissen" gestanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“