Petition der Woche: Scheinwerfer dimmen, Musik aus!
Lebensmittel einkaufen macht wenig Spaß. Für manche ist es der pure Stress – zum Beispiel für Autisten. Dabei könnten Geschäfte Einiges dagegen tun.
Katja Cragles vierjähriger Sohn Emil geht gerne einkaufen. Oft fragt er sie danach. Nur: Mit ihm ist das Einkaufen nicht so einfach. Sie muss ihn immer vertrösten oder sich Ausreden einfallen lassen. Bei Emil wurde im vergangenen Herbst Autismus diagnostiziert. „Ihn zum Einkaufen mitzunehmen endet grundsätzlich in einer Katastrophe“, sagt Cragle am Telefon. „Es dauert nur etwa eine Minute, und er brüllt, weint, schlägt, wirft Sachen um.“ Das Problem ist die Reizüberflutung im Supermarkt, die Menschen mit Autismus überfordert: grelles Licht, zu laut, zu viele Menschen, zu viel Durcheinander.
Dem Discounter Lidl in Irland ist dieses Problem sehr wohl bewusst. Seit Anfang April, nach einem einjährigen Testlauf, werden in allen Filialen nach und nach Autismus-sensible Einkaufsabende eingeführt. Diese finden immer dienstags von 18 bis 20 Uhr statt. Dann wird die Beleuchtung heruntergefahren, es gibt keine Lautsprecherdurchsagen und keine Musik mehr, die Scannertöne sind leiser, es gibt einen vorderen Platz in der Kassenschlange für die Betroffenen und zusätzliche Hilfe auf Anfrage. Das alles soll den Einkauf einfacher machen.
Von diesem Konzept in Irland hat Cragle über eine Facebook-Gruppe erfahren, in der sich Menschen mit Autismus austauschen. „Oh Mann, das wäre die Rettung“, dachte sie. „Wenn das in Irland möglich ist, dann müssen wir das hier auch versuchen.“ An einem Montagmorgen Mitte April war das. Sie hat sich an ihren Küchentisch gesetzt und ihre Petition an Lidl Deutschland auf change.org verfasst. Sie fordert: „Wöchentliche Autismus-sensible Einkaufsabende bei Lidl Deutschland (wie bei Lidl Irland)“. 832 Unterschriften kamen bereits zusammen.
Anlass der Petition Lidl-Filialen in Irland nehmen Rücksicht auf Menschen mit Autismus.
Das will die Initiatorin Autismus-sensible Einkaufsabende auch in Deutschland.
Das will sie wirklich Gemeinsam mit ihrem Sohn einkaufen gehen können.
Cragle und ihr Sohn wohnen in Hamm, einer 200.000-Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen. Zwei Lidl-Filialen gibt es da, „und beide sind eine Katastrophe, weil sie komplett überlaufen sind“. Deshalb geht sie entweder vor 16 Uhr einkaufen, wenn Emil noch im Kindergarten ist, oder wenn seine Oma auf ihn aufpassen kann. Wenn sie ihn doch mal mitnehmen muss, begegnet ihr häufig Mangel an Verständnis bis hin zu bösen Kommentaren.
Zwei Stunden, in denen die Filialen auf die Bedürfnisse von Menschen mit Autismus Rücksicht nehmen, „würden uns schon so helfen“, sagt die Alleinerziehende. Allen anderen auch: Etwa ein Prozent der Menschen in Deutschland hat eine Form von Autismus, sagt Friedrich Nolte von Autismus Deutschland e. V.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Aktuell plant Lidl Deutschland keine Einkaufszeiten einzuführen, in denen die Filialgestaltung speziell auf die Anforderungen von Autisten angepasst ist“, informiert Lidl Deutschland auf Anfrage. „Wir werden den Test von Lidl Irland jedoch mit unseren Kollegen besprechen und die Resonanz darauf in zukünftige Überlegungen einbeziehen.“
Die Petition könnte einen Anstoß geben; schließlich will Lidl, so schreiben sie, „jedem Kunden einen angenehmen Einkauf bieten“. Das ist für Kunden mit Autismus nicht der Fall. „Wir haben aber genauso das Recht, einkaufen zu gehen“, sagt Cragle. Die Petition ist für sie nur der erste Schritt: Andere Supermärkte könnten folgen. „Bei Lidl erhoffe ich mir für den Anfang die größten Chancen auf Erfolg“, sagt Cragle. Warum sollte, was in Irland geht, hier nicht gehen?
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