Petition der Woche: Europa will Budapests Uni
Die Central European University in Ungarn soll geschlossen werden. Dem Parlament ist sie zu liberal. Nun regt sich internationaler Protest.
Am Ende ruhte die Hoffnung der Petenten sogar auf János Áder. An der Unterschrift des ungarischen Staatspräsidenten hing das Schicksal der Budapester Universität CEU. Mehr als 50.000 Menschen hatten sich im Netz dafür eingesetzt, dass die Hochschule in der ungarischen Hauptstadt weiter ausbilden darf.
Noch mehr demonstrierten am vergangenen Wochenende für den Erhalt der Uni. Rund 70.000 Menschen auf der Straße, das hat Ungarn schon lange nicht mehr gesehen. Auf dem Transparent der Kern der Auseinandersetzung: „Ich hatte auf einen Abschluss gehofft. Jetzt will ich Demokratie“.
Wie kann eine einzelne Universität so zum Politikum werden? Ganz einfach: Sie ist einst von George Soros gegründet worden, dem US-amerikanischen Multimilliardär mit ungarischer Abstammung. Ministerpräsident Viktor Orbán hat ihn zu seinem Erzfeind erklärt. Soros ist so ziemlich an allem schuld, was Orbán gern anprangert: Soros ist der Drahtzieher der Flüchtlingskrise, der Mephisto der liberalen Gesellschaft, mit seiner Universität der Lehrer der europäischen Eliten.
Am 4. April brachte Orbán das Gesetz per Eilverfahren durchs Parlament. Am Montagabend unterzeichnete der ungarische Staatspräsident János Áder das Gesetz. 2.000 Menschen protestierten noch am selben Abend vor seinem Amtssitz. Áder glaubt nicht, dass das Gesetz die Freiheit von Lehre und Forschung einschränke. Es ist ein juristischer Trick, mit dem die CEU ins Aus befördert werden soll. Nach dem neuen Hochschulgesetz muss jede ausländische Uni mit einer Filiale in Ungarn auch ein Institut im Heimatstaat haben.
Autorisierung aus den USA
Außerdem braucht es eine Autorisierung der Universität durch Bundesbehörden des Landes, in dem die Universität registriert ist. Im Fall CEU wären das die USA. Und hier ist das Problem. In den USA, so der Präsident der Universität, Michael Ignatieff, ist das gar nicht möglich. Dort sind die einzelnen Bundesstaaten für höhere Bildung zuständig und keine Bundesbehörde.
Der Konflikt: In Budapest soll die Uni geschlossen werden
Das wollen die Initiatoren: sie erhalten
Das wollen sie nicht: dass sich der Staat einmischt
Das wollen sie eigentlich: freie Lehre und Forschung
Zu finden unter: http://bit.ly/2ojDh3W
Deswegen trafen 2004 der Gouverneur von New York und der damalige Premierminister Ungarns eine Vereinbarung. Jetzt soll die nicht mehr reichen. Interessant: Das Gesetz gilt zwar für alle Universitäten in Ungarn, aber es betrifft doch nur eine, die CEU. Das Hochschulgesetz ist in Wahrheit also eine „Lex CEU“.
Soros, der seit Jahrzehnten mit seiner Open Society Foundation Demokratie und Liberalität fördern will, hatte die CEU 1991 in Budapest gegründet. Inzwischen ist sie unabhängig und bildet pro Jahr rund 1.800 Studenten aus über 100 Ländern aus. Die CEU gilt als Elite-Universität und eine der besten des Landes. Seit den 1970er Jahren vergibt die Society Stipendien, auch für andere Universitäten. Einer der bekanntesten Stipendiaten ist Viktor Orbán selbst. 1989/90 hatte er dadurch die Möglichkeit, in Oxford zu studieren und zu forschen.
Hayır oder Evet? Die Türkei stimmt über das Verfassungsreferendum ab. Wir blicken in der taz.am wochenende vom 15./16./17 April nach Izmir, die Hauptstadt des "Nein" – und in die Zukunft. Außerdem: Unser Autor wurde als Homosexueller in Syrien verfolgt – Geschichte einer Emanzipation. Ein Gespräch mit dem "Tatortreiniger" Bjarne Mädel übers Abnehmen und die Oberflächlichkeit des Fernsehens. Und: Eine österliche Liebeserklärung der Köchin Sarah Wiener an das Ei. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Dennoch soll die Universität zum Januar 2018 schließen. Dagegen regt sich globaler Protest. Kofi Annan, ehemaliger UN-Generalsekretär, das US-amerikanische Außenministerium, die deutsche Bundesregierung, Universitäten, Wissenschaftler: Sie alle fordern, dass die CEU bleibt. Der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa bezeichnete das Gesetz als „eine heimtückische Attacke auf die Kultur“ und rief all jene, die an die Freiheit glauben, dazu auf, dagegen mobilzumachen.
Einen Plan B lieferte die Vizebürgermeisterin Wiens, Maria Vassilakou, bereits letzte Woche: Sie hat die Universität eingeladen, nach Österreich zu ziehen. Ähnliche Angebote kamen aus Vilnius und Berlin. Europa will die CEU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten