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Perspektiven für GeduldeteEine halbe Chance

Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht ist ein Anfang, um die Situation geduldeter Menschen zu verbessern. Doch die Hürden fürs Hierbleiben sind hoch.

Abstimmung im Bundestag zum Chancen-Aufenthaltsrecht im Dezember 22 Foto: Kay Nietfeld/dpa

C hancen muss man nur ergreifen? Ganz so einfach ist es nicht! Am 31. 12. 2022 ist das neue Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft getreten. Das erklärte Ziel der Bundesregierung: Menschen aus der prekären Lage der Kettenduldung zu holen. Das Gesetz ­sendet zwar positive Signale, die Hürden für ein Bleiberecht bleiben jedoch hoch. Viele Personen in Duldung werden nur dann erreicht, wenn Kommunen sie aktiv mit Maßnahmen unterstützen.

Zum Hintergrund: Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht eröffnet geduldeten Personen, die sich zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalten, die Chance, ihren Aufenthalt zu verstetigen. Als Brücke wurde eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis eingeführt. In dieser Zeit müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden: weitgehende Sicherung des Lebensunterhalts, Klärung der Identität und Erwerb von Sprachkenntnissen.

Ein kleiner Teil der Geduldeten wird künftig bessere Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland haben. Ein Ende der Unsicherheit ist für den Großteil jedoch nicht in Sicht. Warum?

Schätzungen zufolge wird nur ein Bruchteil der geduldeten Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, der Großteil wird in den prekären Status der Duldung zurückfallen. Aktuell wird zeitgleich zum Chancen-Aufenthalt die Abschiebung ausreisepflichtiger Menschen im Zuge der sogenannten Rückkehr-Offensive gefordert. Bei diesen Personen handelt es sich zum großen Teil um Geduldete, die aus vielen verschiedenen Gründen in Deutschland bleiben, etwa aus medizinischer Notwendigkeit, aufgrund familiärer Bindungen, fehlender Reisedokumente oder aufgrund einer dringenden persönlichen und humanitären Lage. Migrationspolitisch ist es überfällig, dieser vulnerablen Gruppe teilhabe zu gewähren.

Ilker Ataç Hochschule Fulda

Karin Scherschel

Katholische Universität Eichstätt-­Ingolstadt

Susanne Spindler

Hochschule Düsseldorf

Die Au­to­r*in­nen leiten gemeinsam das Forschungs­projekt „Teilhabe trotz Duldung? Kommunale Gestaltungs­räume für geduldete Jugendliche und junge Erwachsene“, das von der Mercator Stiftung gefördert wird.

Auf der Grundlage der ersten Erkenntnisse unseres Forschungsprojekts stellen wir die These auf, dass erfolgreiche Verfestigungen des Aufenthalts durch das Chancen-Aufenthaltsrecht stark davon abhängen werden, ob und welche Maßnahmen auf der kommunalen Ebene ergriffen werden, um die Betroffenen bei der Erfüllung der geforderten Voraussetzungen zu unterstützen.

Personen, die über Jahre in Duldung leben, brauchen Unterstützung und Zeit. Ihre Lebenslage ist geprägt von ständiger Angst vor Abschiebung, Isolation und Armut. Zugänge zu Wohnraum, Arbeit, Ausbildung und Sprachkursen sind begrenzt oder versperrt. Innerhalb von 18 Monaten die geforderten Sprachkenntnisse zu erbringen, wird für viele eine zu hohe Hürde sein. Daher sollten Sprachkursangebote bedarfsorientiert ausgebaut und für alle geöffnet werden, auch in Gemeinschaftsunterkünften.

Der Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts wird ein schwer zu erreichendes Kriterium sein. Geduldete arbeiten meist unter höchst prekären Arbeitsbedingungen. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen können solchen Entwicklungen entgegenwirken. Ein Teil der Geduldeten nimmt bereits an Arbeitsmarktprogrammen der Länder oder des Bundes teil. Diese benötigen mehr Ressourcen und ein an den Bedarfen von Geduldeten orientiertes Programm.

Nun sind vor allem Beratungsstellen, Verbände, Vereine, migrantische (Selbst-)Organisationen und Initiativen gefragt. Ihre Arbeit muss mit zusätzlichen Mitteln zu Rechts- und Sozialberatung ausgestattet werden, damit sie gezielt begleiten können. Um möglichst viele Personen zu erreichen, sind vor allem die Kommunen gefordert. Geduldete sind selten Zielgruppe integrationspolitischer Maßnahmen und meist nur unzureichend über ihre Rechte informiert. Die Betroffenen sollten gemeinsam mit fachkundigen Personen prüfen können, wie sie sich am besten auf das Chancen-Aufenthaltsrecht vorbereiten.

Sprachkursangebote sollten ausgebaut und für alle geöffnet werden, auch in Gemeinschaftsunterkünften

Kommunen sollen Informationen in den Unterkünften bereitstellen und Stellen einrichten, die den Informationsfluss zwischen Behörden und Einrichtungen verbessern, die Geduldete bei der Umsetzung der Aufenthaltsverfestigung unterstützen. Ein niedrigschwelliges Angebot nach dem Modell einer Clearingstelle kann helfen, geduldete Personen bedarfsorientiert zu beraten. Runde Tische mit behördlichen Stellen wie Ausländerbehörde, Jugend- und Sozialamt, Integrationsamt und zivilgesellschaftlichen Akteuren können gemeinsame Probleme und Lösungsmöglichkeiten ausloten.

Insbesondere den Ausländerbehörden wird in der Umsetzung des neuen Aufenthaltsrechts eine bedeutende Rolle zukommen. Das Bundesinnenministerium hat sie im Erlass zum Gesetz dazu angehalten, Geduldete zu unterstützen und auf weiterführende Hilfsangebote hinzuweisen. Gerade bei der Identitätsklärung haben sie Ermessensspielräume, diese sollten weit ausgelegt werden. Für erste Informationen können die Ausländerbehörden die Betroffenen anschreiben, mit Hinweisen zu Voraussetzungen und auf Beratungsstellen. Schulungen der Mit­ar­bei­te­r*in­nen mit einer Sensibilisierung für die Lebenslagen der Geduldeten sind eine weitere Maßnahme. Zur Kommunikation zwischen Beratungsstellen und Ausländerbehörde ist eine direkte Ansprechperson in der Behörde sinnvoll, die unkompliziert erreichbar ist und über Erfahrungswerte verfügt.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht schließt an die Grundidee bisheriger Maßnahmen an: Ein Aufenthalt muss durch besondere Anstrengungen „verdient“ werden. Eine echte Wende würde der Aufenthaltssicherung den Vorrang geben und damit für die Betroffenen eine sichere Ausgangslage bieten. Alle Möglichkeiten, die das Chancen-Aufenthaltsrecht enthält, sollten dennoch genutzt und die dafür erforderliche Unterstützung bereitgestellt werden. Die Realisierung der oben genannten kurzfristigen Ziele darf aber nicht aus dem Auge verlieren, dass es langfristig darum geht, umfassende Teilhabe für Menschen in Duldung zu ermöglichen.

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3 Kommentare

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  • @w.Hanspach, wie Barbara schon geschrieben hat. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass sich jemand mit einer Duldung arrangiert hat und sich mit dem "Status" - der keiner ist - wohl fühlt. Wenig bis keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt, keinen Zugang zu einer gesicherten Krankenversorgung, auf ewig an Langer gekettet. Sind keine schönen Lebenslagen, in denen man "sich einrichten" könne. Von daher gilt es, die Chance zu ergreifen, auch wenn es vielleicht nicht so viele schaffen werden. Zur Zeit sieht es ja nicht danach auch, aber vielleicht wird sogar bei diesem "Chancenaufenthalt" noch mal nachgebessert, wenn absehbar ist, dass viele es nicht schaffen werden, die Anforderungen zu erfüllen. Unwahrscheinlich, wie alles hier, was die Situation von nicht-Weißen Geflüchteten verbessern könnte - aber die Hoffnung stirbt zuletzt

  • Ist nicht denkbar dass jemand sich in der Duldung eingerichtet hat. Und mit den Bedingungen zurechtkommt? Es wäre im Vergleich zu den zu nehmenden Hürden faktisch eine Bleibemöglichkeit, ohne all die Anstrengungen, die sehr schwer zum Erfolg führen würden. Wie der Artikel darlegt.

    • @Wolfgang Hanspach:

      Hallo Herr Ansbach, ich arbeite seit 2009 mit geflüchteten und war es Ihnen zu antworten: nein. Viele der geduldesten haben jahrelang Arbeit gesucht und wurden abgelehnt weil die Arbeitgeber keine kurzfristige Aufenthaltserlaubnis akzeptieren. Rechtlich wäre es möglich hängt aber vom Willen des Einzelnen ab Punkt in einer unsicheren Situation gelebt hast würde sich sehr freuen diese Situation stabiler zu gestalten jeder hat Träume und Wünsche dir verwirklichen möchte leider sind viele gerade in Berlin auch noch nach Jahren in Unterkünften für geflüchtete Menschen untergebracht das heißt über Jahre keine Privatsphäre keine eigene Toilette keine eigene Küche kein Raum um zu lernen Punkt das heißt auch einer größtenteils mit Gewalt gefüllten Atmosphäre ausgesetzt zu sein Sachen werden in Gemeinschaftsküchen geklaut Kinderwagen verschwinden. Ich glaube nicht dass ein Mensch sich mit so einer Situation arrangieren kann.