Personenführung #177: Brigitte Werneburg: Die Elegante

Die langjährige taz-Kulturredakteurin geht in Rente. Ihr feingeistiges Modeverständnis und Gespür für Kunst wird der taz fehlen.

Brigitte Werneburg, langjährige taz-Kulturredakteurin

Foto: Christina Roth/Stefan Heidenreich/taz

Von FATMA AYDEMIR und NOEMI MOLITOR

Wir sitzen im dunklen Zuschauerraum und drehen uns zeitgleich zueinander um: „Brigitte!“ Ein Berliner Vorwinterabend im Gorki-Theater und plötzlich steht da mitten in der Aufführung von „Tausend Serpentinen Angst“ Brigitte Werneburg auf der Bühne.

Die langjährige Kulturredakteurin der taz heißt für einen Moment Ariane Andereggen und spielt die Punk gewordene Mutter der Protagonistin.

Natürlich handelt es sich bei unserer assoziativen Begegnung nur um eine Erscheinung von Brigitte Werneburg, aber es stimmt alles: die Präsenz, die Mimik, die Haare, die Ungeduld für jegliches Anzeichen von Unentschlossenheit.

Offen für Veränderung

Dass Brigitte, die ab 1992 frei für die taz schrieb und später fest arbeitete, so unverkennbar ist, dass sie als Personifizierung ihrer selbst überall auftauchen kann, zeugt von dem bleibenden Eindruck, den nicht nur ihre Texte über Mode, Architektur und Kunst hinterlassen, sondern auch ihr Auftreten und ihre Haltung bei ihren Kol­le­g:in­nen im Haus.

In der Kunstwelt, in der Brigitte vorrangig unterwegs ist, herrscht ja bekanntermaßen eine erwartbare Harmonie zwischen allen Beteiligten. Brigitte hat sich davon nie anstecken lassen. Wie auch immer sie resistent geblieben ist: Wenn ihr etwas nicht passt, dann äußert sie das – so forsch, wie es ihr in dem Moment für angemessen erscheint.

Wenn ihr etwas gefällt, ist das genauso. Und nicht selten hört man Brigitte eine Ambivalenz formulieren, „ich mag diese Art von Diskurs nicht, aber diesen Punkt/diesen Text/diese Person finde ich wichtig und spannend!“ Es sind solche Momente, die zeigen, dass Brigitte nicht nur in der Kunstwelt ihre eigene Position behalten hat, sondern auch an ihrem Arbeitsplatz, der taz.

Wie in jeder linken Organisation gibt es auch in dieser Zeitung Gruppierungen, die sich je nach Thema recht dogmatisch zergliedern. Brigitte lässt sich schwer in einer Front verorten. Sie blickt auf Debatten mit derselben Feingeistigkeit, mit der sie auf Kunst blickt: kritisch, neugierig, offen für Veränderung.

Die große Freiheit

Ein antielitärer Zugang prägt auch ihr Modeverständnis. Die zweifellos bestgekleidete Redakteurin der taz-Historie kombiniert H&M mit High Fashion und folgt einem eigenen Stilbewusstsein, fernab von Trends und Marken.

Von ihren Wortschöpfungen hat so manche jüngere Redakteurin das Schreiben über Kunst gelernt. Zur Fotografin Judy Linn, die in den 70ern Robert Mapplethorpe und Patti Smith porträtierte, schrieb sie einmal, „sie ist die Sachliche“. Der Maler Uwe Kowski wiederum ist bei ihr „der Bunte, Farbenfrohe, Abstrakte“. Und Brigitte? Sie ist die Elegante, die Bestimmte, die Zugewandte.

Nach knapp 30 Jahren bei der taz geht sie nun in Rente. Mit Alter oder Ruhe hat das mit Sicherheit nichts zu tun, wenn überhaupt, kommt jetzt noch einmal die große Freiheit.

Am Ende der „Tausend Serpentinen“ begegnen sich Protagonistin, Mutter und Großmutter in einem zeitreisenden Streich alle drei als Jugendliche. Die Mutter hat sich in fetten Buchstaben „Gott sei Punk“ auf die Jacke gesprüht. Für 30 Jahre taz mit Stil lässt sich das Zitat ganz eindeutig rückübersetzen: Brigitte sei Dank.