Persönlichkeitsrechte für Tiere: Wann wird ein Etwas zum Wer?
Meldungen über besondere Leistungen von Tieren gibt es viele. Leider werden daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen.
Persönlichkeitsrechte für Tiere – klingt das für Sie absurd? Macht uns nicht die Tatsache, dass wir Menschen Personen sind, zur Krönung der Schöpfung, und trennt uns nicht gerade dies vom Rest der Tierwelt? Folgt man den Erkenntnissen moderner Verhaltensbiologie und der Neurowissenschaften, dann lautet die Antwort: Nein.
Doch keine Angst, wir Menschen bleiben einzigartig, denn unsere Fähigkeit zu komplexem kooperativen Handeln hat uns extrem erfolgreich sein lassen und erklärt, warum wir Städte bauen und Raketen auf den Mond schießen. Errungenschaften, die wir als Gemeinschaft hervorgebracht haben und die uns über Generationen erhalten bleiben.
Doch wir sind nicht die einzigen Wesen auf „unserem“ Planeten, die sich zu Personen entwickelt haben. Bei einigen Tierarten handelt es sich zweifelsfrei um mitfühlende, selbstbewusste Individuen mit einer Vorstellung von Raum und Zeit und der Fähigkeit zu strategischem Denken und planvollem Handeln. Sie leben in ihrer eigenen Kultur, haben ein lebenslanges Gedächtnis und vermutlich die Fähigkeit, im Rahmen einer einfachen Grammatik miteinander zu kommunizieren.
Sie nutzen Werkzeuge und scheinen so etwas wie einen guten Geschmack oder ein Bewusstsein für Mode zu haben. Darüber hinaus können sie sich empathisch verhalten, und es wurden einfache Formen von Gerechtigkeitssinn und Fairness entdeckt. In den grundlegenden Fähigkeiten, die uns Menschen zu Personen machen, steht uns somit eine ganze Reihe von Tieren in nichts nach.
Was erhebt uns noch über das Tier?
Fast wöchentlich erscheint eine neue Meldung über beeindruckende tierische Leistungen in unsere Medien. Was fehlt, sind die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind. Wenn uns einige hochentwickelte Tiere in den Charakteristika einer Person in nichts nachstehen, müssen ihnen konsequenterweise auch gleiche Rechte zugestanden werden. Was erhebt uns noch über das Tier und was sind die Konsequenzen, wenn wir in anderen Tierarten Personen erkennen, wenn ein Etwas zum Wer wird?
Ein Wer hat ein Recht auf sich selbst, ein Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Es ist höchste Zeit, dass die Erkenntnisse über die Persönlichkeit von Tieren endlich unsere Moralvorstellungen und damit unser Handeln mitbestimmen. Der Schutz von hochentwickelten Tieren darf nicht länger auf Populationsebene stattfinden und erst ernst genommen werden, wenn eine Tierart kurz vor dem Aussterben steht. Nein, Tiere, die sich auf das Niveau einer Person entwickelt haben, haben genauso wie wir ein Recht auf sich selbst und auf ihren Lebensraum.
Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Juni 2013. Darin außerdem: Die Titelgeschichte „Die neuen Habenichtse“ über Internetunternehmer, die das Zeitalter des Haben-Wollens überwinden wollen. Die Affenforscherin Jane Goodall über die Ähnlichkeit von Menschen und Schimpansen. Und: Wie ein Islamist mit einem Telefonstreich den größten Terroralarm seit der RAF auslöste. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
********
Delfine als Vorreiter
Der Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist gerade in einer öffentlichen Anhörung zum Thema „Haltung von Delfinen beenden“. Ob und wann das in Gesetzesänderungen einfließt, ist unklar.
Tierrechte sind nicht gleich den Persönlichkeitsrechten. Eine Persönlichkeit erfordert bestimmte Bewusstseinseigenschaften, die sich wissenschaftlich messen lassen – etwa Sprache mit einer einfachen Grammatik, ein Selbstbewusstsein oder eine Vorstellung von gutem oder schlechtem Geschmack.
Die Helsinki Deklaration: Angelehnt an eine Deklaration des Weltärztebundes von 1964 zu ethischen Grundsätzen in der medizinischen Forschung, wurde am 22. Mai 2010 von Wissenschaftlern ein Manifest für die Rechte von Walen und Delfinen verabschiedet.
Das Buch von Karsten Brensing heißt „Persönlichkeitsrechte für Tiere: Die nächste Stufe der moralischen Evolution“, erschienen April 2013 im Herder Verlag, 240 Seiten, gebundene Ausgabe 18 Euro.
Aus meiner Sicht ist dies keine Frage der Einstellung oder des Glaubens, sondern der Logik und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hier nur eines der Beispiele: Wenn sich zum Beispiel ein Elefant und ein zweijähriges menschliches Kind im Spiegel erkennen, ein einjähriges Kind oder ein Hund aber nicht, dann haben eben nur Elefanten und ältere Kinder den Test auf Selbstbewusstsein bestanden. Das ist Wissenschaft und kein überdrehter Tierschutz.
Prozess der moralischen Entwicklung hat begonnen
Doch glücklicherweise hat der Prozess der moralischen Entwicklung begonnen. So hat vor einigen Tagen die indische Regierung einen bemerkenswerten Schritt getan. In einer Anweisung hat das Ministerium für Umwelt und Wälder (Ministry of Environment and Forest) kurzerhand Delfinarien verboten.
Interessant war die Begründung. Die Regierung bezog sich auf die sogenannte Helsinki-Deklaration. In ihr haben sich namhafte Wissenschaftler dafür ausgesprochen, Wale und Delfine als „nichtmenschliche“ Personen zu betrachten. Die Regierung folgert daraus, dass es ethisch nicht vertretbar sei, die Tiere in Gefangenschaft zu halten.
Eine Einstellung, von der wir in Deutschland meilenweit entfernt sind. So hatte ich vor zwei Wochen die Ehre, als Sachverständiger über artgerechte Haltung von Delfinen im zuständigen parlamentarischen Ausschuss in Berlin zu referieren: Ethische Fragen blieben da unberücksichtigt.
Dennoch, die ihren dritten Jahrestag feiernde Helsinki-Deklaration zu Walrechten zeigte in Indien erstmals praktische Auswirkungen, und die Entscheidung der indischen Regierung wird vielleicht als ethischer Meilenstein in den Geschichtsbüchern erwähnt werden.
Karsten Bensing ist Wissenschaftler der Whale and Dolphin Conservation (WDC), einer NGO mit Sitz in München. Er hat an der FU Berlin über die Interaktion zwischen Delfinen und Menschen promoviert. In seiner Freizeit ist er Forschungstaucher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr