Persönlichkeiten im Radio: Arschbombe erlaubt
Einfach mal einen Spruch raushauen – das ist für den Nachwuchs hinterm Radio-Mikro nicht mehr so leicht. Dennoch sind junge Leute dort sehr gefragt.
In Zeiten der Digitalisierung sind sie vielleicht die letzte Chance des alten Massenmediums Radio: die Persönlichkeiten hinterm Mikro. Aber haben sie angesichts von Shitstorms und Political-Correctness-Fallgruben überhaupt noch Chancen, sich zu entfalten?
Für Kai Fischer beispielsweise, Vorsitzender der Geschäftsführung der Audiotainment Südwest mit den vier Programmen bigFM, RPR1, Radio Regenbogen und Regenbogen 2 ist die „Persönlichkeit am Mikrofon“ entscheidend: „Moderator*innen müssen authentisch sein, Position beziehen, ihre Hörerschaft kennen und mit ihr auf Augenhöhe kommunizieren.“ Die Stimme aus dem Äther wird nicht nur von ihm als entscheidendes Instrument eingeschätzt, um sowohl die Marke eines Senders zu etablieren als auch das Publikum an den Sender zu binden.
Dafür steht etwa Sinah Donhauser von Radio Hochstift. 2020 wurde sie mit dem deutschen Radiopreis ausgezeichnet – unter anderem für den empathischen Umgang mit ihrem Publikum. „Coronabedingt ist das Gespräch beim Radio wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt, wir haben alles auf die Antennen geholt, was ging. Und damit ist auch Radio wieder wichtiger geworden.“
„Verliebt“ in das Medium hatte Donhauser sich während eines Praktikums, und das sei bis heute so geblieben: „Es ist einfach ein Tagesbegleiter, weckt Emotionen, und wir versuchen für das Publikum da zu sein.“
Spontane Ansprache
Diese persönliche, spontane Ansprache, die sich meistens noch auf Menschen einer bestimmten Region fokussiert, ist etwas, das die neue Konkurrenz aus dem Internet nicht bieten kann, zumindest bisher. Zwar bieten Streamingdienste bereits personalisierte Musikangebote, aktuelle Informationen und auch Wortbeiträge über Podcasts, aber immer noch nicht so, wie es der Lokalrundfunk vermag.
„Im Unterschied zu Streaming hat man diese Unmittelbarkeit, es ist einfach ein Livemedium, schnell und direkt“, glaubt auch Gloria Grünwald vom Münchener Sender egoFM, die letztes Jahr vom Grimme-Institut zur „besten Newcomerin“ gekürt wurde.
„Die Nachfrage nach jungen Leuten mit guten Ideen ist zurzeit sehr groß“, beschreibt die 28-Jährige die Chancen für den Nachwuchs hinterm Mikro. Während also aktuell die Tugenden von Radio-Moderator*innen in der Branche gepriesen werden, sieht die Realität anders aus, wenn es um die Freiräume geht, in denen Talente ihre Stärken entdecken können.
So schätzt es ein Urgestein der Branche ein – Elmar „Elmi“ Hörig „Die Umstände, dass sich Persönlichkeiten entfalten können, sind extrem schwierig geworden. So eine Figur braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Du sagst heute zweimal was Falsches, schon bis du weg. Ich habe 1980 angefangen, und so ins Rollen kam ich 1984, hatte also vier Jahre Zeit, um zu schauen, wo gehe ich hin?!“
Doch lieber für sich behalten
Elmar Hörig war damals weit über die Grenzen seines Senders SWF3 bekannt, verlor dort aber wegen eines Witzes später seinen Job – aus seiner Sicht lediglich ein Vorwand, um einen unbequemen Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems loszuwerden, auch wenn er in der Rückschau manches, was er spontan rausgehauen hat, vielleicht doch lieber für sich behalten hätte.
Donhauser jedenfalls bestätigt, dass es heute nicht einfach ist, den eigenen Weg zu finden: „Ich hatte das Glück, bei einem kleineren Sender einsteigen zu dürfen, bei dem ich mich entfalten, alles ausprobieren und auch meine Meinung vertreten konnte, anderswo hätte das wahrscheinlich nicht so geklappt. Man muss einfach eine Arschbombe machen dürfen.“
Sie ergänzt: „Wir leben in einer Zeit, in der Kritik ganz schnell geäußert wird, sich beispielsweise über soziale Netzwerke und Internet viel schneller verbreitet und Arbeitgeber sich davon rasch einschüchtern lassen.“
Selbst bei unverfänglichen Themen hat die Moderatorin schon harsche Ablehnung erlebt, irgendjemand fühle sich immer auf den „Schlips getreten“. Als sie zum Beispiel einmal auf das schöne Wetter hinwies, hagelte es von einem Hörer übelste Beschimpfungen.
„Das schränkt auch die Entfaltung von jungen Talenten ein, aber alle Kolleg*innen, bei denen ich mich umhöre, sind sich sicher, dass Haltung für unseren Job wichtiger denn je ist. Und dann muss man diese Angriffe aushalten.“
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