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Persönliches Syrien-EngagementWie weltfremd darf man sein?

Von Syrien hatte er keine Ahnung. Hubertus Koch fuhr hin und drehte eine Dokumentation, die vor allem junge Menschen anspricht. Aber warum?

Hubertus Koch und der Kopierer, der im Film „Fight Club“ eine zentrale Rolle spielt und den Koch in seinem Film mehrfach zitiert. Foto: Thomas Victor

Leipzig taz | Und wieder Syrien. Das kleine Mädchen mit der Beule im Gesicht, das mit braunen Gummistiefeln durch die grauen Trümmer läuft. Der rauchende Kindersoldat. Das ewige Allahu Akbar. Hubertus Koch hat diese Bilder schon hundertfach gesehen. Schließlich ist es sein Film, er stand vor und hinter der Kamera.

An diesem Abend sitzt der 25-Jährige auf dem Podium eines Hörsaals der Medienfakultät der Uni Leipzig, während der Beamer seinen Film an die Wand projiziert. Im Saal ist es mucksmäuschenstill und rappelvoll. Kochs Kamera ist schonungslos, Blut und Wunden im zerbombten Flüchtlingslager. Gegen Ende des Films spricht Koch unter Tränen in die Kamera: „Ganz ehrlich, ihr solltet euch alle schämen! Dafür, dass euch so was nicht juckt.“

Heute sind ihm diese Worte peinlich – herausgeschnitten hat er sie trotzdem nicht. Weil er es damals eben nicht fassen konnte, wie wenig sich die Menschen in Deutschland für die Menschen in Syrien interessierten. Vor allem seine Freunde. Und weil er zeigen wollte, was geschieht, wenn ein damals 24-jähriger Germanistikstudent und Fußballreporter auf die Kriegsrealität im Nahen Osten trifft. Jemand aus der „Generation Komasaufen“, wie Koch das nennt. Vom Vollrausch in den Bürgerkrieg – boulevardesk betitelt.

Koch nennt seine Doku „den Film eines kleinen Jungen“. Einer, der nun Vorträge an Unis und auf Medientagungen hält, der durch die Talkshows des Landes wandert. Die Leute wollen von ihm wissen, wie er es schafft, die junge Zielgruppe zu erreichen und für Politik zu begeistern.

Leg das Handy weg

Auch an diesem Abend in Leipzig wollen ihm andere junge Medienmacher dieses Geheimnis entlocken. Er versucht es zu erklären, lehnt sich in seinen Sessel, drückt die Knie breitbeinig nach außen. Auf seinem Kopf leuchtet ein goldenes Adidas-Zeichen auf einer schwarzen Cap, er trägt ein weißes T-Shirt mit weitem Ausschnitt und mittlerweile einen kurzen blonden Bart zu seinen kurzen blonden Haaren. Koch redet davon, dass er seinen Film auf YouTube gestellt hat, weil ihn dort die Jugendlichen eher finden als im Fernsehprogramm. „Also hör mir zu und leg dein Handy weg“, sagt Koch. Ihn nervt die Gleichgültigkeit seiner Generation.

„Woher kommt die?“, fragen die Moderatorinnen.

Koch denkt nach, dann sagt er: „Ich weiß es nicht.“ Er hat ein Thema, darüber muss er reden. Also fragen die Moderatorinnen, was der Westen in Syrien besser machen sollte. Auch die Lösung für den Syrienkonflikt hat Koch nicht parat, er sagt mit müder Stimme: „Ach Leute, ich hab keine Antwort auf alle Fragen, aber ihr müsst euch Fragen stellen, darum geht es!“ Die wichtigen Fragen. Nicht jene, die ihm ein Freund vor seiner Abreise nach Syrien stellte: „Gehst du backpacken?“ Koch schüttelt den Kopf und sagt: „Ey digga, wie weltfremd muss man sein?“ Im Publikum johlen sie.

Was ihm am ehesten gelingt: sein eigenes Klischee aufbrechen. Dass jemand wie er zur Syriendebatte nichts beitragen könnte. Nahostpolitik hat etwas Elitäres, sagt er. Und Elite war Hubertus Koch nie

Später sitzt der Kölner in einer Leipziger Kneipe, spielt mit seinen Händen an einer Zigarettenschachtel und erklärt, warum er diese Anekdote gerne erzählt: „Die da im Publikum gejohlt haben, die würden doch selbst solche Fragen stellen.“ Und er hätte sie vor drei Jahren wohl auch noch gestellt.

Praktikum beim DSF

Nun will er aufklären, Interesse schaffen. Was ihm am ehesten gelingt: sein eigenes Klischee aufbrechen. Dass jemand wie er zur Syriendebatte nichts beitragen könnte. „Nahostpolitik hat etwas Elitäres“, sagt er. Und Elite ist Hubertus Koch nie gewesen.

Als Enkel eines Bergmanns wächst er zwischen Rhein und Ruhr mit zwei Brüdern bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. In seiner Jugend zieht er 18 mal um, am längsten lebt er in Bonn. Geld ist knapp. „Es ist ein mieses Gefühl, wenn du auf Klassenfahrten nicht mitkommst, weil du die Kohle einfach nicht hast.“ Also will er groß herauskommen, das beschließt er schon mit fünf Jahren. Mit seinem Vater und Opa guckt er Fußball und sagt, er wird einmal das Champions League Finale 2034 kommentieren.

Dem Fußball bleibt er treu, ansonsten ist er immer eher dagegen als dafür; mit 14 verbringt er seine Zeit auf Punkkonzerten. Nach der Schule dann irgendein Studium: Germanistik. Mehr interessieren ihn Fußball und Filme. Auf seinen Armen lässt er sich „Veritas“ und „Aequitas“ tätowieren, eine Hommage an „Der blutige Pfad Gottes.“ Dann ein Praktikum bei DSF in München und die Chance zu bleiben. Koch arbeitet rund um die Uhr, besteigt die ersten Karriereleitern und lernt die Kommentatorenhelden seiner Kindheit kennen. Bald darf er selbst vor das Mikrofon – sein Traum wird wahr. Er verdient viel Geld und strampelt immer schneller im Hamsterrad. Bis er eines Tages kündigt, seine Sachen packt und nach Köln geht.

Warum? – „Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen werde, aber es bleibt elf gegen elf, dein ganzes Leben!“

Der Traum vom 7er-BMW

Dazu der Stress, die ständige Verfügbarkeit. Nach seiner Kündigung möchte er sich von seinem Geld wenigstens einen zweiten Traum erfüllen: einen 7er-BMW, Baujahr 99. Während er sich auf Autosuche begibt, kommt ihm der Gedanke an den Vater einer Freundin, ein Deutsch-Syrer, der regelmäßig Hilfskonvois ins Flüchtlingslager Bab al-Salameh fährt. Koch kauft keinen BMW – sondern Filmequipment und fährt mit nach Syrien. Keine Erfahrung als Filmemacher, keine Ahnung von Syrien und kein Team.

Und trotzdem entsteht jener Film, der so große Wellen geschlagen hat. Auch weil er gar nicht erst den Anspruch erhebt, objektiven Journalismus zu machen. Koch ist selbst das Subjekt seines Films – und das schafft Transparenz, die ihn von anderen Filmen abhebt. Er ist ein kleiner Junge und erinnert damit daran, dass kleine Jungs im Alter von 25 Jahren unter dem Deckmantel verächtlicher Ideologien eigentlich die gleichen Ängste haben und die gleichen Bedürfnisse. Es gibt eine Szene, die besonders in Erinnerung bleibt: Nach einem Tag an der Front tanzen Koch und Soldaten der Freien Syrischen Armee gemeinsam zu einem Lied der Chansonsängerin Zaz.

Die Distanz zwischen Hubertus Koch und einem Kämpfer der Freien Syrischen Armee ist gering, sehr gering. Der Unterschied? Der Boden, auf dem sie leben. Dieses Gefühl transportiert Koch nach Deutschland, er duzt seine Zuschauer und die duzen zurück. „Vom 70-jährigen Oppa bis zur 14-jährigen Hauptschülerin.“ Dabei ist Koch nicht so, wie sich die älteren Herren in den Rundfunkanstalten die Zukunft des Journalismus vorstellen. Keine Einzeiler auf Twitter, keine Bilder auf Instagram. Stattdessen ein 110-minütiger Dokumentarfilm. „Ey, ich hab kein Plan von Facebook“ , sagt er. Und auch in Leipzig, jener Stadt, um die ein angesagter junger Mensch angeblich nicht mehr herumkommt, ist er an diesem Tag das erste Mal.

Seine Meinungsäußerungen sind keineswegs revolutionär. Per Video spricht Koch seit Neuestem sein Wort zum Sonntag. Er sagt keine anderen Sachen als der Pfarrer im Fernsehen, aber er spricht sie in der Sprache der Jugendlichen: „Es geht um dich, du bist nicht aktiv, wenn du dein Anzeigebild auf Facebook änderst! Es geht nicht darum, dass du Menschlichkeit nur postest! Nicht online, geh ins richtige Leben!“ oder „Liebe ist stärker als Hass“ , ein Meister der Floskeln – aus seinem Mund wirkt es so überzeugt, als hätte das noch nie jemand gesagt.

„Nicht der Syrientyp“

Kochs Spielfeld ist die emotionale Ebene. Die Kinder, die ihm im syrischen Flüchtlingslager hinterherrennen und „Hubi“ rufen. Die Szene, als Koch seine Kameraaufnahmen sichtet und in Tränen ausbricht. Dazu spickt er seinen Text mit „Fight Club“-Filmzitaten. Es ist Popkultur. Und darum vergleicht der 25-Jährige seinen aktuellen Zustand mit dem von „Birdman“, jenem Film, in dem der Schauspieler seiner Filmrolle auch im realen Leben nicht entkommen kann. So wie Hubertus Koch von seinem Syrienfilm verfolgt wird. „Ich bin nicht der Syrientyp, Alter!“

Aber die Erfahrungen aus Syrien haben ihn verändert, das spürt er, als er wieder nach Köln kommt. „Ich hab’ne Zeit lang alles um mich herum gehasst!“ Dann macht er seine Doku fertig und die Anfragen prasseln auf ihn ein. Die ARD zeigt seinen Film im „Weltspiegel“, das ZDF will ihn interviewen, der Stern schickt ihn zum Erdbeben nach Nepal und Daimler möchte ihn als Aushängeschild für den Hilfskonvoi des Konzerns nach Syrien.

Nach dem Abend an der Leipziger Uni sind seine Augenringe noch dunkler, seine Müdigkeit offensichtlich. Koch ist an dem Punkt angelangt, an dem er es nicht mehr schafft, die E-Mails zu beantworten, die vielen Anfragen von Studenteninitiativen und Medienkongressen. Also ist er vor Kurzem für sechs Wochen nach Laos geflogen, um ein Buch zu schreiben und zu verstehen, was mit ihm passiert ist seit seinem zehntägigen Syrienaufenthalt. Was die Leute von ihm erwarten. Welche Verantwortung seine Erfahrungen aus Syrien mit sich bringen. Und wann Schluss ist, der Moment, „Nein“ zu sagen.

Ein Buch als Selbsttherapie, so ähnlich wie der Film. In einer Bedeutungsauslegung fern der westlichen Interpretation des Begriffs „Dschihad“ beschreibt er den inneren Weg zu sich selbst. Syrien wird Koch also noch weiter verfolgen – als Teil seines eigenen Dschihads.

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