Performance „The Kids Are Alright“: Deutschland ist kein Paradies
Simone Dede Ayivi teilt im hannoverschen Theater im Pavillon Kindheitserinnerungen an rassistische Angriffe und familiäre Konflikte.
Sich Kindheitserinnerungen nicht nur nostalgisch zu überlassen, sondern deren Reflexion anzuregen gelingt der Performance „The Kids Are Alright“ von Simone Dede Ayivi durch die Rauminszenierung noch bevor das erste Wort gesprochen ist: Das lässt sich auch dem Video-Trailer entnehmen, der bei der Uraufführung in den Berliner Sophiensälen entstanden war.
Jetzt lädt Ayivi in Hannover die Besucher*innen des Theaters im Pavillon auf einen abstrakten Spielplatz, auf dem die Wahl des eigenen Standorts immer auch eine Rollenentscheidung bleibt: Wie ordne ich mich in dieser umfriedeten künstlichen Welt ein? Welche Möglichkeiten ergeben sich? Was hätte werden können?
Simone Dede Ayivi „produziert Text und macht Theater aus Schwarzer feministischer Perspektive“ lautet, lapidar, die Selbstbeschreibung auf ihrer Homepage. Bei Hanau geboren und aufgewachsen lebt sie inzwischen in Berlin, „wie alle“, sagt sie.
Eine radikal kurze Performance
Längst hat sie sich dort als eine der wichtigsten Stimmen der postmigrantischen darstellenden Künste in Deutschland etabliert: „Performing Back“ hatte mit einer dokumentar-theatralen Expedition erfahrbar gemacht, wie sehr Kolonialgeschichte die Gegenwart prägt – sowohl in Deutschland als auch in Togo, in Institutionen wie in Familien. Danach hat Ayivi das Weltall als postrassistischen Möglichkeitsraum erobert mit der afrofuturistischen One-Woman-Show „First Black Woman in Space“. Auch die wurde in Berlin uraufgeführt.
Der Auftritt in Niedersachsen ist dabei trotzdem so etwas wie ein Heimspiel: Am Theater im Pavillon war Simone Dede Ayivi schon früher zu Gast gewesen. Zwei Jahre lang hatte sie dort die Theateralkshow „Planet X“ moderiert, die Produktionen „Queens“ und „Performing Back“ waren dort zu sehen gewesen. „Obwohl das Haus inzwischen eine andere Leitung hat, hält die Beziehung offenbar noch, was mich natürlich freut“, sagt sie.
Und ihre künstlerischen Anfänge liegen in Hildesheim. Dort hatte sie Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis studiert, mehrere Jahre lang zum Leitungsteam des Theaterhauses gehört und außerdem das traditionelle Late-Night-Format „Nachtbar“ des Theaters für Niedersachsen kuratiert.
„The Kids Are Alright“ ist mit rund 40 Minuten radikal kurz und eher Installation als Schauspiel: Das Karussell ist von einem Kreis leuchtend-weißer Rechteckflächen umstellt, die per Videoprojektion zu Türen werden, zu weißen Holztüren fürs Innere einer Altbauwohnung, die sehr verschlossen wirken können.
Es aber nicht bleiben müssen: Nach und nach werden sie zu Displays gemorpht, auf denen mal ein Klettergerüst, mal Spielzeug, mal Personen erscheinen, in Totale, als klassische Porträts, oder auch fragmentiert, nur als Torso: die Erzähler*innen, also die Theatermacherin selbst und ihre fünf „Kompliz*innen“, wie Dede Ayivi sie mit sanfter Ironie nennt.
Stimmen und Bilder sind asynchron
Beim Cast sei ihr wichtig gewesen, dass „alle in der Antidiskriminierungsarbeit tätig waren“, also Expert*innen, die über ihre Betroffenheit hinaus „professionell das Thema reflektiert haben“. Die aufgezeichneten Erinnerungen daran, wie es war, und was es für die Gegenwart bedeutet, mit Migrationserbe in Deutschland aufzuwachsen, empfängt das Publikum über Kopfhörer.
Stimmen und Bilder sind asynchron, was wie ein Appell funktioniert, Beziehungen herzustellen, zwischen, aber auch zu ihnen. Die Inszenierung wahrt dabei räumlich die Form der Recherche: „Wir haben tatsächlich im Stuhlkreis zusammengesessen“, so Ayivi.
Simone Dede Ayivi und Kompliz*innen: „The Kids Are Alright“, 24. & 25.2., jeweils 18 und 20 Uhr, Theater im Pavillon, Hannover
Das dialogische Format prägt die Berichte: Erfahrungen gleichen sich, ergänzen einander. Dass die Eltern hierher gezogen sind, damit die Kinder es mal besser hätten, erzeugt innerfamiliäre Spannungen, wenn die neue Heimat kein Paradies ist und undankbare Töchter und Söhne das auch noch artikulieren.
Denn Deutschland ist kein Paradies. Der einzige Asian im Kuhkaff in der Eifel erlebt ähnliche Zurückweisungen und Angriffe wie der erste schwarze Mensch in ländlichen Räumen Sachsens. Auch kindliche Strategien, damit umzugehen, ähneln einander: Weihnachtsgeschenke erfinden, um auf dem Pausenhof mitreden zu können, „ach, das hast du auch gemacht?!“
Es sind oft schmerzhafte Erlebnisse, um die es geht. „Aber ich glaube nicht, dass wir Rassismus reproduzieren“, sagt Ayivi. Im Gegenteil, „wir alle haben diese Gespräche als heilsam erfahren.“ Und während die Performance einerseits zur Erkenntnis verführt, nicht allein zu sein, vermag sie in weißer Perspektive für Ängste, Furcht, Verletzungen zu sensibilisieren. Die anzuerkennen sind, nicht aus Mitleid, sondern aus Solidarität.
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