Pelagos-Schutzgebiet – Heimat der Wale: Fragiles Paradies im Mittelmeer
Das Pelagos-Gebiet ist die größte Schutzzone im Mittelmeer. Und dennoch: Die Situation für die Wale hier ist dramatisch schlecht. Wie kann das sein?
Wale im Mittelmeer? Ja, mehrere Tausend Exemplare tummeln sich im Wasser zwischen Europa, Afrika und Asien. Zehn Walarten leben dort, darunter mehrere Delfinarten wie der Große Tümmler, der Gemeine Delfin oder der Rundkopf- und Streifendelfin. Neben dem Finnwal gibt es hier auch Grind- und Cuvier-Schnabelwale – und „Moby Dick“, den Pottwal.
Selten werden Orcas oder Zwergwale gesichtet. Nun werden auch Walarten, die es bislang häufiger im Mittelmeer gab, seltener – und zwar deutlich. Schätzten Wissenschaftler die Finnwal-Population vor wenigen Jahre noch auf rund 3.500 Tiere, geht die Internationale Naturschutzunion (IUCN) mittlerweile von weniger als 1.800 Exemplaren aus. Damit gilt der Finnwal laut Roter Liste dort als „stark gefährdet“, ebenso der Pottwal und der Grindwal. Einzelne Teilpopulationen der ohnehin seltenen Orcas und Grindwale in der Straße von Gibraltar, der Meerenge zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantik, außerhalb des Pelagos-Schutzgebietes, gelten sogar als „vom Aussterben bedroht“. Dort leben noch rund 150 Grindwale. Die Zahl der Orcas wird noch auf höchstens 50 geschätzt.
Aktuelle Schätzungen und Untersuchungen zeigen, dass es für Wale im Mittelmeer immer schwieriger wird, ihre Population zu halten, erklärt Fabian Ritter. Der Meeresbiologe ist Vorsitzender und Forschungsleiter seines 1998 gegründeten Vereins „M.E.E.R. e.V.“. Außerdem ist er Teil des Wissenschaftsausschusses der Internationalen Walfang-Kommission (IWC).
Erstes grenzübergreifendes Schutzgebiet im Mittelmeer
„Grundsätzlich ist es so, dass die Großwale, die im Mittelmeer vorkommen, nämlich Finn- und Pottwale, keine gute Zeit haben gerade“, sagt er. Für kleine Populationen kann bereits der durch Menschen verursachte Tod einzelner Tiere bedrohlich werden. Ist die Zahl der Tiere nämlich nur noch sehr klein, fallen diese Fälle stärker ins Gewicht. „Aber das scheinen auch deutlich mehr zu sein, als nur ein paar pro Jahr“, sagt Ritter weiter.
Die Entwicklung der Populationen ist alarmierend, wenn auch wenig überraschend. Denn die Gefahren für Wale sind bekannt: Schifffahrt, Fischerei, Lebensraumzerstörung. Es ist der Mensch, der in den Lebensraum der Tiere eindringt, ihnen die Nahrungsgrundlage wegfischt und ihren Tod in Kauf nimmt. Kurz: Der Mensch als massive Bedrohung unzähliger Arten im Mittelmeer. Dabei wurde dort bereits im Jahr 1999 das 87.500 Quadratkilometer große Pelagos-Walschutzgebiet eingerichtet. Es ist etwa so groß wie Österreich und zieht sich von Korsika entlang der südfranzösischen Côte d’Azur über Monaco bis hin nach Ligurien und zur Toskana in Italien – über 2.000 Kilometer Küste. Damit ist Pelagos das größte und gleichzeitig erste grenzübergreifende Meeresschutzgebiet „Marine Protected Area“ im Mittelmeer.
Ein einheitliches Ökosystem ist das Pelagos-Schutzgebiet allerdings nicht. Zu verschieden sind seine Biotope und inneren Beschaffenheiten. Zahlreiche bedeutende Lebensräume für bedrohte Wal- und Delfinarten überschneiden sich teils mit der Schutzzone. „Das Pelagos-Schutzgebiet sollte nicht als Schutzgebiet im eigentlichen Sinne betrachtet werden, sondern als das, was es tatsächlich ist: ein Abkommensgebiet, in dem Schutz- und Verwaltungsmaßnahmen von drei Ländern auf nationaler Ebene durchgeführt werden“, heißt es auf der Website des Abkommens.
Frankreich, Monaco und Italien – diese drei Länder haben sich auf dem Papier also zum Schutz des Gebietes verpflichtet. Aber was heißt das genau? Und wie funktioniert eine länderübergreifende Schutzzone überhaupt? Schon 1982 hatte die Internationale Walfang-Kommission (IWC) ein Verbot des kommerziellen Walfangs verabschiedet, das vier Jahre später in Kraft trat.
Die IWC ist das Gremium, das die Umsetzung des 1946 geschlossenen Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfangs regelt. In den drei Ländern Frankreich, Italien und Monaco sind Wale und Delfine außerdem seit 1995, 1980 und 1993 durch nationale Gesetze geschützt. Das grenzübergreifende Gebiet erfordert eine funktionierende internationale Zusammenarbeit. Dafür gibt es drei Hauptinstitutionen: Das Ständige Sekretariat (Permanent Secretariat), die Tagung der Vertragsparteien (Meeting of the Parties) und den Wissenschaftlich-Technischen Ausschuss (Scientific and Technical Committee).
Wenige strikte Verbote, viele freiwillige Maßnahmen
Die Organisation des Pelagos-Gebietes funktioniert dann folgendermaßen: Arbeitsgruppen präsentieren ihre Ergebnisse dem Wissenschaftlich-Technischen Ausschuss, der wiederum Handlungsempfehlungen an die Vertragsparteien weitergibt. Die Tagung der Vertragsparteien kann dann als ausführendes Organ auf den Empfehlungen aufbauende Beschlüsse fassen. Jede Vertragspartei ernennt außerdem einen nationalen Ansprechpartner, der sich regelmäßig mit dem Sekretariat austauscht. „Letztendlich“, hält Pelagos-Koordinatorin Viola Cattani fest, „ist jedes Land für die Umsetzung der Resolutionen auf seinem Gebiet verantwortlich.“
Welche Regeln in der Schutzzone gelten, unterscheidet sich deshalb je nach Land, zumindest in Teilen. In italienischen Gewässern sind Rennen mit Schnellbooten grundsätzlich verboten. In den französischen und monegassischen Teilen des Schutzgebiets sind solche Rennen mit einer entsprechenden Genehmigung weiterhin möglich. Hier will das Abkommen aber künftig eine einheitliche Gesetzgebung erreichen, erklärt Cattani.
In Frankreich soll demnächst ebenfalls ein Verbot beschlossen werden. Überall untersagt ist dagegen der Einsatz von Treibnetzen. Mit der äußerst umstrittenen Fangmethode ist kein gezielter Fischfang möglich. Unzählige Meeresbewohner sterben als Beifang in den Netzen, die unverankert im Meer treiben – oft auch Wale und Delfine. Deshalb hatte die EU Treibnetze bereits 2008 in allen ihren Gewässern verboten. Diese Regelung existiert also unabhängig vom Pelagos-Gebiet.
„Die Stärke des Abkommens liegt auch in einigen freiwilligen Maßnahmen“, sagt Cattani. Schiffe sollten ihre Geschwindigkeit verringern und es gibt ein Label für „High Quality Whale Watching“, das ein nachhaltiges Vorgehen bei der beliebten Touristenaktivität gewährleisten soll. Mit einer Partnerschaftscharta soll die Zusammenarbeit der Kommunen, die an das Pelagos-Gebiet angrenzen, untereinander gefördert werden. Aktuell zähle die Charta fast 100 Unterzeichnergemeinden.
„Nur Schutz auf dem Papier“
Aber liegt in der Freiwilligkeit wirklich eine Stärke? Dass viele Maßnahmen im Pelagos-Schutzgebiet nicht verpflichtend sind, überrascht Walexperte Ritter nicht. Nur etwa ein Prozent aller weltweit ausgewiesenen Meeresschutzgebiete gelten als gut gemanagt, erklärt er. Es fehle an strikten Einschränkungen, Kontrollen und Strafen: „Solange es sich bei den Maßnahmen um überwiegend freiwillige Empfehlungen handelt, die weder kontrolliert werden noch Folgen haben, wenn sie nicht eingehalten werden, ist das natürlich alles nur Schutz auf dem Papier“.
Solchen nach außen gerne als Erfolg verkauften Arealen fehle es oft an einer nachhaltigen Verwaltung. Man spricht dann von sogenannten „Paper Parks“, die auf dem Papier zwar Schutz versprechen, ihr Ziel aber verfehlen. Im Pelagos-Schutzgebiet bemängelt der Meeresbiologe genau das. „Die Ausweisung ist dann eben geschehen und alle haben 'Juhu’ geschrien, aber was kam danach? Was ist dann tatsächlich passiert?“, fragt er.
Überspitzt könnte man sagen: Der Begriff „Walschutzgebiet“ suggeriert einen Schutz, der nicht existiert. Ritter betont aber, dass solche Schutzzonen durchaus dazu beitragen, auf die Umweltprobleme aufmerksam zu machen, also ein Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit der Gebiete zu schaffen. Ritter erwähnt zudem immer wieder, welchen Einfluss die Fischerei auf die marinen Ökosysteme hat.
Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Fisch von unseren Tellern verschwindet, sollte sich nicht grundlegend etwas ändern. Die Fischerei einzuschränken, sei das wirksamste Mittel, um die Tiere im Meer zu schützen. Trotzdem gibt es im Pelagos-Gebiet (bis auf wenige regionale Ausnahmen) kein Fischerei-Verbot. Hinzu kommt: In der Schutzzone liegt der größte Militärhafen Frankreichs. Rund um Toulon ist die französische Marine omnipräsent, auch internationale Manöver proben die Streitkräfte mitten im eigentlichen Schutzgebiet. Die Explosionen und der Unterwasserlärm sind neben den riesigen Kriegsschiffen eine weitere Bedrohung für die Meeresbewohner.
Das größte Problem sei hier schlicht der fehlende politische Wille, Naturschutz über ökonomische – und damit finanzielle – Interessen zu stellen, konstatiert Ritter. „Wir säßen hier nicht und würden über diese ganzen Problematiken reden, wenn der Naturschutz eine laute Stimme wäre oder eine, die oft gehört wird“, sagt er – mit Frust in seiner Stimme.
Dieser Text entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der Okeanos Stiftung für das Meer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind