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Peking: Die Rückkehr der Falken

■ Scharfmacher Li Peng erstmals seit dem Kriegsrecht wieder in der Öffentlichkeit / Unterstützung für Li vom Generalstab / Die Hoffnung der Studenten, Parlamentschef Wan Li, ist kaltgestellt / Demonstrationen in Peking flauen ab / Zhao Ziyang bleibt weiter unsichtbar

Peking (afp/dpa/taz) - Der Machtkampf in China wird zum langen Marsch, in den Gängen der Parteizentrale, in den Straßen der Hauptstadt, rund um den Tiananmen. Gestern schien dabei die Gunst der Stunde wieder auf seiten der Falken um Premierminister Li Peng zu liegen - und „Gunst der Stunde“ heißt in der Volksrepublik derzeit: Unterstützung durch das Militär. Auf der Titelseite der 'Volkszeitung‘ tönte der Generalstab der Volksbefreiungsarmee am Donnerstag in einem Aufruf von „Aufruhr“, sicherte Li Peng alle Unterstützung zu und forderte die Soldaten auf, das Kriegsrecht durchzusetzen. Plötzlich schien sich die Machtprobe zwischen Studenten und Staatsführung wieder auf eine gewaltsame Auseinandersetzung zuzuspitzen.

Sah es am Vortag zunächst noch so aus, als würden die Reformer innerhalb der Regierung und Partei unter Parteichef Zhao Ziyang die Oberhand gewinnen, schlug das Pendel einen Tag später in die andere Richtung aus. Erstmals seit Samstag zeigte sich Li wieder im Fernsehen und verteidigte seine Entscheidung, die Truppen zur Niederschlagung der Demonstrationen nach Peking zu holen. Noch am Vortag hatten sich die 150.000 Soldaten rund 30 Kilometer hinter die Stadtgrenzen zurückgezogen.

Für weitere Bestürzung unter den Studenten mußte am Donnerstag die offizielle Nachricht sorgen, Parlamentspräsident Wan Li, Befürworter eines Dialogs mit den Demonstranten, sei nach seiner vorzeitigen Rückkehr aus den USA bei einem Zwischenstopp in Schanghai zur „medizinischen Behandlung“ in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Die Studenten hatten gehofft, Wan werde eine Sondersitzung des Nationalen Volkskongresses einberufen, um ihre Forderung nach Rücktritt Lis zu unterstützen. Die plötzliche „Erkrankung“ werteten sie als politische Kaltstellung Wan Lis.

Mit Skepsis reagierten Beobachter auch auf eine Aussage der Sprecherin im Außenministerium, Li Jinhua, wonach Parteichef Zhao immer noch im Amt sei. Zhao blieb von der politischen Bildfläche verschwunden. In der Hauptnachrichtensendung des staatlichen Fernsehens wurde dagegen Ministerpräsident Li beim Empfang ausländischer Würdenträger gezeigt, wie er vor laufenden Kameras auf Fragen zur Militärintervention und den Massenproteste antwortete. Nach Angaben des Pekinger Rundfunks erklärte Li Peng bei einem Treffen mit Botschaftern: „Chinas Regierung ist stabil.“

Die scharf formulierte Botschaft des Generalstabs auf der gestrigen Titelseite der 'Volkszeitung‘ ist bislang die eindeutigste Stellungnahme der Armee für Regierungschef Li. In dem Artikel heißt es, die „Herausforderung des Sozialismus“ werde immer kritischer. Den Soldaten empfahl der Artikel, gründlich die Rede Lis vom vergangenen Samstag zu studieren, in der er die Armee zur Beendigung von „Chaos und Anarchie“ in Peking aufgefordert hatte. Die Botschaft stand in scharfem Gegensatz zu den Fortsetzung auf Seite 2

versöhnlichen Äußerungen der Armee, die in den vergangenen Tagen in der Presse zitiert worden waren. Die Soldaten wurden ferner aufgefordert, den Leitartikel der 'Volkszeitung‘ vom 26. April zu lesen, der Deng Xiaoping zugeschrieben worden war. In dem scharfgefaßten Leitartikel waren die demonstrierenden Studenten als Unruhestifter bezeichnet worden, die die Führung der Kommunistischen Partei und das sozialistische System stürzen wollten.

Angesichts der neuen Lage schien sich unter den Studenten am Donnerstag Ratlosigkeit breitzumachen. Ihre Führung trat am Nachmittag zusammen, um über weitere Schritte zu beraten. Zehntausende Studenten und Arbeiter hatten zuvor kurzfristig den Verkehr auf Pekings Hauptverkehrsader am Tiananmen lahmgelegt. Die Demonstration war bereits nach einer halben Stunde beendet. In mehreren Städten im Süden und Norden des Landes schienen die Kundgebungen ebenfalls abzuflauen, während sie in anderen Großstädten, vor allem in Tianjin, Schanghai, Nanjing, Wuhan, Changsa, Chengdu und Xian, andauerten.

Auf dem Tiananmen in Peking, der inzwischen mit seinen vielen Notbehausungen zu einer Art Zeltstadt in der Hauptstadt geworden ist, waren am Donnerstag rund 30.000 Studenten. „Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagte der Studentensprecher Chen Zhangbao der 'ap‘. „Unser Ziel ist es nicht, daß die eine oder andere Fraktion zur Macht kommt, sondern wir wollen den Prozeß der Demokratie beschleunigen. Egal welche Fraktion an die Macht kommt, sie wird stets versuchen, unsere Bewegung zu vernichten.“

Über 100 Omnibusse sind auf dem Platz zu Notbehausungen umfunktioniert worden. Zwei etwas abseits stehende Busse dienen als Toiletten. Sie stinken und tropfen vor sich hin. „Hygiene ist ein großes Problem hier“, sagte eine Studentin. „Ich habe schon neun Tage nicht gebadet, aber wir können wegen der Bedrohung durch das Militär nicht aus den Kleidern.“

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