piwik no script img

Peinlich, Peinlicher, Bürgerschaft

■ Hamburger Verfassungsschutzgesetz ist verfassungswidrig: GALier Mahr vom Parlament aus Versehen in Kontrollausschuß gewählt Von Silke Mertins

So einer wie er sollte niemals den Verfassungsschutz kontrollieren dürfen: Dem unbelehrbaren Polizeikritiker Manfred Mahr (GAL) verweigert die Bürgerschaft seit einem Jahr die Zweidrittelmehrheit, um in den Parlamentarischen Kontrollausschuß für den Verfassungsschutz gewählt zu werden. Nun fand der Rechtsanwalt Michael Günther in einem Gutachten für die GAL jedoch heraus, daß die geforderte Zweidrittelmehrheit verfassungswidrig ist. Folglich sei Bürgerschafts-Schreck Mahr längst gewählt, denn er erreichte die einfache Mehrheit bereits viermal.

Man sei erst jetzt darauf gekommen, weil „wir spontan nicht davon ausgingen, daß in Hamburger Gesetzen verfassungswidrige Bestimmungen enthalten sind“, gestand der gutgelaunte GAL-Fraktionschef Willfried Maier gestern der Presse.

Der Streit um Manfred Mahr hatte sich in insgesamt fünf geheimen Wahlgängen zum Machtkampf zugespitzt. Die GAL beharrte auf ihrem Recht, ihren rechtspolitischen Sprecher für den Kontrollausschuß für den Verfassungsschutz benennen zu dürfen. Schließlich sei Polizeihauptkommissar Mahr auch Mitglied der „G-10-Kommission“, zuständig für Eingriffe ins Post- und Fernmeldegeheimnis, und dort finden die eigentlich brisanten Geschichten statt. Abgeordnete von SPD, CDU und Statt Partei jedoch wollten Mahr abstrafen, weil er die „Abhöraffaire“ in der Justizbehörde aufgedeckt hatte (taz berichtete). Mahr sei nicht „vertrauenswürdig“.

Das, was Mahr mit dem Einverständnis der bespitzelten Personen öffentlich machte, konterte die GAL, sei nichts anderes als das, was auch der CDU-Chef Ole von Beust tat: Er verriet der Bild-„Zeitung“ die „streng vertrauliche“ Information, daß die Hafenstraße laut Verfassungsschutz ein „Terroristennest“ sei.

Der Konflikt um Mahr, der als einziger „in Verdacht steht, den Verfassungsschutz kontrollieren zu wollen“ (Maier), gipfelte in einem Antrag der Bürgerschafts-Mehrheit, der GAL das Benennungsrecht zu entziehen. Das hat man sich inzwischen anders überlegt. Der Ältestenrat sah gestern ein, daß es klüger ist, diesen für morgen geplanten Antrag zurückzuziehen.

Nich nur das neue Verfassungsschutzgesetz verstoße gegen Paragraph 19 der Hamburger Verfassung, sondern auch das von 1978, erläuterte Rechtsanwalt Michael Günther. Die Bürgerschaft habe Manfred Mahr in den Ausschuß gewählt, ohne es zu merken. „Obwohl dieser Umstand nicht erkannt wurde, tritt dennoch die Rechtsfolge ein“, frohlockt Maier. Die GAL jedenfalls sei nicht bereit, Mahr nochmals wählen zu lassen.

Sieben Versäumnisse listet Gutachter Günther insgesamt auf und kommt zu dem Schluß, daß das neue Verfassungsschutzgesetz „wegen schwerwiegender Verfahrensverstöße verfassungswidrig“ ist. Daß keine Zweidrittelmehrheit gebraucht wird, „wird inzwischen von allen Fraktionen der Bürgerschaft geteilt“, berichtet Mahr. Nicht jedoch die Konsequenz, nämlich die Wahl Mahrs in den Kontrollausschuß aus Versehen bereits vollzogen zu haben.

Aus den anderen Parteien und der Bürgerschaftskanzlei war gestern lediglich zu hören, man müsse nun prüfen. Im Zweifelsfall empfiehlt Günther, das Hamburger Verfassungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen