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Pech für den Oberstaatsanwalt

■ In Berlin mußte ein 129a–Verfahren wegen Verjährung eingestellt werden / Angebliches „Werben für terroristische Vereinigung“ blieb ungestraft / In Wahrheit ging es eindeutig um eine humanitäre Forderung

Berlin (taz) - Vier Geschäftsführer zweier Berliner Kollektive, die sich wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung (§129a) vor dem Berliner Kammergericht verantworten mußten, können nicht bestraft werden, weil das Verfahren verjährt ist. So die Begründung des 2.Strafsenats, der das Verfahren gestern nach dreitägiger Verhandlung einstellte. Die vier Geschäftsführer waren wegen eines Farbplakats angeklagt, auf dem für die RAF–Gefangene im Berliner Hochsicherheitstrakt, Angelika Goder, eine Hüftoperation „unter menschenwürdigen Bedingungen“ sowie die Freilassung des schwerverletzten Günther Sonnenberg und „die Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand“ gefordert wird. Der 2.Strafsenat hatte diesen Prozeß gar nicht erst eröffnen wollen, weil er in dem Plakat keine RAF–Werbung, sondern eine humanitäre Forderung gesehen hatte. Er war jedoch auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin vom Bundesgerichtshof zur Eröffnung gezwungen worden. Das humanitäre Anliegen des Plakats, so die Weisung aus Karlsruhe, sei nur vorgeschoben: Selbst einem „Durchschnittsbürger“ sei bekannt, daß der organisierte Kampf der RAF mit Zusammenlegungsforderungen fortgesetzt werden solle. Daß das Kammergericht das Verfahren weiterhin am liebsten vom Tisch hätte, hatte sich schon am ersten Verhandlungstag gezeigt: Der Vorsitzende Palhoff, der das letzte Berliner §129a–Verfahren vor vier Jahren - gegen die ehemaligen radikal–Herausgeber Härlin und Klöckner - mit drakonischen Strafen beendet hat signalisierte großes Interesse an einem Einstellungsantrag der Verteidigung wegen Verjährung. Zwischen der Erstveröffentlichung des Plakats und dem Beschlagnahmebeschluß vom 10.3.1987 sei die Verjährungsfrist von sechs Monaten überschritten worden, so die Verteidiger. Nachdem mehrere Polizeizeugen nicht ausschließen konnten, das Plakat bereits bei einer früheren Durchsuchung der Kollektive am 2.3.1986 gesehen zu haben, wurden die letzten Zweifel gestern von zwei Zeugen, die sich auf eine Kleinanzeige in der taz gemeldet hatten, ausgeräumt. Beide waren absolut sicher, das Plakat vor dem 10.9. in den Kollektiven gesehen zu haben. Vergebens hatte der Oberstaatsanwalt die drohende Einstellung noch zu verhindern gesucht, indem er mit dienstlichen Erkenntnissen einer Erstveröffentlichung des Plakats im Spätherbst 1986 aufwartete. Dennoch, auch dieser Prozeß zeitigte seine Spuren: Drei Zeugen aus dem Bekanntenkreis der Angeklagten wurden bis zu Ende des Verfahren kurzerhand in Beugehaft genommen, weil sie keine Aussage machen wollten. Nach gestriger Vorladung erging gegen eine der Zeugen und eine Angeklagte noch fünf Tage Ordnungshaft wegen „ungebührlichen Verhaltens“ vor Gericht. plu K O M M E N T A R E

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