Patchwork-Familien: Von Baum zu Baum zu Baum
Ihre Schwester ist für unsere Autorin mehr Weihnachten als Kekse und Geschenke zusammen. Weil beide wissen, wer immer heult. Und noch viel mehr.
Wenn meine Kinder mich – wie voriges Jahr auch – heute wieder fragen, warum wir keinen Weihnachtsbaum haben und Heiligabend bei meiner Schwester verbringen, werde ich – wie voriges Jahr auch – wieder antworten: „Weil dort mehr Platz ist. Und den Baum brauchen wir doch nur, um die Geschenke darunter zu legen. Das machen wir dort.“
Sachlich ist die Argumentation richtig – und doch beantworte ich damit nur die Frage nach dem Symptom, aber nicht nach der Ursache. Denn die Ursache dafür, dass ich in 36 Jahren nur zwei Mal nicht mit meiner kleinen Schwester Weihnachten gefeiert habe und dass sie für mich mehr Weihnachten ist als Kekse, Tannenbaum und Geschenke zusammen, liegt nicht in der Quadratmeterzahl um den Tannenbaum begründet.
„Weil für meine Schwester und mich Weihnachten das gleiche bedeutet und das gleiche nicht bedeutet“, wäre die richtige Antwort auf die Frage, warum wir denn immer bei ihr feiern müssen. Weil sie mit mir jahrzehntelang Weihnachten zuerst bei der Mutter und dann beim Vater verbracht hat. Weil ich mit ihr 20 Mal am 25. Dezember von einer Stadt in die andere gefahren bin. Weil wir mit den selben Stiefgeschwistern ein paar Weihnachten verbracht haben und sie dann nie mehr wiedergesehen haben.
Die Ausgabe zum 24. Dezember: „Feiert!“ Berichte und Reportagen aus Familiärem, aus Sotschi, St. Pauli, dem Prenzlauer Berg, aus der Kulturwissenschaft, von Adorno & Penelope, zu Ritualen und über einen Onkel, der seine Erbschaft verjubelt. AutorInnen wie Sonja Vogel, Peter Unfried, Nina Apin, Manuel Schubert, Julia Niemann, Michael Rutschky, Kim Trau, Bruce LaBruce, Antje Basedow, Martin Schulz – und Ursula von der Leyen. Ab Dienstag am Kiosk oder direkt am eKiosk.
Weil sie das alles genauso schräg fand wie ich. Weil sie auch noch weiß, wie es Weihnachten bei Oma gerochen hat. Weil wir beide dieselben Adventskalender basteln, wie wir sie früher bekommen haben. Weil wir beide niemals elektrische Kerzen verwenden würden.
Beide wissen, wer immer heult.
Weil wir dieselbe Weihnachts-CD hören wollen. Weil es egal ist, ob wir uns, unsere Partner oder Kinder gerade doof finden. Weil wir trotzdem zusammen gehören. Weil wir uns jedes Jahr, als wäre es das erste Mal, über das diesjährige Weihnachtsfest abstimmen. Weil es trotzdem immer gleich ist.
Beide wissen, wer schief singt. Wer immer heult. Wer nicht kochen kann. Wer den Baum umwirft. Weil ich irgendwie vermitteln will, was Weihnachten mir bedeutet. Weil meine Kinder Weihnachten auch nicht jeden Tag mit mir, und auch nicht jeden Tag mit ihrem Vater, aber immer miteinander verbringen. Weil sie zusammen Weihnachten meistens zuerst mit Mutter und Oma bei ihrer Tante und deren Familie, und dann am nächsten Tag bei ihrem Vater verbringen. Und dabei nicht alleine sind.
Weil nur sie beide wissen, wie es ist, von der einen Wohnung in die andere zu kommen. Vom großen Baum zum kleinen. Von Bienenwachs- zu Elektrokerzen. Von Groß- zu Kleinfamilie. Von Geschenkeberg zu Geschenkeberg. Weil nur sie beide wissen, wer schief singt. Wer immer heult. Wer nicht kochen kann. Wer den Baum umwirft. Wer die coolsten Pakete schickt. Und was der größte Weihnachtsflop war.
Weihnachten 2013 womöglich. Weil die größten Wünsche gar nicht wie angekündigt unter dem Baum liegen. Weil nämlich der Sohn sich eine Playstation 4 für 400 Euro wünscht, die man hätte im August bestellen müssen, damit sie zu Weihnachten da ist.
Und weil die Tochter sich ein Buch mit der Anleitung „Wie man heiratet“ wünscht. Da will man nicht in des Christkinds Haut stecken, ich schon gar nicht. Vielleicht versuch ich es diesmal mit der langen Erklärung. Weil es irgendwie schön ist.
Julia Niemann, 40, schlägt ihre 2 Kinder auf der Playstation nur noch im Prügelspiel Tekken, da hat sie mehr Übung. Sie schenkt ihrer Tochter statt der Heiratsanleitung lieber eine zum Kindermachen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links