Pastor über konvertierte Flüchtlinge: „Zwei unterschiedliche Sphären“
Behörden zweifeln die Glaubhaftigkeit von Konversionen von Flüchtlingen oft an. Pastor Günther Oborski findet, der Staat sollte den Kirchen mehr vertrauen.
taz: Herr Oborski, halten Sie den Vorwurf für gerechtfertigt, dass die Kirchen Flüchtlingen dabei helfen, sich durch Taufen Aufenthaltstitel zu erschleichen?
Günther Oborski: Nein, das halte ich für falsch. Das Verhältnis von Staat und Kirche sollte von gegenseitigem Vertrauen geprägt sein. Die Taufe von Flüchtlingen geschieht in den Kirchengemeinden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Seiten des Staates akzeptiert die Taufen im Gegenzug dafür, dass die Kirchen gut mit ihrer Verantwortung umgehen.
Wie beurteilen Sie, dass Menschen, die zum Christentum übergetreten sind quasi nicht mehr abgeschoben werden?
Das finde ich genau richtig. Das ist in anderen Ländern wie zum Beispiel Norwegen oder Bulgarien nicht so. Ich finde es gut, dass Deutschland sich in dieser Frage behauptet und gegen den allgemeinen Strom abgrenzt. Wenn die Verfolgung von Christen in den Ländern nicht stattfinden würde, bräuchten die Menschen auch nicht zu uns zu kommen.
Ist die Anzahl der Taufen von Flüchtlingen gestiegen?
Offizielle Zahlen dazu erhebt die Landeskirche nicht. Aber aus meiner Erfahrung sind es nach 2015 etwas mehr geworden. Ich begleite aber schon seit 20 Jahren Iraner, die sich in Deutschland taufen lassen wollen. Zur Taufe gehören Taufgespräche und eine Unterweisung, die mehrere Monate dauert.
2016 hat es in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche 20.447 Taufen gegeben, wovon 1.653 Taufen von Menschen über 13 Jahren waren, sogenannte Erwachsenentaufen.
Wie viele davon Konversionen sind, wird nicht erfasst. Oborski schätzt aufgrund eigener Erfahrungen, dass ein großer Teil der Erwachsenentaufen Konversionen sind.
Die Zahl der Erwachsenentaufen ist über die letzten Jahre ähnlich geblieben: 2015 waren es 1.905, 2014 waren es 1.622, 2013 waren es 1.925 und 2012 gab es 1.980 Erwachsenentaufen.
Was bedeutet die Taufe für die Flüchtlinge?
Für viele IranerInnen bedeutet die Taufe, dass ihr geistliches Leben Form und Ausdruck findet. Manche sehen die Taufe sogar als ihren christlichen Pass an. Deutschland gilt bei Ihnen als christliches Land, die Taufe ist für viele ein Schritt der Integration. In der Situation, in der sich Asylsuchende befinden, hat eine Taufe Auswirkungen, die über das persönliche Erleben hinausgeht. Wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens in ihrem Heimatland verfolgt werden, hat die Taufe auch aufenthaltsrelevante Aspekte und trägt zu der Frage bei, inwiefern Menschen schutzbedürftig sind und macht die Taufe zum Politikum.
Und wie sehen Sie das?
Im Prinzip sind das zwei verschiedene Sphären, die ineinandergreifen. Auf der einen Seite die rechtlichen Aspekte einer Konversion im Bezug auf Asyl. Auf der anderen Seite die Konversion als geistliches Geschehen in Bezug auf die persönliche Entwicklung.
Wieso ist das überhaupt politisch brisant?
Viele Asylsuchende beziehen sich bei ihrem Schutzersuchen darauf, dass sie religiös verfolgt werden. Das BAMF muss dann bewerten, inwieweit das Folgen für die persönliche Sicherheit des Flüchtlings in seinem Herkunftsland hat. Das führt dazu, dass das BAMF den religiösen Glauben eines Konvertierten bewerten muss. Bei Zweifeln können BAMF-Mitarbeiter Fragen stellen.
Wie genau soll das gehen?
Das BAMF versucht die Plausibilität der Fluchtgeschichte zu prüfen. Dabei wird versucht herauszufinden, ob der Glaube des Flüchtlings gewissensgeleitet, also nicht opportunistisch ist, ob der Glaube identitätsstiftend ist, also inwieweit er das Leben des Flüchtlings geprägt hat und ob der Glaube andauernd ist.
Es gibt immer wieder Fälle bei Flüchtlingstaufen, wo der Staat dem Geflüchteten seine Glaubensgeschichte nicht abnimmt.
Grundsätzlich sollte die Glaubwürdigkeit von kirchlichen Taufen nicht in Zweifel gezogen werden. Aber viele Anhörungen durch das BAMF sind für Geflüchtete wie ein Lotteriespiel in Bezug darauf, ob den Antragstellern ihr religiöses Bekenntnis abgenommen wird oder nicht.
Der Pastor Günther Oborski ist seit drei Jahren Leiter der Iraner Seelsorge in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover.
Woran liegt das?
Das liegt oft an den einzelnen Entscheidern. Manche sagen, sie akzeptieren die Taufe. Andere machen da eine halbe theologische Prüfung daraus. Fragen können und müssen BAMF-Mitarbeiter natürlich stellen. Je weniger der Entscheider selbst mit dem Glauben zu tun hat, desto formaler wird die ganze Befragung. Erschwerend kommt hinzu, dass das Orientalische zusätzlich verfremdet. Die Antragsteller haben nicht die Amtskirche vor Augen, sondern eine geistliche Bewegung, wenn sie über ihren Glauben sprechen. Da treffen wir auf ein anderes Religionsverständnis.
Warum gibt es keine offiziellen Zahlen zur Anzahl von Konversionen?
Das ist schwierig. Viele Iraner würden sich gar nicht als Moslem bezeichnen, auch wenn das seit ihrer Geburt in ihrem Pass steht.
Was denken Sie, wenn Politiker über diese Länder als „teilweise sichere Herkunftsländer“ reden?
Das trifft vielleicht auf die allgemeine Sicherheitslage zu, aber nicht darauf, wie sehr Menschen dort politisch oder religiös verfolgt werden. In manchen Ländern droht den Konvertiten meistens eher Gefahr durch die Familie oder das Dorf, wo sie leben.
Wie bewerten Sie die Äußerungen des hannoverschen Landesbischofs, der die Gemeinden dazu aufgefordert hat bei Flüchtlingstaufen genau hinzuschauen?
Das finde ich richtig. Die Kirche würde sich unglaubwürdig machen, wenn sie sich als Fluchthelfer präsentieren würde. Damit würde man den eigenen Auftrag untergraben. Ich glaube nicht, dass Pastoren Menschen taufen, die sagen: ‚Ich lass mich zwar taufen, aber eigentlich ist das alles Humbug‘. Pastoren, die sich daran nicht halten, drohen Disziplinarverfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen