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Party mit Botschaft

■ Stefan Pucher macht Theater mit DJs, Splatterfilmen und Triphop. Jetzt wurde sein Stück "Zombies" in Frankfurt am Main als Theater der "Generation X" prämiert

Das Theater würde sich um einen ordentlichen Spaß bringen, wenn es sich nicht ebenso und eben da bediente, wo das Herz der kreativen Konsumenten eigentlich schlägt: beim Rock 'n' Roll, Zombiefilmen, Fernsehen, Jim Morrison und House-Musik.

Mit diesen Ingredienzien gewann Stefan Pucher in Frankfurt am Main jüngst einen Wettbewerb um das hierzulande fast unbekannte Theater der „Generation X“ – ein Theater der Popkultur, das seine Zutaten aus dem Umfeld der Medien bezieht. Solch ein Theater versteht sich kaum mehr als dramatisches Spektakel, sondern als „Party mit Botschaft“. Auf der Bühne werden Popsongs gespielt, dazu Texte von Rolf-Dieter Brinkmann, verschnitten von Interviews mit David Bowie. Aus Sprechtheater wird (Un-)Easy Listening, musikalische Zutaten werden im Scratching-Verfahren hinzuaddiert.

Während sich die meisten regieführenden 30jährigen mit Goethe, Hauptmann, Heiner Müller herumschlagen, um aus dem reinen Literaturtheater den einen oder anderen aktuellen Witz zu schlagen, verbindet Stefan Pucher das Theater mit dem klassisch gewordenen Pop seiner Elterngeneration. Statt dramatischer Texte werden die Zombies zitiert (eine unterschätzte britische Beatcombo, die 1964 mit „She's not there“ einen Nummer-eins-Hit landete). Jim Morrison wird hier ähnlich verehrt wie andernorts Hamlet. Und Pucher glaubt denn auch: „Die Grenze ist dünn geworden zwischen der Feier eines Klassikers und eines im Revival erfolgreichen Pop.“ Jim Morrison und Hamlet – Kultfiguren sind beide.

Und beide, so Pucher, seien auch „Zombies“ – Figuren, die nicht sterben können. Das ständige Revival von Jugendkulturen ähnelt aus seiner Sicht der Erinnerungslosigkeit von Untoten. Im Evergreen des Pop sieht er die Geburt immer neuer Klassiker aus dem Geist der Popmoderne. Ebenso im Theater: Jede Neuinszenierung von Shakespeares Dramen könnte dem Sampling von Moden in der Popkultur entsprechen. Das Remix alter Schlager mit neuen Stilmitteln setzt Stefan Pucher unmittelbar gleich mit dem Verfahren, ein altes Theaterstück „modern“ zu interpretieren. Theater, hofft er nun, soll endlich auch Popgeschichte schreiben.

Zusammen mit dem Schauspieler Frank Riede gab Pucher Deutschlands erstes Theater-Fanzine heraus: In Fake befand er Wrestling für ebenso theatralisch wie die Augsburger Puppenkiste. Er interviewte alle Heiner Müllers, die er im Telefonbuch finden konnte, weil es in einer Massenkultur nie nur einen Heiner Müller geben kann. Sein erstes inszeniertes Stück war Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“. Es entstand in der Technohochburg Frankfurt – als erstes Technotheater mit Videobeam, Diaprojektoren, Monitoren, Mikrofonen, dazu Schubert-Lieder auf Technomusik, Eichendorff-Lyrik zu Horrorfilmen. Pucher erhob vergleichsweise früh den DJ zum wahren Musikdramaturgen von heute und kürte Wilhelm Hauff kurzerhand zum Vater der Popmoderne.

Heute spielt Markus Denker in Stefan Puchers jüngstem Stück „Zombies“ auf der Probebühne des Frankfurter TAT auf einer ebensolchen Vox- Orgel, wie sie die Doors hatten, leiert darauf deren Song „Take it Easy“ im Dreivierteltakt herunter, jenen Oma-Takt, mit dem in englischen Bingo-Hallen die alten Ladies beruhigt werden, ein Sound voll gefühliger Erinnerung an die eigene Vergangenheit – abzüglich der taktreichen Auflehnung, die in dieser Musik mal gesteckt hat.

Stefan Pucher bedauert, daß durch Studiotricks aus Punktiteln ohrwurmige Tageshits werden, aus Rock 'n' Roll die Muzak der Supermärkte. Doch macht er es ebenso. Hamlet heute, sagt er, ist auch nichts anderes als der Versuch, einem alten Politthriller um die Hinrichtung des Grafen von Essex anno 1601 immer wieder neues Leben einzuhauchen. Seine These: „Der Popkultur wird, wie der Dramenkultur am Stadttheater, das Leben von Untoten eingehaucht.“

Bei Wein und Gekicher schaut das Publikum Daniel Haaksmann zu, DJ im bundesweit bekannten Frankfurter „Lissania Essay“: In Puchers „Zombies“-Stück verscratcht, backspint, cuttet er seine Vinylplatten, das Publikum beklatscht das musikalische Zitat, die Parodie von Popereignissen à la Woodstock und die Totenreden auf die als „Pop-Zombies“ unsterblich gewordenen Kurt Cobain und Jim Morrison. Das Publikum versteht die modernen Mythen der Musik eben besser als die in der Antike populär verarbeiteten Mythen eines Euripides oder Sophokles. Und während Jürgen Kruse oder Leander Haußmann, die noch nie eine Inszenierung ohne Verwendung des eigenen Plattenschranks hinbekommen haben, dem Prinzip folgen, mit Pop das Publikum nur so weit zu versöhnen, um es dann mit echten Klassikern verführen zu können, geht Stefan Pucher diesen einen Schritt nur weiter und verleiht seiner inszenierten Popkultur selbst den Adel des Klassischen. Bei ihm zu Hause stehen nebst Büchern von Rolf-Dieter Brinkmann und Jörg Fauser an die 2.500 Videokassetten mit unzensierten Splatter-, Horror- und Zombiefilmen. Nicht wenig davon stammt aus dem liberalen Holland. Zombies sind, was die Kino-Genealogie anbelangt, Geschöpfe von George A. Romero und dessen „Night of the living Dead“ von 1968. Pucher glaubt, daß diese Filme Allegorien nach Form griechischer Tragödien sind. Ihr Strickmuster stehe den Urdramen in nichts nach. Genauso grausam, genauso hintergründig. Bei Romero heißt es: „Pop will eat itself.“ Puchers Botschaft: „Wir leben in einer Zombie-Kultur.“

In diesem Sinne versteht er auch „TripHop“, den neuen Sound aus Bristol, den Bands wie Tricky, Massive Attack und Portishead zum Markenzeichen gemacht haben – Samples, die von schleppenden Rhythmen mit sich geführt werden wie Geröll in einer Endmoräne. Aus Pop, meint Pucher, entstehe quasi Zombie-Pop, der sich weder an das vergangene Leben erinnere noch seine jetzige Daseinsform verstehen könne.

Auf der Bühne wirkt das trotzdem heiterer und verspielter, ein Theater-Sampling, das die Herkunft der Unmengen von gezeigten Verweisen, Quellen und Anspielungen kaum mehr entschlüsseln läßt. Als ob Fußnoten das Regiment über die Botschaften von einst übernehmen, trommeln Textpartikel auf die Bühne ein, verschwinden unter Klangwolken aus Verstärkern und werden beschossen mit Bildern aus Super-8- und Videoprojektoren. Die Akteure steigen in die Projektionen, halten sich das Mikro an den Kehlkopf, imitieren Filmszenen und switchen mit allen Kanten und Ecken durch die Partitur der Gefühlslagen zwischen Witz und Kitsch, Schnulze und Hardbeat.

Sie erscheinen in der Tat wie Bühnen-Zombies, die nach ihrer eigenen im Pop verlorenen Geschichte suchen. Kultur begreifen sie als einen Kult um die nicht sterben wollende Verehrung der Moden. Theater sei Pop, glaubt Pucher: „Nichts als das Theater ist geeigneter, Popgeschichte zu schreiben, nichts ist so zombiehaft wie das Theater, und nirgendwo gibt es mehr Revivals.“ Arnd Wesemann

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