Parteiübergreifende Kritik an der S-Bahn Berlin: Weiter Frost bei der S-Bahn
Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer droht mit der S-Bahn GmbH mit finanziellen Konsequenzen für das Winterchaos Anfang Januar. S-Bahn-Chef entschuldigt sich.
Ob Ingeborg Junge-Reyer persönlich vom S-Bahn-Chaos Anfang des Jahres betroffen war, ist nicht bekannt. Zornig war die Stadtentwicklungssenatorin (SPD) am Montag auf jeden Fall. Und im Gegensatz zu tausenden Fahrgästen, die der Willkür der S-Bahn ohnmächtig und frierend ausgeliefert waren, kann sie es dem Unternehmen so richtig heimzahlen: Für die ausgefallenen Kilometer werde die S-Bahn zahlen, sagte sie im Stadtentwicklungsausschuss. Die gesparten Zuschüsse werde der Senat wohl wieder in den Nahverkehr investieren. "Aber das muss ja nicht die S-Bahn sein", so Junge-Reyer mit spitzem Unterton. Derzeit prüfe ihre Verwaltung, ob etwa die U-Bahn mit dem Geld unterstützt werden könne. Der Senat fordert bereits für 2008 wegen Ausfallzeiten und Verspätungen 5 Millionen Euro zurück.
Die aktuellen Zahlen untermauern die Wut der Senatorin: In der Zeit seit dem 6. Januar fielen infolge des Winterwetters 2.500 Zugfahrten aus, etwa 4.700 Züge waren teils erheblich verspätet. An einem der Tage war lediglich ein Viertel der Züge pünktlich. In anderen Großstädten, in denen ähnliches Wetter herrschte, gab es keine Probleme bei der S-Bahn. Auch in Berlin waren die teils oberirdisch verlaufenden U-Bahnen pünktlich. Die S-Bahn wird von der Deutschen Bahn betrieben; 2017 läuft der Vertrag zwischen Land und Konzern aus. "Es gibt keine Garantie, dass die Deutsche Bahn Träger einer so wichtigen Verkehrsleistung bleibt", drohte die Senatorin unverhohlen. Über diese Frage werde einzig die Qualität entscheiden.
S-Bahn-Chef Tobias Heinemann gab sich in der Anhörung vor den Abgeordneten unterdessen zerknirscht: "Entschuldigung Berlin, Entschuldigung, Fahrgäste: Das war schlicht und einfach nicht in Ordnung von uns." Laut Heinemann war vor allem das vereiste Sicherungssystem schuld an den zahlreichen Ausfällen. Weil die sogenannten Streckenanschläge vereist waren, konnten die Züge maximal 40 Kilometer pro Stunde fahren, nachts gar nur 15 Kilometer pro Stunde. Heinemann kündigte ein neues, elektronisches Sicherungssystem an, das ab Ende des Jahres getestet werden solle. Es werde alles getan, um die Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Entschädigungsansprüchen werde entsprochen; außerdem bemühe sich das Unternehmen, in diesem Jahr 95 Prozent aller Züge pünktlich kommen zu lassen, so der S-Bahn-Chef.
Reicht nicht, konterte der Chef des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg, Hans-Werner Franz. Es sei vertraglich festgelegt, dass die Bahn Strafen zahlen müsse, wenn weniger als 96 Prozent aller Züge pünktlich sind. "Der Januar war keine höhere Gewalt", wetterte Franz außerdem gegen die S-Bahn. Er forderte, mehr Fahrzeuge in Reserve zu halten, mehr Personal einzustellen und das Informationssystem zu verbessern - was ganz den parteiübergreifenden Forderungen der Abgeordneten entsprach. Fast jeder der anwesenden Politiker hatte eine persönliche Leidensgeschichte zum täglichen S-Bahn-Fahren zu erzählen.
Wirklich beherrscht gab sich einzig der Betriebsratschef der S-Bahn. Die "S-Bahner" habe die unakzeptable Situation im Januar überhaupt nicht überrascht, sagte Heiner Wegner. Sie hätten den Konzern schon im Dezember darauf hingewiesen, dass er nicht auf die Jahreszeit vorbereitet sei. Das Chaos habe zumindest die Probleme im Konzern offengelegt: Das Personal sei seit 2005 um mehr als 20 Prozent abgebaut worden, der Krankenstand bei den Lokführern liege bei etwa 10 Prozent. Um die Qualität gehe es längst nicht mehr, sagte Wegner. "Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Sicherheit nicht mehr gewährt werden kann."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs