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Parteitage Rheinland-PfalzDie Grünen machen alles mit

Trotz des Streits über die Hochmoselbrücke stimmen die Grünen auf dem Parteitag für das Vertragswerk. Von Jürgen Trittin gab es Lob für "Grünland-Pfalz".

Eveline Lemke, die wohl erste grüne Wirtschaftsministerin der Welt, und Daniel Köbler, Landesvorstandssprecher der Grünen. Bild: dpa

NEUWIED taz | Rot-Grün in Rheinland-Pfalz ist perfekt. Die SPD und die Grünen billigten am Wochenende auf ihren Parteitagen den Koalitionsvertrag. Doch während bei den Sozialdemokraten am Samstag in Mainz große Zufriedenheit mit dem am Freitag vorgestellten Vertrag herrschte - es gab denn auch nur drei Gegenstimmen -, zeigten auf der Delegiertenversammlung der Grünen am Sonntag in Neuwied enttäuschte Interessengruppen ihren Unmut. Die Grünen, so der häufige Vorwurf, hätten sich von Ministerpräsident Kurt Beck "über den Tisch ziehen lassen". Dennoch stimmten nach einer kontroversen Diskussion 92 Prozent der Delegierten für den Koalitionsvertrag.

Zuvor mussten diese auf ihrem Weg zum "Heimathaus" in Neuwied durch ein Spalier von Gegnern der weiter umstrittenen Hochmoselbrücke, frustrierten Juristen aus Koblenz, wo das Oberlandesgericht abgeschafft werden soll, militanten Nichtrauchern und Mitgliedern einer Bürgerinitiative für mehr Elternrechte. Balsam für die grüne Seele gab es erst drinnen in der Halle, und zwar von Jürgen Trittin persönlich. Er lobte die grüne Verhandlungsdelegation, die es trotz der "Betonaffinität der SPD" geschafft habe, "politische Signale weit über Rheinland-Pfalz hinaus" auszusenden. Mit Eveline Lemke nämlich bekomme "Grünland-Pfalz" die erste grüne Wirtschaftsministerin eines Bundeslandes. Und trotz der "bitteren Pille Hochmoselübergang" sei es gelungen, der SPD in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik einen strukturellen Durchbruch abzuringen: "Erhalt geht vor Neubau."

Schon bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages durch den künftigen grünen Fraktionschef im Landtag, Daniel Köbler, der von einem "historischen Wurf" sprach, gab es beim Thema Hochmoselübergang Pfiffe und Zwischenrufe. Köbler räumte ein, dass die Grünen in den Verhandlungen über die 180 Meter hohe Stelzenbrücke über den Moselsporn, die zu bauen er nach wie vor für "falsch" halte, eine Niederlage hätten einstecken müsse. Doch zu viel Geld sei dort schon verbaut worden. Regress von knapp hundert Millionen Euro habe gedroht. Das Geld hätte dann den Haushalt über Gebühr belastet und für die Realisierung anderer Dinge gefehlt.

Richtig zur Sache ging es dann in der Aussprache, wobei die Grünen den Gegnern des Hochmoselübergangs fair Redezeit einräumten. Ökowinzer Rudolf Trossen etwa forderte einen "Stresstest" für die Brücke. Alle Zahlen müssten auf den Tisch, denn bislang sei man "nur belogen" worden. Seiner Partei warf er vor, in den Verhandlungen mit der SPD "ängstlich wie Schalke 04 gegen ManU" gespielt zu haben. Der Sprecher der BI Pro-Mosel, Georg Laska, rechnete danach vor, dass in die angeblich drohenden Regressforderungen Gelder mit eingerechnet wurden, die noch gar nicht angefallen seien - sowie Mittel für den ersten Bauabschnitt der B 50 n, der auch ohne die Brücke sinnvoll sei. Er appellierte an die Grünen, die doch die Bewahrer der Schöpfung sein wollten, den Vertrag abzulehnen und in Sachen Brücke ein Moratorium zu verlangen.

Die neue Landtagsabgeordnete Jutta Blatzheim-Roegler, eine Ikone im Widerstand gegen die Hochmoselbrücke und Mitglied einer Arbeitsgruppe der Verhandlungskommission, sagte dagegen, dass die SPD in dieser Sache nie verhandlungsbereit gewesen sei: "Beck und die SPD wollen den Hochmoselübergang aus politischen Gründen unbedingt haben." Da sei auch jetzt nichts mehr zu machen.

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8 Kommentare

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  • M
    Micha

    Ich bin wirklich geschockt, was da in Rheinland-Pfalz abläuft. Wahrscheinlich glaubt Beck, der sich ja mal wieder als Fürst der Finsternis gebärdet, hier etwas durchzwingen zu können, was nicht so im Focus der Öffentlichkeit steht wie z.B. Stuttgart 21. Man kann die Brückengegner nur unterstützen und hoffen, dass ihr Protest nun noch lauter wird.

  • WF
    Wolfgang Faller

    Die Grünen haben eben nicht versprochen, dass sie das Projekt verhindern können, sondern dass sie sich dafür einsetzen werden. Dafür und für viele weitere Inhalte haben sie im betreffenden Wahlkreis wie auch im Land ungefähr 15% der Stimmen bekommen.

    Klar kann man der Meinung sein, dieses Brückenprojekt überschreite jetzt das, was man für eine Regierungsbeteiligung in Kauf nehmen darf. Manche sahen das ja auch bei anderen "Kröten" als gegeben an.

     

    Das heißt aber auch, die Grünen hätten es in Kauf genommen, dass neben dem zweiten Großprojekt, der Mittelrheinbrücke, auch viele weitere Neu- und Ausbauten von Straßenprojekten erfolgt wären, die nun verhindert oder verkleinert sind; und dass die ÖPNV-Mittel nicht verdoppelt werden.

    Sie hätten es in Kauf genommen, dass Flüchtlinge im Ausreisezentrum und im Abschiebeknast unbefristet weiter menschenunwürdig leben müssen und dass die Härtefallkommission nicht durch eineN VertreterIn der Flüchtlingshilforganisationen ergänzt wird.

    Die Energieproduktion würde nicht auf 100% Erneuerbare bis 2030 ausgerichtet, die Studienkonten nicht abgeschafft.

    Wer glaubt, die SPD hätte das sowieso leicht zugestanden, muss beantworten, weshalb sie es in 5 Jahren Alleinregierung anders gemacht hat.

  • E
    elbeo

    Nur mal angenommen, die Grünen hätten der SPD korrekterweise den Stinkefinger gezeigt und wegen der Brücke die Koalitionsgespräche verlassen: husch, wäre die SPD ins Bettchen mit der CDU geschlupft - und hätte die Brücke gebaut. Moral gerettet - Brücke da! Da nun aber die Moral im Eimer ist und die Brücke ebenfalls kommt, kann man leider nicht mehr erleben, dass die SPD die verdienten Berückenprügel bekommt ...

  • E
    Egal

    Typisches Muster:

    Da kommen die gleichen Grünen Sprüche wie immer, die Grünen hätten das nicht zu entscheiden gehabt. Schon bei x fragwürdigen Entscheidungen der Grünen gehört.

    Stimmt aber nicht, die Grünen werden jetzt im Landtag für die Brücke stimmen, sie haben sich als aktiv für die Brücke entschieden!

    Zwingt sie ja niemand eine Koalition unter den Bedingungen einzugehen. Und Beck hätte den Teufel getan, eine Koalition mit der CDU einzugehen. Aber wahrscheinlich haben die Grünen für die Brücken-Zustimmung einen weiteren Ministerposten bekommen und für einen Ministerposten samt neuen Stellen für Grünes Parteivolk tun die Grünen alles.

    Bin ich froh sie nicht gewählt zu haben!

  • WS
    Wil S

    Richtig, es müssen alle Kosten auf den Tisch. Wie hoch sind die Unterhaltungskosten der Brücke und der Trasse? Was trägt die spätere Generation an Kosten? Was bürdet man unseren Kindern und Enkel durch dies unmögliche Mammutprojekt eigentlich auf. Alleine die Baukosten mit 330 Mio sind vollkommen falsch ermittelt. Es können nur unfähige Bauingenieure ermittelt haben, oder die Kosten stammen noch von 1960! Wieviele Unklarheiten sind in die Kosten nicht eingerechnet? Egal, die IHK und HWK, die keine Ahnung vom Projekt haben sind unbedingt dafür, es sind ja nicht Ihre gelder, die verschleudert werden.

  • R
    rheinelbe

    WILLIG ÜBER JEDEN TISCH

     

    Bürgerinitiativen sollen für grüne parteipolitische Zwecke ausgenutzt (instrumentalisiert) werden. Das ist nichts Neues, sondern gängige grüne Politik, die in jeder Kommune zu beobachten ist. Das ist keine Realpolitik, sondern schlicht Manipulation von Menschen. Ein unglaubwürdiges Schauspiel, ein Lehrbeispiel und Leerbeispiel für den schlimmen Zustand gegenwärtiger Politik.

    Bürgerinitiativen sollten unabhängig bleiben und auf Distanz zu diesen Macht-Grünen gehen, die sich hinterher willig über jeden Tisch ziehen lassen. Von Rückgrat keine Spur!

    ...

  • HW
    Heidi Weh

    Realpolitik ist eben Realpolitik. Ich finde es sehr gut, dass die Grünen jetzt in R.P. mitbestimmen und mitmischen. Allerdings werden sie sich hier auch beweisen müssen. Ich bin gespannt auf die Zukunft und hoffe, die taz berichtet regelmässig.

     

    Es ist doch bezeichnend – und nicht den Grünen anzurechnen, - dass die Hochmoselbrücke ein politisches Prestigeobjekt von Beck und Co. ist – also der SPD – und man nicht mehr abwägt, wie sinnvoll das Ganze eigentlich ist – noch, was die Bürger der Region eigentlich wollen.

     

    Das zu erfragen, wäre auch für die SPD letztendlich ruffördernder gewesen als einfach ihre Position durchzudrücken.

     

    Den Grünen kann man das nicht anlasten, es sind eben die Altlasten.

    Nicht alles ist revidierbar, vor allem dann nicht, wenn man nicht allein zu entscheiden hat.

     

    Übrigens sind auch die Grünen nicht das Gelbe vom Ei, sie machen auch eine Menge „Blödsinn“ – um mit Guttenberg zu sprechen – man behalte sie ebenfalls kritisch im Auge.

  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Ich hoffe, dass der Widerstand gegen die Hochmoselbrücke nicht erlahmt.

    Solche Mammutbauprojekte sind eben keine Regionalkonflikte.

    Klare, nachvollziehbare Informationen über ALLE Kosten müssen in der Tat auf den Tisch.

    Und: niemand ist unfehlbar. Auch Jürgen Trittin kann sich irren.