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Parteitag der englischen GrünenJetzt der politische Klimawandel

Die Green Party von England und Wales wittert Morgenluft. Eine Woche vor der Weltklimakonferenz trifft sie sich zum Jahresparteitag.

Im Versammlungssaal des Grünen-Parteitags. Es gibt auch ein Plenum Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Birmingham taz | Menschen mit langen Haaren, Strickpulis und Ansteckern, aber auch einige im saloppen Jackett sitzen an Tischen zusammen und diskutieren leise: Das ist das gewohnte Bild von Parteitagen der britischen Grünen – so auch an diesem Wochenende im mittelenglischen Birmingham, eine Woche vor Beginn der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow.

Die Grünen von England und Wales – Schottland hat seine eigene grüne Partei – machen Schlagzeilen nicht wegen starker Sprüche zur Klimakonferenz, sondern wegen ihrer Antwort auf den gegenwärtigen Anstieg der Energiepreise, der auch Großbritannien betrifft. Die neue Doppelspitze aus Carla Denyer und Adrian Ramsay hat die Gemüter der Nation angeregt mit dem Vorschlag, jedem Haushalt 320 Pfund (370 Euro) zu zahlen, finanziert durch eine einmalige Besteuerung von 1 Prozent von Hausbesitzer*innen.

„Wir sind verpflichtet klarzustellen, wie unsere Politik die Leben von Millionen von Menschen verändern würde, die durch die gestiegenen Heizkosten in weitere Armut stürzen könnten“, führt Ramsay aus. Der Vorschlag steht in der Tradition der alten grünen Forderung nach einem allgemeinen bedingungslosen Grundeinkommen.

Nun weht durch die Parteitagshalle ein Wind des Optimismus. Die Grünen legten bei den letzten Kommunalwahlen wieder zu, genau wie in den letzten 20 Jahren wieder zu. Sie besetzen inzwischen 447 direkt gewählte kommunale Sitze in 141 Wahlkreisen. Statistisch hochgerechnet kommen sie auf zehn Prozent aller Wähler*innen, behauptet die Parteiführung. Anregung für die gute Stimmung bietet der Eintritt der schottischen Schwesterpartei in die dortige Regionalregierung. Ein Durchbruch auch in England, wo die Grünen nach wie vor nur einen Sitz im Unterhaus halten, sei greifbar, glaubt Denyer.

Dynamisches Führungspaar

Das Führungspaar gibt sich dynamisch, jung und professionell. Tatsächlich gehören Ramsay und Denyer zu den erfahrensten jüngeren Mitgliedern der Grünen. Ramsay ist ein grüner Politveteran: seit 2003 – damals war er nur 21 Jahre alt – ist er Stadtrat im ostenglischen Norwich. Denyer ist zwar erst seit 2015 Stadträtin, aber bei den britischen Parlamentswahlen 2019 unterlag sie im Wahlkreis Bristol West nur knapp gegen Labour. Keiner Frage weicht sie aus. Brexit? Ein Wiederbeitritt zur EU sei vielleicht eine Option für die späte Zukunft, nicht für jetzt, sagt Denyer.

Englisches Gegenstück zu Habeck und Baerbock: Die Doppelsptze Adrian Ramsay und Carla Denyer Foto: Daniel Zylberstzajn-Lewandowski

Zentral im Parteiprogramm der Grünen ist derzeit nicht nur der Klimawandel, sondern auch die soziale Gerechtigkeit. Wollen sie damit Labour Stimmen stehlen? „Nein, das sind und waren unsere eigenen Vorschläge von Anfang an“, widerspricht Denyer. Vorschläge wie eine CO2-Steuer oder eine Besteuerung von Viel­fli­ege­r*in­nen seien mehrheitsfähig, das hätten Umfragen gezeigt.

Jetzt, wo auch andere Parteien grüne Politik machen wollen, verstehen es die Grünen als ihre Aufgabe, große Versprechen oder halbgare Ankündigungen anderer Parteien zu entlarven. Ramsay nennt ein Beispiel: Die Ankündigung der konservativen Regierung von 450 Millionen Pfund (etwa 531 Mio Euro) für Wärmepumpenanlagen. Dabei handele es sich erstens nur um eine Neuetikettierung bereits existierender Maßnahmen, und zweitens sei die Summe nicht den tatsächlichen Bedürfnissen angemessen. Denyer glaubt dennoch, mit anderen Parteien zusammenarbeiten zu können: Die Tories hätten einen guten Anfang gemacht, sagt sie.

Transphobie und Antisemitismus

Im Plenum zeigen sich erst einmal andere Herausforderungen. Nach wie vor fehlen den Grünen Parteimitglieder aus Minderheitengruppen. Bei einem speziellen Treffen der „Greens of Colour“ versammeln sich nicht mehr als ein Dutzend Menschen.

Am Rande des Foyers konfrontiert Raphael Hill, 25, ein Mitglied der Transcommunity, die Delegierten. „Transleute, inklusive meiner selbst, sind Menschen“, hat er auf ein Plakat geschrieben. Es gibt in der Partei einen alten Streit um den ehemaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden Shahrar Ali, dem Transfeindlichkeit vorgeworfen wird, weil er sagt, dass Frauen durch zwei X-Chromosome definiert seien. Vor Jahren hatte er sich an jüdische Menschen mit den Worten gewandt: „Nur weil ihr die Nettigkeiten des Holocausts-Gedenktag observiert, bedeutet es noch lange nicht, dass ihr Lektionen aus der Geschichte gelernt habt.“ Hill zieht im Gespräch Vergleiche zwischen Transphobie und latentem linken Antisemitismus auch unter Grünen.

Doch in der breiteren Öffentlichkeit spielt so etwas kaum eine Rolle. Wie kommt es, dass die Grünen auf kommunaler Ebene immer mehr Erfolg haben? Michael Welton, 47, Stadtrat und Musiker aus Altrincham in Trafford nahe Manchester, und Natalie McVey, 50, aus den Malton Hills im Westen Englands, haben beide in den vergangenen zwei Jahren konservative Sitze gekapert. Im Gespräch mit der taz betonen sie, es sei ein Ergebnis harter Arbeit, auf die Sorgen der Menschen in ihren Wahlkreisen einzugehen.

Dass so viele Menschen bei den Parlamentswahlen 2019 von Labour zu Boris Johnsons Tories überliefen, erklärt sich Welton als Protest gegen Labour eher als Stimme der Überzeugung für die Tories. Diese Wäh­le­r*in­nen würden sich nun zunehmend für Grüne als linke Alternative interessieren.

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