Parteitag der Piratenpartei: Auf Schlingerkurs
Die Mitgliederzahl der Piratenpartei hat sich in einem Monat verdreifacht. Nun wählt sie einen neuen Chef-Piraten - und zankt sich um das Programm für die Bundestagswahl.
HAMBURG taz | Manches Klischee ist zu schön, um nicht zu stimmen. Und so sehen denn auch viele der Teilnehmer auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei so aus, wie man sich Computer-Nerds vorstellt: männlich, zwischen 20 und 40, etwas blass im Gesicht, vor sich den Laptop und eine Dose Cola. "Klarmachen zum Ändern" steht auf einem Banner.
Rund 280 Piraten sind am Wochenende in das Bürgerhaus in Hamburg-Wilhelmsburg gekommen, um ein Programm für die Bundestagswahl zu beschließen und einen neuen Vorstand zu wählen. Zum ersten Bundestreffen nach der Parteigründung vor drei Jahren kamen gerade mal drei Dutzend Menschen. Jetzt sind allein so viele Journalisten da.
Die Piraten kämpfen sich zunächst durch langatmige Satzungsdebatten und Geschäftsordnungsunklarheiten. Und auch die Debatte über das Wahlprogramm wird erstaunlich hitzig geführt, hatte man doch angenommen, die wichtigsten Punkte seien schon vorab per Internet geklärt worden.
Vor allem bei der Frage der von der Partei angestrebten Lockerung des Urheberrechts gibt es große Differenzen, sodass unklar bleibt, was genau die Piraten hier wollen. Nach der Ansicht von Kritikern geht es ihnen ohnehin nur um das grenzenlose Raubkopieren von Musik, Filmen und Software. An anderen Stellen werden die Piraten konkreter. Sie fordern zum Beispiel, die Gesetze zu Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchung rückgängig zu machen, und lehnen die elektronische Gesundheitskarte ab.
Als neuen Vorsitzenden hat die Piratenpartei den Physiker Jens Seipenbusch gewählt. Dessen ambitioniertes Ziel: mit einer eigenen Fraktion in den Bundestag einziehen. Bei der Europawahl Anfang Juni haben die Piraten in Deutschland 0,9 Prozent der Stimmen bekommen. In Schweden kam die Partei auf 7,1 Prozent und schickt nun einen Abgeordneten nach Straßburg.
Seit der Europawahl hat sich die Mitgliederzahl in Deutschland auf rund 3.300 verdreifacht. Längst werden die Piraten mit den Grünen vor 30 Jahren verglichen, wobei aber übersehen wird, dass deren Themenspektrum mit Umwelt, Frieden und Gleichberechtigung wesentlich breiter war. Bei den Piraten hat nun auch die Diskussion darüber begonnen, ob sie über das Thema "Freiheit im Netz" hinaus Position beziehen sollten, etwa zur Finanzkrise. Das lehnt die Mehrheit bisher ab. Allerdings findet sich bereits jetzt im Programm die Forderung nach einer gebührenfreien Bildung.
Frauen sind in der Piratenpartei nach wie vor in der Minderheit. "Wir sind leider immer noch eine Jungspartei", sagt ein Pirat, der früher Grünen-Wähler war. Eine der wenigen Frauen auf dem Parteitag ist Süntje Böttcher, Informatikstudentin aus Saarbrücken. Sie trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Stoppt die Internetzensur" und will damit gegen die vom Bundestag verabschiedete Internetsperre protestieren, die den Zugang zu Kinderpornografie erschweren soll. Die Piraten halten diese Sperre für unwirksam und sprechen vom Aufbau einer "Zensur-Infrastruktur".
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