■ Dem ANC fehlt auch heute noch der Mut zur Offenheit: Parteitag der Harmonie
Nach außen hin verlief der 50. Parteitag des Afrikanischen Nationalkongresses reibungslos und ohne Überraschungen. Der Machtwechsel vollzog sich wie gewünscht, die Harmonie war perfekt. Auf dem Prominentenpodium wurde geherzt und geküßt, daß es eine Freude war. Selbst erbitterte politische Gegner fielen sich überschwenglich in die Arme. Die Botschaft war eindeutig: Wir lieben uns alle und euch, das Fußvolk da draußen, erst recht.
Das schöne Bild hat aber Risse und das ist nicht verwunderlich. Den Apartheid-Stall auszumisten ist eine Aufgabe, um die man den ANC wahrlich nicht beneidet. Den alten Staatsapparat umzubauen, das Bildungs- und Gesundheitssystem aufzubauen, die ehemaligen Homelands zu integrieren, billigen Wohnraum zu schaffen, Wasserleitungen zu legen – die Liste der Aufgaben ist lang, die Mittel begrenzt.
Obwohl er sich um den Machterhalt keine Sorgen zu machen braucht, ist der ANC nervös und um so mehr bemüht, nach außen so viel Einigkeit wie möglich zu demonstrieren. Die Führung weiß, daß das Wahlprogramm von 1994 allzu ehrgeizig war und sich mitnichten binnen einer Legislaturperiode verwirklichen läßt. Eine Generation wird kaum genug sein. Das aber wird mit Sicherheit Wählerstimmen kosten, denn heute wird lauter gemurrt als vor zwei Jahren. Noch immer leben Hunderttausende in elenden Slums, ohne Wasser und ohne Strom.
Hinzu kommen die Geburtsschmerzen einer politischen Partei, die regiert und nicht mehr im Untergrund ist. Der ANC war immer stolz darauf, ein buntes Sammelsurium verschiedener Bewegungen und auch keine rein schwarze, pan-afrikanistische Organisation zu sein. Der neu gewählte Vorstand spiegelt diese Tradition wieder. Das ist eine Stärke, die es zu erhalten gilt. Zugleich treten aber heute, nachdem der äußere Feind dahingegangen ist, die Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen deutlicher zutage. Unter der Oberfläche brodelt und gärt es. Immer wieder versucht die Führung mit drakonischen und oft nicht sonderlich demokratischen Mitteln ihre Linie durchzusetzen. Auch das ist ein Zeichen von Unsicherheit.
Dem ANC mangelt es aber nicht an Geschlossenheit, sondern am Mut zur Offenheit. Es ist bezeichnend, daß alle politischen Diskussionen auf dem Parteitag hinter verschlossenen Türen stattfanden. Dabei waren keinerlei Überraschungen zu erwarten. Daß die gewaltige Transformation Südafrikas längst nicht abgeschlossen ist, ist fraglos. Thabo Mbeki, der neue ANC-Präsident, hat glaubhaft gemacht: Es wird keinen Bruch in der politischen Linie geben. Genau das ist es, was die Mehrheit in Südafrika und auch das Ausland erwarten. Daß die Geduld mit dem reformunwilligen Teil der Weißen nicht endlos ist, kann dabei kaum überraschen. Versöhnung ist kein Freifahrtsschein für den Erhalt von Privilegien.
Langfristig wird der ANC aber eine Entscheidung treffen müssen, die sein Selbstverständnis angeht. Ist er eine Regierungspartei, die oft gegen ihre Bündnispartner im mächtigen Gewerkschaftsverband und in der Kommunistischen Partei entscheiden muß, oder ist er eine Befreiungsbewegung, die mit allen gemeinsam die Rituale des „struggles“ perpetuiert? Der 50. Parteitag hat sich um die Antwort herumgemogelt. Selbst Nelson Mandela wetterte gegen die „Karrieristen“ in der Bewegung. Es fehle ihnen an Erfahrung im Kampf, wo man doch Bataillone von Revolutionären brauche. Das ist mehr als nur populistische Parteitagsrhetorik. Mit der eigenen Transformation tut man sich schwer. Wenn der ANC etwas nicht braucht, dann sind es eben solche Bataillone. Er braucht vielmehr kompetente und streitbare Politiker, Wirtschafts- und Verwaltungsexperten, die in der Lage sind, den Transformationsprozeß voranzutreiben.
Südafrikas Nachbarland Simbabwe hat vorgemacht, wohin letzteres führt. Noch fast 18 Jahre nach der Unabhängigkeit ist die politische Klasse in der Beschwörung des Immergleichen erstarrt und bedient sich zugleich schamlos. Erst jetzt, nachdem es den Menschen schlechter geht als je zuvor, regt sich Widerstand gegen die „demokratisch“ legitimierte Einheitspartei unter Robert Mugabe. Der ANC verfügt über die intellektuelle und personelle Kapazität, solche Fehler zu vermeiden. Er muß es nur wollen. Kordula Doerfler
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